Carin Müller bloggt ...

Es darf schwierig sein

how to not be an asshole - wie man es schafft, kein Arschloch zu sein

»10 Kilo weg in 10 Tagen!«

»Mit Leichtigkeit zum Wunschgewicht!«

»Eine Million Euro in einem Jahr!« (Wenn man selbst dafür arbeitet.)

»34 Millionen am Samstag!« (Wenn man Lotto spielt.)

»In jeder Sekunde verlieben sich zwei Singles!«

»Nur wenige Pikse zur glatten Stirn!«

Die Welt ist voller Versprechen, die einfache Lösungen für komplexe Probleme versprechen. Und wir armen, dummen Menschenkinder, die wir in einer immer komplexer werdenden Welt leben, wollen um jeden Preis an diese Zusagen glauben. Auch wenn wir es eigentlich besser wissen.

Selbstverständlich ist es möglich, zehn Kilo in zehn Tagen abzunehmen – aber nur durch radikalste Maßnahmen. Und dann ist (wenn man sich nicht chirurgisch von mehreren Pfund reinem Fett getrennt hat) vor allem Wasser verschwunden. Und vermutlich auch Muskelmasse. Vom Jo-Jo-Effekt, der sich bereits vergnügt die Hände für den Gegenschlag reibt, ganz zu schweigen.

Natürlich kann man auch im Lotto gewinnen. Theoretisch. SEHR theoretisch. Wenn man ein Glücksritter ist und Wahrscheinlichkeiten für Humbug hält. Langfristig hat man erwiesenermaßen definitiv mehr davon, wenn man die Wetteinsätze einfach spart, aber hey, das ist langweilig, langwierig und einfach nur doof.

Und ja, die Liebe kann wie ein Blitz zuschlagen – notfalls auch in Form eines Algorithmus –, und das mit den Nervengift-Injektionen in die Stirn klappt auch. Kostet halt eine Kleinigkeit und hält nicht ewig.

Leichtigkeit ist eine Lüge

Während ich grundsätzlich den Wunsch nach einfachen Lösungen nachvollziehen kann, ist diese Leichtigkeit in meinen Augen (fast) immer eine Lüge. Im besten Fall bescheißt man nur sich selbst damit, im schlimmsten das Land oder die ganze Welt.

Gerade habe ich zwei Absätze gelöscht, in denen ich weitere süffige Beispiele aufgezeigt habe, aber ehrlich gesagt geht es mir mit diesem Text nur um eine Sache. Um die größte überhaupt: um Menschlichkeit.

Letzte Woche habe ich in meinem Artikel »Zwischen Faultier und Lama« von dem simplen Anti-Schreibblockaden-Rezept erzählt. »Kann ich den nächsten Satz in meinem Manuskript schreiben? Nur den einen nächsten Satz?« Die Antwort wird fast immer ja lauten.

Daher würde ich mir sehr wünschen, wenn du und ich und Herr Merz und Frau Weidel, die Diktatoren – Pardon: Präsidenten P und T und jeder andere Mensch sich regelmäßig folgende Frage stellen: »Schaffe ich es, in der nächsten Minute kein Arschloch zu sein? Nur in der nächsten Minute?«

Von da aus könnte man sich von Minute zu Minute weiterhangeln. Würde vielleicht irgendwann aufhören, Lügen zu erzählen und die Mitmenschen (das Volk) für dumm zu verkaufen. Würde womöglich zugeben, dass die Dinge ganz schön schwierig und kompliziert sind. Aber dass das in Ordnung ist. Wir sind intelligente Geschöpfe und so angelegt, auch komplexe Probleme zu lösen. Indem wir zusammenhalten. Indem wir unser Hirn nutzen. Indem wir einen Schritt nach dem anderen gehen. Nicht aufgeben, wenn wir mal straucheln, sondern wieder von vorne anfangen. Indem wir erkennen, dass die eigentlichen Herausforderungen in aller Regel viel tiefer liegen, als es auf den ersten Blick den Anschein macht. Dass beispielsweise nicht kriminelle »Flüchtlinge« das Hauptproblem sind, sondern die Gründe für die Flucht.

Lösungen dürfen schwierig sein

Abkürzungen stimmen – wenn überhaupt – nur kurzfristig fröhlich. Mag sein, dass sich für manche Leute die Zehn-Kilo-Radikalkur für ein glamouröses Foto lohnen mag, aber die meisten Lottogewinner sind nach dem Geldsegen nicht nennenswert glücklicher und zufriedener als vorher.

Dagegen macht es uns ziemlich happy, wenn wir uns nützlich fühlen. Wenn wir kleinere und größere Herausforderungen grundlegend angepackt und geschafft haben. Egal, ob es ein solides Fundament für ein Haus ist, eine große Prüfung, das Wunschgewicht, ein Buch … was auch immer. Wenn wir uns anstrengen mussten. Uns Mühe gegeben haben. Oft genug vergeblich, es dann aber wieder und wieder versucht haben, weil wir bei jedem Versuch besser geworden sind. Wenn uns klar geworden ist, dass es sich lohnt, für Werte zu kämpfen.

Für Anstand.
Für Mitgefühl mit allen anderen Lebewesen.
Für das Klima.
Für unsere Demokratie.
Für echte globale Gerechtigkeit.
Für die Liebe.

Es ist gar nicht so schwer. Einfach eine Minute kein Arschloch sein und die Übung wiederholen.