Carin Müller bloggt ...

Schreibmythos: Schnellschreiben ist Murks

Was ist dran an diesem Schreibmythos?

Quantität hat nichts mit Qualität zu tun. Punkt. So banal, so simpel und nicht von der Hand zu weisen. Das wirklich auf jeden Lebensbereich anwendbar, doch wenn es um den Output von Schreibenden geht, scheint diese Grundregel plötzlich nicht mehr zu gelten.

»Was? Du schreibst X Bücher im Jahr? Das kann ja nicht funktionieren. Da kann ja nur Murks dabei herauskommen.« Mit dieser steilen These sind schon alle Kolleg:innen konfrontiert worden, die mehr als einen Roman im Jahr veröffentlichen. Gelegentlich von Menschen, die von sich behaupten, Bücher zu mögen – ich will sie nicht Lesende nennen, denn in der Regel haben diese Leute natürlich noch keine einzige Geschichte der angesprochenen Kollegin konsumiert. Viel schlimmer ist jedoch die Tatsache, dass man diese Sprüche vorwiegend von anderen Autor:innen hört. Gerne garniert mit dem Zusatz: »Ich schreibe höchstens ein Buch pro Jahr. Manchmal brauche ich sogar länger. Würde ich schneller schreiben, würde sofort die Qualität leiden.«

Tief durchatmen

An dieser Stelle muss ich dann innerlich langsam bis drei zählen – manchmal auch bis zehn – und mir Schmetterlinge vorstellen, die an wunderschönen Blumen Nektar saugen. Alles, um nicht in eine Bluthochdruckskrise zu kommen.

Denn mit Verlaub: Diese Behauptungen sind vollkommener Bullshit! Siehe oben: Quantität hat nichts mit Qualität zu tun. Nur für den Fall, dass man das vergessen hat.

Ich selbst habe vor ziemlich genau neunzehn Jahren mit dem Schreiben von Romanen angefangen. Von der ersten Idee im Februar 2005 bis zur Veröffentlichung im September 2009 ist sehr viel Wasser den Main hinuntergeflossen. Es hat unglaublich lange gedauert. Demnach muss es mein brillantestes Buch überhaupt sein, weil ich mir für kein anderes so viel Zeit genommen habe. Spoiler: Ist es nicht. Die Geschichte ist süß, aber heute würde ich sie nicht mehr so schreiben – egal ob mit oder ohne Co-Autorin. (»Mopsküsse« war nämlich ein Gemeinschaftswerk mit meiner Freundin Micha.)

Schreiben ist in erster Linie ein Handwerk, das man nicht nur lernen kann, sondern meiner Meinung nach auch dringend muss. Und wie jede handwerkliche Fähigkeit verbessert sie sich bei konstanter Übung immer mehr. Man wird allein schon dadurch zwangsläufig schneller, weil man irgendwann nicht mehr darüber nachdenken muss, wie ein lebendiger Dialog aufgebaut werden soll, wie ein gelungener Perspektivwechsel funktioniert (oder ob er überhaupt Sinn macht), und wie man aus einer simplen Idee einen tollen Roman macht - mit einem Anfang, einem Ende und ein paar überraschenden Wendungen dazwischen.

Hat jemand für diesen Prozess nur wenig Zeit, weil Familie, Brotjob, Haustiere und andere Hobbys Aufmerksamkeit fordern, dauert das Lernen läger, kann man mehr Zeit investieren, klappt es deutlich schneller. Doch diese so offensichtliche Wahrheit lassen Kritiker:innen gerne außer Betracht.

Künstler:innen vs. Handwerker:innen

Natürlich kommt jetzt gleich die Kunstkeule. Klar. Denn wer hat nicht den Anspruch beim Schreiben ein fragiles, atemberaubend schönes Objekt der Hochkultur zu produzieren? Falls es nicht deutlich wurde: Das war Ironie.

Tatsächlich ist es in der Buchbranche so, wie in allen anderen Kunstsparten auch: Die talentierten, versierten Handwerker:innen, die wissen, was sich der Markt wünscht, sind erfolgreicher (zumindest monetär gesehen) als die elitären Künstler:innen. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel.

Damit will ich nicht sagen, dass sich Handwerker keine Mühe geben, besonders schöne und originelle Stücke herzustellen, denn das tun sich oft schon aus eigenem Anspruch heraus, sondern schlicht, dass sie ziemlich genau wissen, was sich ihre Kunden wünschen.

Glückliche Kunden = glückliche Handwerker = Geld auf dem Konto.

Autor:innen vs. Literat:innen

Das mit dem Geld auf dem Konto ist in der Buchszene ohnehin nicht ganz so einfach. Bücher sind verdammt billige Produkte, bei denen nur eine recht geringe Marge übrig bleibt. Wo also ansetzen?

In einer idealen Welt, gäbe es Verlage, die jedem ihrer Autor:innen einen mindestens sechsstelligen Vorschuss bezahlen, damit sie ein oder zwei Jahre nichts anderes tun müssten, als am nächsten Meisterwerk zu feilen. Leider gibt es dieses Ideal nicht (von Ausnahmen, die sich im Promillebereich bewegen, mal abgesehen).

Bleibt also nur ein Ausweg: Man muss die eigene Effizienz steigern, sprich schneller schreiben.

Womit wir wieder am Eingangs-Dilemma wären: »Viele Bücher pro Jahr bedeutet angeblich zwangsläufig miese Qualität!«

Dabei ist »viele« oder das oben genannte »X« noch gar nicht definiert. Denn an diesem Punkt kommt es auf die Perspektive an. Ich persönlich schreibe und veröffentliche seit 2020 im Schnitt drei bis vier Bücher pro Jahr. Um auf dieses Niveau zu kommen, habe ich fast fünfzehn Jahre (und die Pandemie) gebraucht. Seit 2020 ist das Romaneschreiben auch mein Hauptberuf, ich kann mich also ausschließlich darauf konzentrieren. Wobei ungefähr die Hälfte der Arbeitszeit für Marketing und verlegerische Tätigkeiten draufgeht, aber das ist eine andere Geschichte.

Für mich ist damit (vorerst jedenfalls) das Maximum an Output erreicht. Ich weiß, dass sich viele meiner Fans mehr Bücher von mir wünschen würden. Einige Kolleg:innen finden diese Schreib- und Veröffentlichungsfrequenz dagegen erstaunlich bis fragwürdig (»Kann das denn was taugen?«).

Auf der anderen Seite bin ich Mitglied in einer tollen WhatsApp-Schreibgruppe. Wir sind seit Jahren eine verschworene Gemeinschaft von einem Dutzend Autorinnen – und ich gehöre zu den Schnecken in dieser Truppe. Die meisten dieser wunderbaren, talentierten Frauen schreiben mindestens doppelt so viele Bücher wie ich. Ich bewundere sie unendlich für ihren Fleiß, ihre Hingabe und ihre Effizienz, denn viele von ihnen haben auch noch diverse Kinder, Haustiere und andere Verpflichtungen.

Werden ihre (und meine) Bücher irgendwann einen renommierten Literaturpreis gewinnen? Womöglich nicht. Aber diese Geschichten machen sehr viele Menschen sehr glücklich und sorgen für (ein bisschen) finanzielle Sicherheit. Welcher Hochliterat kann das schon von sich behaupten?

»Übung macht den Meister« (und die Meisterin)

Noch so eine Plattitüde, aber auch sie ist wahr. Wer regelmäßig schreibt und dabei an seinen Fähigkeiten feilt, wird zwangsläufig besser (und schneller) werden. Ich hab das weiter oben schon einmal erwähnt, aber derart schnöde Fakten werden ja gerne ignoriert. Besonders motivationssteigernd ist übrigens auch das begeisterte Feedback der Fans. Dafür muss man aber gelegentlich ein Buch veröffentlichen ...

Ob ein Buch oder ein Dutzend pro Jahr – die schiere Anzahl sagt nichts über die Qualität der Geschichten aus. Und nur weil jemand ineffizient oder einfach faul ist, schreibt er/sie keine besseren Romane!

So will ich das Vorurteil einfach mal umdrehen: Ineffizienz ist nicht zwangsläufig Qualität. Vor allem dann nicht, wenn diese Person zu wenig Vorstellungskraft besitzt, dass man auch ohne unerlaubte Tricksereien (noch so ein Vorurteil) ziemlich flott sehr gute Geschichten schreiben kann ...