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Buchtipp: Professor Schwurbelstein

Paul-Eduard Rück: Professor Schwurbelstein und die Aluhüte des Grauens, Lübbe

»Putin ist eigentlich ein Guter!« »Die Grünen sind Kriegstreiber und Vogelmörder!« »Corona ist nur ein Schnupfen!« Diese und vergleichbare Sprüche höre ich mit erschreckender Regelmäßigkeit und bin jedes Mal aufs Neue fassungs- und in letzter Konsequenz auch sprachlos über so viel kruden Irrsinn. Sachliche Gegenargumente helfen in solchen Situationen genauso wenig wie verächtliche Kommentare über die geistige Minderbemitteltheit des Gegenübers.

Das finde ich hochgradig frustrierend und so war ich lange auf der Suche nach Hilfe. Es gibt reichlich Tipps, wie man den Schwurblern dieser Welt begegnen soll (kurz gesagt: mit Offenheit und gleichzeitig klarer Kante), doch in der Praxis scheitere ich leider an meiner eigenen Schockstarre, die es mir unmöglich macht, mit Empathie und Zugewandtheit den Wahnsinn zu entkräften. Also sollte es wenigstens Entlastung sein. Gefunden wähnte ich die im Buch »Professor Schwurbelstein und die Aluhüte des Grauens« von Paul-Eduard Rück.

Rück bezeichnet sich in seiner Autorenbeschreibung als »Buchhändler in einer altehrwürdigen, von reptiloiden Overlods gegründeten Stadt. Die absurden Verschwörungsmythen, die während der Corona-Pandemie gesellschaftlich eskalierten, veranlassten ihn dazu, einen Instagram-Account ins Leben zu rufen, um die Parallelwelt der Aluhüte einem großen Publikum zugänglich zu machen. Er zeigt, dass der Fantasie dabei keine Grenzen gesetzt sind. Witzig und erschreckend zugleich.«

Überdosis Irrsinn

Das klang in meinen Ohren vielversprechend, genau wie sein Buch, das eine humorvolle Abrechnung mit den Aluhüten verspricht. Es lässt sich dann auch recht süffig und bissig an und mehr als einmal entfleuchte mir ein amüsiertes Kichern – bis mir das Lachen mehr und mehr im Halse stecken blieb.

Warum? Weil der verbreitete Schwurbelwahnsinn der Verschwörungserzählungen noch so viel irrsinniger und perfider ist, als ich es mir bislang überhaupt vorstellen konnte. Natürlich habe auch ich schon von Spinnern gehört, die wahlweise von der Scheiben- oder der Hohlerde ausgehen, die an reptiloide Außerirdische glauben, die uns alle lenken oder davon überzeugt sind, dass Kondensstreifen Chemtrails und somit Vernichtungswaffen und Impfungen in Wahrheit Tracker sind. So detailliert (und durchaus spitzzüngig bis bösartig) wie Rück diese Eskalationsspiralen des menschlichen Irrsinns beschreibt, kam ich aus dem Staunen und Grauen gar nicht mehr heraus. Die erhoffte Entlastung wurde mehr und mehr zur Belastung.

Zu viel Fantasie kann tödlich sein

Trotzdem komme ich nicht umhin, die Aluhüte für ihre ausgefuchsten Narrative zu bewundern. Auch wenn ihre Thesen häufig komplett sinnfrei sind und sämtliche wissenschaftliche, moralische und geschichtliche Erkenntnisse leugnen, in sich sind sie doch manchmal erschreckend schlüssig. Als Autor*innen absurder Dystopien hätten sie damit womöglich großen Erfolg. Doch stattdessen radikalisieren sich manche dieser Menschen immer weiter, bis sie keinen Ausweg mehr als Gewalt sehen.

Wie man davon ausgehen kann, dass es »Mächtige« gibt, die »uns alle lenken«, ist mir ohnehin schleierhaft. Jeder, der schon einmal in einer Großstadt wie Frankfurt versucht hat, einen Termin beim Bürgeramt zu ergattern, um den Ausweis zu verlängern, oder sieht, dass Gesundheitsämter und Gerichte immer noch auf die Top-Technologie Fax setzen, müsste wissen, dass ein derartiger Lenkungsanspruch mit großer Sicherheit auszuschließen ist.

Wie hat mir das Buch nun gefallen?

Ich habe gelernt, dass es noch viel absurdere Thesen gibt, als sie mir bislang zu Ohren gekommen waren. Das war gleichermaßen erhellend wie erschreckend. Rück leuchtet diese Erzählungen auch gnadenlos aus und lässt keinen Zweifel am Schwurbelgehalt übrig. Ich kann es menschlich auch absolut verstehen, warum ihm häufig die nötige Distanz und Ruhe fehlt, denn derart kruden Ansichten kann auch ich nicht mit Sachlichkeit begegnen (siehe oben). Trotzdem hat mir bei allem Amüsement letztlich die Entlastung gefehlt, die ich mir erhofft hatte. Aber das ist sicherlich vorwiegend mein eigenes Problem.

Und das ist der Klappentext:

Verschwörungsfantasien sind spätestens seit der Erfindung der YouTube-Universität ein fester Bestandteil des Internets und mittlerweile besonders aus den sozialen Netzwerken nicht mehr wegzudenken. Anhänger diverser Verschwörungsmythen rotten sich in zahlreichen Online-Communities zusammen, um sich gegenseitig in ihrer Anschauungsweise zu bestätigen. Dabei reicht die Auswahl von dubiosen unwissenschaftlichen Märchengebilden, krassen politischen Aussagen an der Grenze der Strafbarkeit, über skurrile pseudowissenschaftliche »Enthüllungen« bis hin zu schrägen esoterischen Weltanschauungen. Mit Witz und Scharfsinn erzählt der Autor von Verschwörungstheorien, die alles andere als harmlos zu bewerten sind und von Hirngespinsten, die weitrechende Konsequenzen haben können.

Paul-Eduard Rück: Professor Schwurbelstein und die Aluhüte des Grauens Lübbe, Mai 2022