Carin Müller bloggt ...

ABBA: God Save The Dancing Queen

hautnah dabei bei Abba Voyage in London

London calling! Dass ich ausgerechnet während der kompletten »Platinum Jubiliee«-Feierlichkeiten der Queen in London sein würde, war ehrlich gesagt reiner Zufall, denn nicht die ewige Königin der Briten lockte mich in die Stadt, sondern die »Dancing Queen«. Genauer gesagt, die brandneue Abba-Voyage-Show.

In meinem immerhin schon fünf Jahrzehnte dauernden Leben habe ich viele wundervolle Dinge erleben dürfen, aber es gab in all der Zeit nur eine Handvoll »Wenn die Welt morgen untergeht, ist es nicht schlimm, denn besser wird es nicht mehr!«-Momente. Einer davon war das ABBA Voyage-Konzert. Diese Zeilen schreibe ich vier Tage danach, aber ich bin immer noch derart überwältigt, dass ich Sorge habe, nicht die richtigen Worte zu finden. Daher starte ich vielleicht mit dem Offensichtlichsten:

Die Technik: besser als echt!

Zu allererst: Ja, es fühlt sich an wie ein lupenreines, echtes Konzerterlebnis und nicht wie ein besseres Multimedia-Kino, wie einige vermuten. Die vier »Abbatare« auf der Bühne unterscheiden sich nicht von echten Menschen und wer Abba nicht kennen sollte (gibt es so jemanden?), der käme niemals auf die Idee, dass diese schillernden Gestalten nicht real sein könnten. Auf den Großleinwänden sieht man in den Nahaufnahmen sogar die feinsten Härchen auf den Armen, leichten Schweißglanz auf der Stirn, kleine Fältchen und Poren und absolut echt wirkende Augen. Die Abba-Mitglieder sehen besser aus, als zu ihren besten Zeiten (sagen sie selbst) und sind deutlich besser gekleidet. Allein die Kostüme sind der absolute Wahnsinn!

Die zehnköpfige Live-Band, bestehend aus sieben Musikern und drei Background-Sängerinnen, bildet mit ihnen eine perfekte Einheit und sorgt für das wahre Live-Erlebnis.

So hätten sie die komplette Show durchziehen können. Haben sie aber nicht. In zwei Songs (besonders eindrucksvoll bei »Eagle«) wird die komplette Bühne zur Projektionsfläche für einen sehr besonderen Animationsfilm und in einem Set aus drei, vier Songs tragen sie schwarze, bunt abgesetzte »Raumanzüge« und wirken beinahe wie Animationsfiguren. Was ziemlich schräg ist – Animationen einer Animation. In dieser Phase sehen sie tatsächlich etwas »künstlich« aus, was aber zweifellos so gewollt ist, denn schon nach dem nächsten Kostümwechsel sind sie wieder ganz »real«. Und als ganz am Ende plötzlich die heutigen Abbas auf die Bühne kommen, fragt man sich wirklich, ob das jetzt die »echten« aus Fleisch und Blut sind. Doch auch die sind »nur« digital.

Sound, Beleuchtung, Dramaturgie – alles absolut umwerfend und kann nur den Hut ziehen vor dem technischen und künstlerischen Aufwand, der dahinter steht. Von der Rechnerleistung ganz zu schweigen. Irre.

Die Emotionen: Es geht ganz tief unter die Haut!

Seit ich denken kann, liebe ich Abba. Ich war zweieinhalb als die vier Schweden 1974 mit »Waterloo« den Eurovision Song Contest in Brighton gewannen und da bei uns zu Hause ständig das Radio lief, habe ich sehr sicher ab diesem Zeitpunkt ziemlich oft Abba gehört. In meinen ganz frühen Teenagerjahren wurde ich zum Super-Fan – just zu dem Zeitpunkt, als sich die Band getrennt hat. Und nein, es war nicht immer einfach, in den coolen 80ern auf Abba zu stehen, doch diesbezüglich waren mir die Meinung meiner Altergenossen ziemlich egal. Ich habe mir alles, was ich kriegen konnte, von Abba besorgt, habe mein komplettes Taschengeld in Schallplatten investiert – im sicheren Wissen, dass ich meine Idole doch niemals live würde sehen können.

Auch wenn ich mich später für zahlreiche andere Künstler begeistern konnte und kann, die große Liebe hat mich nie verlassen. Ich bin absolut überzeugt davon, dass mich Abbas Musik tief geprägt hat. Nicht nur in Bezug auf meinen Musikgeschmack (der inzwischen sehr breit ist), sondern auch darauf, wie ich das Leben sehe. Lange bevor ich die Texte verstanden habe, konnte ich die Bedeutung erfühlen. Richtig begriffen habe ich manche Aussagen erst sehr viel später – als auch mir das Leben schon einige Narben zugefügt hatte. Die Lyrics mögen nicht alle preisverdächtig sein, aber sie transportieren doch im Zusammenspiel mit den unsterblichen Melodien in fast jedem Song die bittersüßen Momente, die ein volles Menschenleben eben so bereithält. Egal, wie fröhlich und glücklich ein Moment ist, an der nächsten Ecke kann schon der nächste Schmerz warten. Aber auch umgekehrt: Selbst in den dunkelsten Momenten gibt es Hoffnung.

Das habe ich komplett verinnerlicht und vielleicht ist Abba auch der Grund dafür, warum es auch in meinen Geschichten immer diese Mischung aus Schmerz, Hoffnung und Glück gibt? Ich würde es gerne glauben.

Das Revival: es funktioniert tatsächlich!

Als letzten September plötzlich wie aus dem Nichts die Nachricht kam, dass Abba nicht nur nach 40 Jahren ein neues Album auf den Markt bringt, sondern auch noch eine komplette Bühnenshow, war ich ... elektrisiert? Nein, dieses Wort ist viel zu schwach. Meine Welt war aus den Angeln gehoben! Und dann die Angst, ob ich die neuen Lieder auch mögen würde. Glücklicherweise war die unbegründet. Ich habe noch am selben Abend die neue Platte bestellt und mich auf eine Mailing-Liste eingetragen, die mich über den weiteren Verlauf von »Abba Voyage« auf dem Laufenden halten würde, mit der Chance, als eine der Ersten Tickets für die Konzerte zu kaufen.

Ich war gerade im Urlaub, als ich meinen Vorverkaufs-Zeitslot zugewiesen bekam. Ein Stündchen an einem Montagvormittag mit der miesesten Internetverbindung seit dem Modemzeitalter ... Doch egal, ich hatte eine Mission: Ich wollte zwei Tickets für den 3. Juni – dem Geburtstag meiner ältesten Freundin Tanja, mit der ich vor fast vierzig Jahren auf die gemeinsame Abba-Fan-Reise gegangen bin. Und ich habe es hinbekommen. Ich hatte damals weder Pfingsten auf dem Schirm noch die Tatsache, dass der 3.6. mitten in die »Platinum Jubilee«-Feierlichkeiten der britischen Königin fallen würde. So wurde es eben ein doppelt historischer Moment für uns.

Auch gleichgültig, dass ich an den Resten einer fiesen Erkältung litt, die mir komplett die Stimme geraubt hatte. Ich konnte mich nur mit Mühe krächzend verständigen, was ein bisschen schade war, denn die anderen Besucher waren genauso fröhlich-aufgeregt wie wir. Jeder hatte eine Geschichte zu erzählen, was Abba für ihn oder sie bedeutet und jeder wollte die unbändige, immer noch fassungslose Freude darüber teilen, Abba doch noch einmal auf der Bühne zu erleben.

Ich war in meinem Leben auf einigen sehr schönen Konzerten, aber nie habe ich bisher so eine Stimmung erlebt. So viele glückliche, vorfreudige und positive Menschen auf einem Haufen. Und auch noch nie so viele weinende. Glückstränen flossen überall und vielleicht war es in einigen Fällen auch die schiere Überwältigung, die das Wasser aus den Augen der Zuschauenden getrieben hat. Beides habe ich am eigenen Leib erlebt - und dieses Gefühl werde ich hoffentlich mit in den Alltag nehmen.

Die Queen: da war noch was!

Weil dieses beinah religiöse Erlebnis noch nicht genug war (eigentlich schon, aber wenn man schon mal vor Ort ist ...), gab’s einen historischen Moment noch obendrauf. Königin Elizabeth II. feierte ihr 70. Thronjubiläum und zeigt damit noch mehr Ausdauer als Abba. Wir haben am Sonntag Teile der großen Parade gesehen – und wären fast zum Public Viewing des großen Konzerts am Samstag gegangen. Doch da gab es noch einen wichtigeren Programmpunkt: Mamma Mia! Das Abba-Musical läuft seit 20 Jahren und die Tickets dafür wollten wir auf keinen Fall verfallen lassen. Man muss im Leben schließlich Prioritäten setzen und am Ende war mir »Dancing Queen« dann noch näher als »God Save The Queen«.