Carin Müller bloggt ...

Schwesternschaft der betenden Barbies

Das Patriarchat lebt - besser denn je. Auch dank der Dallas Cowboys Cheerleaders.

Jeder, der aktuell von Zeit zu Zeit Nachrichten konsumiert weiß, wie es um die Welt bestellt ist. Die größten und angeblich wichtigsten Nationen der Erde werden von größenwahnsinnigen Männern, von greisen Männern oder schlicht von geistesgestörten Männern regiert. Und erstaunlicherweise von zahllosen Frauen dabei unterstützt und bejubelt. Nichts Neues also.

Nun befinde ich mich in der privilegierten Position, dass ich mich – berufsbedingt – manchmal in andere Welten wegträumen darf. In Buchwelten, in denen ein deutlich ausgeglicheneres Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern herrscht und überhaupt mehr gesunder Menschenverstand vorhanden ist. Science Fiction? Utopien? Nein, einfach nur meine eigenen Romane, die klingen, als könnten sie in unserer Welt spielen, aber augenscheinlich Lichtjahre von der Realität entfernt sind.

Außerdem lebe ich meist in einer besonderen Blase von Menschen. Leuten, gleich welchen Geschlechts, die überzeugt davon sind, dass ein bisschen mehr Feminismus uns allen guttäte. Genauso wie ein bisschen mehr Umweltschutz. Aber ja, ich gebe zu, das ist meine unrealistische kleine Welt, die mit der Wahrheit nicht viel gemein hat. Und doch werden die Bewohner (erneut: aller denkbaren Geschlechter) dieser kleinen Oase gerne von außen attackiert: »Was wollt ihr denn noch alles?«, schnauzen da manche Männer aufgebracht, wenn Frauen etwa gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit oder – noch kühner! – das Recht zur Selbstbestimmung über ihren eigenen Körper fordern. Mal ehrlich, das geht ja auch wirklich zu weit.

All jenen, die sich trotz der Trumps, Bidens, Putins, Orbans, Nethanjahus, Xis, Erdogans, Sunaks, Scholzens, Macrons, Höckes, Melonis, Weidels, Le Pens dieser Welt um das Patriarchat sorgen, kann ich die Angst nehmen. Alles ist gut! Und ja, mir ist klar, dass ich in dieser Liste auch einige Frauen genannt habe. Frauen sind nämlich besonders gut darin, die männliche Dominanz zu stärken – auch und besonders dann, wenn sie vordergründig selbst an der Macht sind.

America’s Sweethearts – die Dallas Cowboys Cheerleaders

Jede*r, die/der sich also um das Ende der männlich geprägten Welt fürchtet, möge sich die Netflix-Doku »America’s Sweethearts« ansehen, in denen es um das das - wie ich gelernt habe - weltbekannte Cheerleaderteam der Dallas Cowboys geht, die wiederum keine Rinder hüten, sondern Football spielen.

Pro Saison werden für dieses Team die 36 schönsten, talentiertesten, athletischsten Frauen der Vereinigten Staaten in einem knüppelharten Casting ausgewählt, nur um dann bei den Heimspielen der Footballer leichtgeschürzt für beste Stimmung im Stadion zu sorgen. Man muss hinzufügen, dass diese Frauen nicht nur extrem schön, talentiert und athletisch sind, sondern auch in jeder denkbaren Hinsicht schmerzfrei – und ebenso ohne Stolz. Jedenfalls Stolz im Sinne von Selbstachtung, denn natürlich sind sie wahnsinnig stolz darauf, eine maximal fünf Jahre dauernde »Karriere« als »DCC« (=Dallas Cowboy Cheerleader) in den Lebenslauf schreiben können. Dass sie für diesen Knochenjob extrem wenig Geld bekommen und mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit ihre Gesundheit ruinieren, ist irgendwie nicht so wichtig.

Ich habe mir diese Doku mit einer seltsamen Mischung aus Faszination, Ungläubigkeit und schierer Abscheu angesehen – und ehrlich gesagt fehlt es mir nach wie vor an Vorstellungskraft, warum intelligente junge Frauen sich freiwillig und ohne Not dieser Tortur unterziehen. Nur um nach Strich und Faden ausgenutzt und objektifiziert zu werden.

America's Sweethearts

Sisterhood der betenden Barbies

Im Stern habe ich den Artikel von Julia Hackober gelesen, in dem sie sich gar nicht mehr darüber einkriegt, wie innovativ das Storytelling dieser Dokuserie ist. Statt der zumindest von ihr erwarteten Stutenbissigkeit, sieht sie ein Lehrstück an weiblicher Solidarität, denn die Sweethearts sind natürlich auch die allerbesten Freundinnen.

Ehrlich, ich frage mich, ob Hackober und ich die gleiche Serie geguckt haben. In meiner Lebenswirklichkeit ist weibliche Solidarität nämlich ohnehin der Standard, aber wir haben ja schon weiter oben etabliert, dass ich offenbar ein wenig realitätsfern bin. Trotzdem habe ich vor allem militärische Disziplin gesehen. Denn egal was das – übrigens rein weibliche – Führungsteam zu loben (gelegentlich) oder zu kritisieren (deutlich häufiger) hat, gibt es nur eine akzeptierte Antwort der Tänzerinnen: Ein zackiges »Yes, Ma’am!«

Zudem wird sehr viel geweint (dann, wenn eine »I love you sooooo much«-beste Freundin, die man vor drei Tagen noch nicht kannte, die nächste Runde des Auswahlverfahrens nicht geschafft oder sich verletzt hat). Und noch mehr gebetet. Das ist ein kulturelles Ding der Amerikaner, das mir grundsätzlich genauso fremd ist, wie das dauernde Hymnengesinge, aber in diesem Kontext kann ich es fast verstehen. Ohne göttlichen Beistand dürfte es nicht gehen. Und wir alle wissen, dass Gott ein Mann ist ...

Warum tun Frauen sich das an?

Man stelle sich vor: 36 Topathletinnen, die vermutlich genauso viel und genauso hart trainieren wie die Footballer, die sie zwar formvollendet bejubeln, in ihren Verträgen aber eine Antifraternisierungsklausel mit eben jenen Kerlen unterzeichnen müssen, bekommen für ihren Einsatz lediglich einen Hungerlohn. Um das Privileg, eine DCC zu sein, zu finanzieren, arbeiten die Frauen »nebenbei« Vollzeit. Was bedeutet, dass die meisten von ihnen auf durchschnittliche Arbeitszeiten von 12 bis 18 Stunden kommen. Pro Tag. Denn neben den Auftritten an den Spieltagen wird täglich stundenlang trainiert und Charity-Work absolviert. Schließlich sollen die »Girls« Lebensfreude und Optimismus verbreiten.

Natürlich in den denkbar knappesten Klamotten. Warum? Nun ja, ich schätze, weil das die Männer heiß finden. Und die Frauen irgendwie auch, denn hey, es geht doch am Ende des Tages immer nur darum, dass Frauen sexy Projektionsflächen der Männer sind. Und die Tänzerinnen scheinen das auch komplett in Ordnung zu finden. Viele der Frauen – intelligent, mit Collegeausbildung und guten Jobs – träumen ihr ganzes Leben davon, eines Tages eine DCC zu sein. Manche sind es sogar in zweiter Generation. Schon Mami hat ihre Endlosbeine in die Luft geworfen und ist formvollendet im Spagat gelandet. Das spornt natürlich noch einmal mehr an.

Dass viele Cheerleader nach spätestens ihrer fünften (und damit letzten) Saison – für die sie sich übrigens Jahr für Jahr erneut qualifizieren müssen – schwere gesundheitliche Schäden haben (ruinierte Gelenke, Hüft-OPs mit Mitte 20, Essstörungen, psychische Probleme) und oft genug in ein tiefes Loch fallen? Egal. Irgendwas ist doch immer und man soll sich nicht so anstellen. Denn schließlich ist alles, was geschieht Gottes Wille ...

Mich schüttelt es vor Brechdurchfall, wenn ich mir diesen Wahnsinn auf der Zunge zergehen lasse.

Für all jene, die keine Ahnung haben, worüber ich mich so aufrege, keine Lust oder keine Möglichkeit haben, sich die Doku anzusehen (man kann es sich WIRKLICH sparen), hier der offizielle Trailer:

Auch wenn ich mit dieser besonderen Form des Jubels nicht sozialisiert bin, will ich gegen das Cheerleading an sich gar nichts sagen. Es gehört zum sportkulturellen Verständnis der USA. Und es ist eine Möglichkeit für ambitionierte Tänzerinnen, sich einem Publikum zu präsentieren. Wenn eine Frau das will, dann soll sie es sehr gerne tun. Aber warum wird sie dafür nicht angemessen bezahlt – also etwa genauso viel wie die topverdienenden Football-Spieler? Warum müssen sie ihre Kunst halbnackt ausüben? Warum müssen sie sich demütigen lassen und geradezu dankbar für dieses vermeintliche Privileg sein?

Ach so, weil das Patriarchat es so will. Und weil – in diesem Fall zumindest – viele einflussreiche Frauen die schärfsten Hüterinnen dieses Systems sind.

Amen.