Carin Müller bloggt ...

Live oder Konserve?

Trevor Noah und Axel Hacke - back to normal für mich

Mein guter Vorsatz für 2020 lautete am Silvesterabend: Mindestens einmal pro Woche etwas Schönes unternehmen: Kino, Konzert, Lesung, Freunde treffen oder Essen gehen. Eine intensive, arbeitsreiche Zeit lag hinter mir und ich fand es ehrlich gesagt schon ziemlich traurig, dass ich mir solche »Erlebnisinseln« überhaupt vornehmen musste, früher lief das irgendwie automatisch. Die ersten Wochen ließen sich auch gut an – mein Mann und ich haben jede Woche ein cooles Event auf dem Zettel gehabt. Zuletzt eine Lesung von Axel Hacke im Frankfurter Mousonturm. Und dann kam Corona.

Die Pandemie hat uns alle auf die ein oder andere Art getroffen, manche haben stärker darunter gelitten als andere – aber die Veranstaltungsbranche lag kollektiv und nachhaltig auf der Schnauze. Man hatte gefälligst zu Hause zu bleiben. Habe ich brav getan, mehr gearbeitet denn je und an den Abenden Netflix und Co. zum Glühen gebracht. Endlich hatte man mal die nötige Muße, Downton Abbey dreimal durchzubingen. Also gar nicht so schlimm, wenn die Filme nur am TV flimmern, die Musik aus den Kopfhörern kommt und man die Lesung von professionellen Hörbuchsprecher*innen in die Ohren geflüstert bekommt. Oder? Da spart man sich schließlich den Ärger über die lautstarken Popcorn- und Nachomampfer, über die notorischen Huster im Konzert und über die Autor*innen, die vielleicht toll schreiben, aber mies vorlesen.

Konservenfutter

Kulturelles Konservenfutter schien plötzlich nicht nur Notprogramm zu sein, sondern Tugend. Störungsfreier Genuss ganz nach dem eigenen Ablaufplan – inklusive passender Pinkelpausen und der Möglichkeit langweilige Stellen einfach zu überspringen. Super. Genau wie die ständige Verfügbarkeit. Herrlich. Vorbei die unseligen Zeiten, da man sich mühsam mit anderen Menschen zu einem Event verabreden musste oder Himmel und Hölle in Bewegung setzen musste, um Kinder-, Hunde-, Ehemannbetreuung oder am Ende auch noch Urlaub für das verdammt ungünstig liegende Ed Sheeran-Konzert einzuplanen. Man konnte sogar bräsig in Jogginghose auf dem Sofa sitzen bleiben und fühlte sich nicht gezwungen, sich die Haare zu kämmen und vielleicht saubere Klamotten anzuziehen. Bekam ja keiner mit. Außer den Mitbewohnern, aber die waren inzwischen ja schon genauso verlottert wie man selbst.

Ich gebe zu, mir kam das alles bis zu einem gewissen Punkt sehr entgegen. Als Teilzeit-Misanthropin und leidenschaftliche Stubenhockerin (hey, ich bin oft genug draußen in der Wildnis, wenn der Hund lüften muss!), war es mir eine Zeitlang ganz recht, dass ich mich nach acht oder zehn Arbeitsstunden nicht auch noch hübsch machen und ins Gewühl stürzen musste.

Doch irgendwann regte sich selbst in mir der Widerstand gegen das Konservenfutter. Um bei der kulinarischen Analogie zu bleiben: Warum Dosenravioli und TK-Pizza, wenn es frisch gekocht doch so viel besser schmeckt. Oder zumindest aufregender?

Live is life!

Es ging im letzten Jahr los, als ich in der Schlage des Frankfurter Impfzentrums stand, um mir den ersten, heißersehnten Pieks geben zu lassen. Das Impfzentrum befand sich ausgerechnet auf dem Messegelände, also genau da, wo sonst die Buchmesse tobt (und andere Veranstaltungen, aber die sind mir egal). Während ich so oft schon über die Buchmesse geschimpft habe – zu laut, zu voll, zu stickig, zu alles –, hätte ich in diesem Moment sehr viel dafür gegeben, mich endlich wieder ins Getümmel werfen zu dürfen. Tatsächlich fand die Messe 2021 sogar statt und ich war einen Tag lang unterwegs. War ein merkwürdiges Gefühl, mal wieder viele Menschen zu sehen. Aber auch sehr schön.

Doch bis das »richtige« Kulturleben wieder losging (zumindest für mich), dauerte es nochmal ein paar Monate. Das erste Event in bemerkenswerter Größe war tatsächlich wieder eine Lesung von Axel Hacke. Wieder im Mousonturm. Gut zwei Jahre waren zwischen den Veranstaltungen vergangen – und es war Autor und Publikum anzumerken, wie sehr uns alle diese endlosen Monate verändert haben. Es war vielleicht nicht die beste Lesung, aber für mich die schönste, denn ich war so unglaublich dankbar, dass es überhaupt wieder ging.

Vor ein paar Tagen dann die nächste Stufe: Trevor Noah in der Frankfurter Festhalle! Für ihn hatte ich 2019 zu Weihnachten ein Ticket für seine »Loud & Clear«-Tour im Mai 2020 bekommen. Zweimal wurde sie verschoben, jetzt fand sie statt. Allerdings mit einem anderen Titel: »Back to abnormal!« heißt sein aktuelles Programm und nimmt – u.a. unsere Pandemieerfahrungen aufs Korn. Es war grandios! Nicht nur die Show, die absolut fantastisch war, sondern die Tatsache, mit rund 6.000 schwitzenden Leibern um mich herum einen großartigen Entertainer genießen zu dürfen und Teil dieses lebendigen Organismus zu sein.

Um es mit der österreichischen Band Opus zu sagen: Live is life! Und ich kann es kaum erwarten, über mein nächstes Abenteuer zu berichten. Nächste Woche an dieser Stelle. Es wird um Abba gehen und die Queen ...

PS: Im Kino war ich auch mal wieder - Fantastic Beasts 3 - allerdings in der Mittagsvorstellung unter der Woche mit 10 anderen Menschen im Riesensaal. Man soll es ja nicht übertreiben.