Carin Müller bloggt ...

Prokrastinieren für Vollprofis

Warum Nichtstun ganz heilsam sein kann

Diese Zeilen schreibe ich an Fronleichnam, diesem merkwürdigen Feiertag, in dessen Genuss nicht alle hierzulande kommen und dessen tieferen Sinn (außer den Auftakt für ein langes Wochenende voller 9-Euro-Ticket-Züge zu bilden) so unchristliche Menschen wie ich nicht erklären können. Am Feiertag sollte man frei haben – meint mein stinkendfaules Unterbewusstsein und verweigert die vom Bewusstsein verordnete Power-Schreibsession! Ich bin nämlich heute mit dem pubertierenden Terrier allein. Draußen ist es hochsommerlich heiß (zu heiß fürs Pubertier und die alte Frau am anderen Ende der Leine) und eigentlich ideal, um in Ruhe an der winterlichen Geschichte zu schreiben, die in spätestens vier Wochen fertig sein muss. Macht ja nix, dass mir von den anvisierten 400 Seiten noch ungefähr 280 fehlen ...

Wie gesagt, ich wollte heute schreiben und mindestens 15, besser 20 Seiten vorweisen können. Faktisch sind es bis jetzt gerade mal 100 Worte. Nun ja. Dafür habe ich Spargel, Erdbeeren und Kirschen beim Spargelmann (der keinen Feiertag hat) gekauft und mehrere Levels eines echt peinlichen Spiels gemeistert. Währenddessen habe ich mich gepflegt dafür verachtet, dass ich nicht schreibe und auch sonst nichts Sinnvolles mache. Irgendwann reifte der Entschluss, dass wenn ich schon nicht am Manuskript arbeite, dann wenigstens der nächste Blogbeitrag in Angriff zu nehmen wäre. Blöd nur, dass mir kein Thema einfiel.

Und jährlich grüßt das Murmeltier?

Derart uninspiriert habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Zumal es bis vorgestern im Roman geflutscht ist (da habe ich soooooo eine witzige Szene geschrieben) und mir eigentlich immer etwas einfällt, worüber ich im Blog fabulieren könnte. Doch heute: Nada! Also wollte ich aus der Not eine Tugend machen und über mein sinnloses Nichtstun schreiben. »Prokrastinieren für Fortgeschrittene« sollte der Artikel heißen, doch eine die nervige innere Stimme meldete sich. »Das gab’s schon mal!«, plärrte sie auf ihre übliche Klugscheißer-Tour. Wollte ich nicht glauben, doch sie hatte recht: »Prokrastinieren für Fortgeschrittene« ging am 7.6.2021 online und wenn ich meinen Zeilen von damals Glauben schenken darf (und wie könnte ich nicht?), dann war ich vor einem Jahr in einer ziemlich ähnlichen Gemütsverfassung wie heute.

Mit dem Unterschied, dass ich mich damals bemüht habe, schlaue Erklärungen für meine Bocklosigkeit zu finden. Die treffen halbwegs immer noch zu, falls es also jemanden interessiert, kann gerne nachlesen. Am Ende hat mir meine kurze Kreativpause nicht geschadet (obwohl sie letztlich länger ausgefallen war, als gedacht, denn kurz danach ist Toni gestorben und ich hatte einen echten Grund, nicht schreiben zu können). Also sehe ich es sportlich oder eher entspannt: Meine innere Katholikin, die trotz Kirchenaustritt offenbar immer noch existiert, will heute Feiertag haben. Ab morgen kann ich dann wieder mit protestantischem Eifer in die Tasten hauen.

Airedale Terrier Scotty im Brunnen

Vielleicht gehe ich mit Scotty einfach nochmal zu unserem Lieblingsbrunnen auf dem Unigelände. Da kann man nämlich prima plantschen – und das ist allemal schöner als Schreiben. Oder Selbsthass.