Die Rache der »Moody Bitch« – mein erster Leserbrief
29.1.2024
bioidentische Hormone, Hormone, Leserbrief, Menopause, Sheila de Liz, Süddeutsche Zeitung, SZ, Wechseljahre, Werner Bartens, Women on Fire
Ladys, das hier ist für euch. Für uns alle!
Es gibt viele Dinge, die derzeit das Blut hochkochen lassen. Das geht mir nicht anders als den meisten. Ich finde es wichtig, sich eine eigene Meinung zu bilden und diese auch immer wieder zu hinterfragen. Trotzdem schätze ich auch den Diskurs mit Menschen, die andere Blickwinkel haben. Wenn vermeintliche »Idioten« dummes Zeug von sich geben, kann ich das halbwegs schulterzuckend abtun, wenn aber jemand, den ich sehr schätze, zu einem Thema, das mich akut triggert, tendenziösen Unsinn verzapft, muss ich mich dazu äußern.
In diesem Fall geht es um den Artikel »Streit um die Hormone«, den Werner Bartens, leitender Redakteur im Ressort Wissen der Süddeutschen Zeitung in der Wochenendausgabe vom 20.01.2024 veröffentlich hat.
Der Text ist im SZ-Plus-Abo zu lesen, also hinter der Bezahlschranke. Wer Abonnent:in ist, findet ihn hier:
Für das Verständnis meines folgenden Leserbriefs – der erste meines Lebens – ist der Originaltext aber nicht unbedingt erforderlich. Wer trotzdem die Quelle überprüfen möchte, wird hier fündig:
Doch nun zu meinem Leserbrief
Folgende Mail habe ich am 21.01. an Werner Bartens geschickt:
Hallo Herr Bartens,
herzlichen Glückwunsch – Sie haben mich nach über 30 Jahren als Abonnentin der Süddeutschen Zeitung zu meiner ersten Leserinnenzuschrift überhaupt motiviert. Ich schätze Sie seit vielen Jahren als Wissenschaftsjournalist, der es schafft, komplexe und komplizierte medizinische Themen verständlich und nachvollziehbar aufzubereiten und dabei durchaus häufig auch mit Charme und einem feinen Humor zu punkten. In der Sache aber bleiben Sie jedoch stets klar, neutral und sachlich. Normalerweise.
Von diesen Attributen vermisse ich in Ihrem aktuellen Beitrag »Streit um die Hormone« über die weiblichen Wechseljahre jedoch so gut wie alles. Zunächst einmal Kudos, dass Sie sich als Nicht-Betroffener diesem Thema widmen. Ich finde es – vollkommen ironiefrei – sehr gut, wenn auch Männer sich dem Mysterium Menopause annähern. Es kann meiner Meinung nach gar nicht genug an Aufklärung geben. Selbst die meisten Frauen wissen gar nicht, was diese Lebensphase alles beinhalten kann. Und wie viel Leid sie häufig erzeugt.
Hitzewallungen, Stimmungsschwankungen und Schlafstörungen bringen womöglich noch die meisten Menschen mit dem Phänomen Klimakterium in Verbindung, aber dann hört es auch schon auf. Dass die Symptomatik viel weitläufiger sein kann – Herzrhythmusstörungen, Tinnitus, Migräne, Gelenkschmerzen, Inkontinenz, Gewichtszunahme, und einiges mehr –, davon haben die wenigsten im Zusammenhang mit Wechseljahren gehört. Ich auch nicht. Bis ich versucht habe, einigen dieser für mich recht plötzlich und unerklärlich auftauchenden »Befindlichkeitsstörungen« auf die Spur zu kommen.
Für mich war das Buch »Woman on Fire« eine Offenbarung, weil zum ersten Mal jemand sehr offen und schonungslos beschrieben hat, was es bedeutet, eine mittelalte Frau zu sein. Dass man Frau de Liz Populismus und einen gewissen simplifiziert dargestellten Beratungseifer unterstellen kann – vielleicht sogar muss –, geschenkt. An ihrer Aufklärungsleistung ändert das jedoch nichts. Zum ersten Mal sind Betroffene in der Lage, Zusammenhänge zu erkennen und in der Konsequenz daraus, ihren Ärztinnen und Ärzten qualifizierte Fragen zu stellen. Wobei ich an dieser Stelle leider auch anmerken muss, wie wenig sich bislang auch große Teile der Ärzteschaft mit dem Komplex Menopause auseinandergesetzt haben – wie viel Ahnungslosigkeit und Vorurteile dort herrschen. Klar, es betrifft ja auch nur die Hälfte der Bevölkerung. Unwichtig ...
Einen Rant über die Ungerechtigkeiten der Gendermedizin kann ich mir bei Ihnen glücklicherweise sparen, weil Sie dies ja selbst schon einige Male thematisiert haben. Erst letzte Woche habe ich mich jedoch mit einer Endokrinologin unterhalten, deren Lieblings-Ausflipp-Thema die miese Osteoporose-Prophylaxe ist – ein Problem, das auch mit dem Absinken der weiblichen Hormone während der Menopause zusammenhängt, wie Sie zweifellos wissen. Oder auch nicht.
Denn die Art und Weise, wie sie erstens ziemlich tendenziös die Praktiken von Frau de Liz abkanzeln und zudem implizieren, dass ja »etwa die Hälfte der Frauen rund um die Menopause nur wenige Beschwerden hat«, finde ich schon recht fragwürdig. Im Weiteren wettern Sie auf die »bioidentischen« Hormone – vorwiegend auf eine semantische Art und Weise, statt einer fundiert inhaltlich sachlichen. Sie zitieren die große WHI-Studie von 2002, die von vielen Expert:innen als schlecht gemacht gilt (u.a. von oben genannter Endokrinologin) und schüren damit wieder unnötig Angst.
»Ein Drittel ist jedoch so stark beeinträchtigt, dass sie ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen«, geben Sie zu. Ich bin mir sicher, es sind deutlich mehr, doch diese Frauen wenden sich wegen anderer Symptome an ihre Ärzt:innen – weil sie gar nicht ahnen, dass beispielsweise ihre Herzprobleme an einer Hormondisbalance liegen können. Sie zitieren im Weiteren zahllose Expert:innen, suggerieren dabei aber stets, wie fragwürdig Sie die Hormonersatztherapie finden und kommen wenig subtil zum Schluss, dass Wechseljahre keine Krankheit sind und daher eigentlich auch nicht therapiert werden müssen: Gute Ernährung, frische Luft, Bewegung und ein bisschen Stressreduktion werden es schon richten!
Hormone mögen kein Allheilmittel sein. Eine Hormontherapie hat womöglich auch problematische Seiten. Das mag sein. Doch das Schlusswort Ihres Artikels ist dann die finale Klatsche für alle Betroffenen. »Für Frauen in den Wechseljahren heißt das als möglicher Ausweg aus dem Dilemma, für sich herauszufinden, welche Form der Ernährung, Bewegung, des Stressabbaus und Alltags – und womöglich medizinischer Hilfe – ihnen guttut. Das wäre ziemlich natürlich. Und bioidentisch sowieso.«
Nein, das ist nicht nur eine Ohrfeige für die Betroffenen, sondern für alle Frauen! Denn wie haben wir es vergessen können, dass wir einfach zu doof sind, das grundlegende Einmaleins des Lebens zu begreifen? Esst doch einfach mehr Gemüse und Vollkornbrot, besucht einen Yogakurs und geht mal in den Park, dann gehen die Wechseljahrsbeschwerden ganz von alleine weg. Gut, dass es Männer gibt, die uns sagen, wie es funktioniert. Herzlichen Dank dafür.
Und ich freue mich auf Ihren nächsten Artikel, in denen Sie Männern mit Erektionsstörungen dasselbe vorschlagen. Soweit ich weiß, basiert der Großteil der erektilen Dysfunktionen ebenfalls auf »einer natürlichen Phase und keiner Krankheit«, warum sollte man sie also anders behandeln? Nicht? Ach so, klar, es handelt sich ja schließlich um Männer und den Leidensdruck kann sich keine Frau vorstellen. Muss man verstehen ...
Wäre es nicht eine hübsche Utopie, lieber Herr Bartens, wenn sich all die geplagten mittelalten Männer und Frauen zu Achtsamkeitsgruppen in Parks und zu Kochkursen zusammenfinden würden, um sich ganz auf ihr natürliches Selbst in dieser »Phase« konzentrieren zu können? Das wäre womöglich ein bisschen schlecht für die Gesellschaft und die Wirtschaft, aber sei’s drum. Medizin und Wissenschaft könnten sich dann auch wieder auf wichtigere Dinge konzentrieren.
Es grüßt Sie
die marginalisierte, ziemlich verärgerte »moody bitch«
Carin Müller
Updates
Etwaige Antworten oder sonstige Updates werde ich an dieser Stelle posten.
Über den Ratgeber Woman on Fire von Sheila de Liz habe ich 2022 bereits einen Artikel geschrieben.