Carin Müller bloggt ...

Nerv weiter, Greta!

Fridays for Future-Demo in Frankfurt

Heute Morgen bin ich über einen vermeintlich völlig harmlosen Facebook-Post gestolpert: »Können wir statt über Greta über sinnvolle Maßnahmen zum Klimaschutz reden?«, fragte da jemand – nach Selbstauskunft ermattet von all den wüsten Diskussionen. Ich würde mal behaupten, dass Greta Thunberg dies selbst sofort bejahen würde. Ja, es wäre toll, wenn wir alle nicht nur darüber reden würden, wie wir unseren ziemlich malträtierten Heimatplaneten retten könnten, sondern vor allem entsprechend handeln. Das wäre mit absoluter Sicherheit viel besser als all die haarsträubenden Grabenkämpfe zwischen dem Pro-Greta-Lager und dem der Greta-Hater. Sinnvoller obendrein. Allein: Es wird nicht passieren!

Druck und Bedrohung

Warum? Weil wir Menschen sind – und Menschen haben es nicht gern, wenn sich Dinge ändern. Ohne massiven Anlass würde keiner von uns irgendetwas an seinem Verhalten ändern. In keinem Lebensbereich. Erst wenn der Druck groß genug ist passiert etwas und auch nur, so lange der Druck aufrecht erhalten wird. Ist der Prozess aber erst einmal in Gang gebracht, läuft es. Das kann man in wirklich allen Lebensbereichen beobachten, und ganz sicher wird es auch nur so im Klimaschutz funktionieren. Erinnert ihr euch noch an die Rauchverbotsdiskussionen in Restaurants? Oder vor vielen Jahren an die mühsame Einführung von Katalysatoren? Was waren das für Dramen – heute alles eine Selbstverständlichkeit.

»Ich schätze, sie fühlen sich schlicht von uns bedroht.« Das sagt Greta Thunberg in einem Tweet auf die Frage, warum ihr und anderen jungen Klimaaktivisten derart viel Hass und Häme entgegenschlägt. Ich finde diese Antwort beneidenswert abgeklärt und besonnen. Ich selbst würde mir am liebsten jeden einzelnen dieser Hater persönlich vorknöpfen, ihn schütteln und fragen, ob etwas an seiner Erziehung falsch gelaufen ist oder er schlicht an einer synaptischen Fehlverdrahtung leidet. Oder noch lieber: Ihn auf einer driftenden Eisscholle aussetzen!

Kuschelige Ignoranz vs schmerzhafte Einsicht

Doch natürlich wäre das nicht zielführend, sondern nur Ausdruck einer Hilflosigkeit, die ich, ob der Ignoranz vieler Mitmenschen, verspüre. Vermutlich würde ich mich mit einer hitzköpfigen Reaktion sogar unbewusst mit dieser Hasskolonne gemein machen, die wohl auch nur aus reiner Ohnmacht zu ihren verbalen Schlägen ansetzt. Denn da ist sie wieder, die Angst vor der Veränderung.

Ja, es ist erschreckend und bedrohlich, sich einzugestehen, dass wir alle miteinander unsere Welt an den Abgrund bringen. Es ist so viel einfacher, die Zeichen der Zeit zu ignorieren, als persönliche Konsequenzen zu ziehen – oder wenigstens einmal ein bisschen nachzudenken. Es macht auch kein bisschen Spaß, ein schlechtes Gewissen zu bekommen, wenn man die nächste Flugreise bucht oder auch nur Nutella aufs Brot schmiert. Kann ich verstehen. Mir bereitet das auch keine Freude. Aber noch weniger schön ist die Tatsache, dass ohne eine Notbremsung der vollbeladene Menschheitszug in Höchstgeschwindigkeit gegen eine massive Stahlbetonwand brettert.

Meinungen vs Tatsachen

Denn dass der immer rascher voranschreitende, menschengemachte Klimawandel eine Tatsache ist und keine »Meinung«, ist inzwischen breiter Konsens – nur Donald Trump und die AFD wollen das nach wie vor anders sehen. Will heißen, wir alle müssen etwas tun. Wir werden die voranschreitende Erderwärmung nicht mit einem zünftigen »Ist doch mir egal« oder einem trotzigen »Ach, ich mach trotzdem so weiter, wie bisher« verhindern können. Punkt. Auch das ist eine Tatsache.

Interessanterweise fordern viele Menschen – und zwar aus allen Lagern! – eine globale Lösung für das Problem. Sie sind der Meinung, dass kleine, individuelle Einzelaktionen, wie der Verzicht auf Plastiktüten oder der Umstieg aufs Fahrrad gar nichts nützt. Nun ja, eine globale Lösung wäre ganz sicher der Königsweg, doch wie realistisch ist sie? Zumindest in absehbarer Zeit? Also praktisch sofort? Eben.

Daher plädiere ich für die Macht der kleinen Aktionen. Jeder gesparte Liter Kerosin, Benzin oder Heizöl zählt. Genau wie jede eingesparte Plastiktüte, jeder zu Fuß gelaufene Weg, jedes Stück Obst und Gemüse aus regionalem Anbau ... Ja, auch das ist eine Meinung, aber wenn jeder von seinen Lebensstil nur minimal anpassen würde, käme vielleicht auch eine globale Bewegung dabei raus.

Jugendliche Leitfigur

Veränderungen passieren nicht von alleine. Meist müssen an vielen Stellen Prozesse angestoßen werden, damit sich langsam die Räder in Bewegung setzen und ein neuer Trend ins Rollen kommt. Greta Thunberg spielt einen zentralen Part in diesem Prozess. Sie ist ganz bestimmt keine Heilige, sondern eine fokussierte junge Frau, die keine Lust mehr auf den Mist hat, mit dem sie konfrontiert ist.

Dass sie mit ihrer Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit so viele andere Menschen – junge, alte, hippe, uncoole, wütende, besonnene, dumme und schlaue – inspiriert, macht sie für mich zur Leitfigur. Man muss Greta nicht mögen, aber man muss respektieren, dass sie eine Bewegung losgetreten hat, die nicht mehr einzufangen ist. Das ist großartig und macht Mut. Mir zumindest.

Insofern hoffe ich, dass sie noch lange nicht genug hat, uns alle so richtig zu nerven. Damit wir alle unsere trägen Hintern hochkriegen und etwas ändern!