Carin Müller bloggt ...

Warum ich den Regenbogen schwenke

Regenbogen-Szenario anlässlich des Pride Months

»Ich hätte nicht gedacht, das ausgerechnet du uns mit so einem Zeug belästigst!« So lautete die harmlosere der beiden Nachrichten, die ich auf mein letztes Dienstags-Update erhalten habe, in dem ich es gewagt habe, auf den »Pride Month« hinzuweisen. Ich? Die mittelalte, hetero, weiße Frau, die angeblich »gar nicht betroffen« ist.

Spoiler: Ich bin betroffen – nämlich davon, dass mir Vielfalt am Herzen liegt. Und ich lasse mir nicht verbieten, das laut zu sagen.

Die drastischere Reaktion will ich hier nicht zitieren, um dieser Person keine Plattform zu bieten. Es war sehr entlarvend und hat mich ehrlich erschüttert.

Der (gar nicht mal so) kleine Schockmoment

Eigentlich dachte ich, wer meine Bücher liebt, weiß: Kirkby & Co sind bunter als jeder bayerische Maibaum. Sollte wissen, dass Vielfalt für mich kein modisches Accessoire ist, sondern der Pulsschlag meines Schreibens.

Ich habe sehr viele nette und positive Nachrichten auf meinen »bunten Newsletter« erhalten, doch die beiden empörten Mails haben mich kalt erwischt. Auch wenn zwei Reaktionen unter gut 5.000 Abonnent*innen überschaubar sind, dürfte die wahre Quote doch deutlich höher liegen.

Erst war ich schockiert (»Kann das wirklich sein?«), dann verunsichert (»Sollte ich lieber gar nichts Politisches schreiben?«) – und schließlich entschlossen: Gerade weil ich wenig persönliches Risiko trage, werde ich (weiterhin) meine Stimme nutzen.

Darf ich mich da überhaupt einmischen?

Kurz und knackig: Ja!

Und etwas ausführlicher drei Gründe, warum ich als hetero Autorin trotzdem den Mund aufmache:

1. Bücher formen Weltbilder. Wenn meine Romane nur die eine, immergleiche Norm abbilden, trage ich dazu bei, dass sie unverrückbar scheint.

2. Repräsentanz schenkt Mut. Leser*innen, die sich in Figuren wiederfinden, hören auf, sich allein zu fühlen.

3. Schweigen nützt den Falschen – und den Lautesten. Gerade weil ich persönlich wenig Risiko trage, schulde ich denen, die täglich Anfeindungen erleben, meine Stimme – ohne mir anzumaßen, für sie zu sprechen. Ich kann aber mit ihnen sprechen und ihnen Raum geben. Die Lautesten dagegen sind gerade oft die, die Regenbogenflaggen am liebsten verbieten würden. Das finde ich unerträglich.

Pride Month – einmal Hintergrund zum Mitnehmen

Der Pride Month erinnert an den Stonewall-Aufstand von 1969, als queere Menschen in New York ihre ersten großen, sichtbaren Proteste gegen Polizeigewalt und staatliche Repression wagten. Das war der Startschuss für die moderne LGBTQ+-Bewegung. Seither hat sich zum Glück viel bewegt – doch die Errungenschaften sind leider keineswegs gesichert:

Der erste deutsche Christopher-Street-Day fand 1979 in Berlin statt. Heute ist ein Riesenevent in etlichen Städten mit Hunderttausenden Teilnehmenden. Warum nicht einfach mal hingehen und Konfetti werfen? Oder gerne auch mit einer Spende unterstützen. Mehr Infos gibt’s u.a. auf der Seite vom CSD-Berlin.

2025 – leider immer noch nötig

In den USA werden 2025 über 700 queerfeindliche Gesetzesvorhaben gleichzeitig verfolgt. Die ACLU zählt 588, andere Tracker kommen sogar auf über 850 Initiativen.
Quelle: The 19th News

Die EU-Grundrechteagentur meldet einen deutlichen Anstieg von Hassgewalt gegen LGBTIQ-Menschen in Europa – besonders junge Menschen sind betroffen.
Quelle: fra.europa.eu

Vor wenigen Woche erst erst erklärte die Generalanwältin des EuGH das ungarische »Propagandagesetz« für menschenrechtswidrig. Ein wichtiger Fingerzeig – aber noch keine Entscheidung.
Quelle: The Guardian

Und Kampagnen wie »Wähl Liebe« riefen in Deutschland kurz vor der Bundestagswahl zum »Winter-CSD«, weil Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist. Das Ergebnis kennen wir ... *seufz*

Kurz: Pride Month bleibt Protest, nicht Partydeko.

Vielfalt zwischen Buchdeckeln – ein Blick in meine Roman-WG

Kristie Fraser, die in fast allen Kirkby-Romanen eine wichtige Rolle spielt, ist seit »Highland Happiness – die Töpferei von Kirkby« mit der äthiopischen Künstlerin Yeshi zusammen.

Timmy, zahnmedizinischer Fachangestellter, der in der Zahnarzt-Praxis von Brodie Henderson arbeitet und sich selbst als pansexuell identifiziert.

Lisa, eine von vier Protagonistinnen, aus meiner »California Roomies«-Reihe ist Schwarz, bi und sexuell sehr experimentierfreudig, bis sie in Kate ihre ganz große Liebe findet und mit ihr sogar eine Familie gründet.

Nicht queer, aber POC ist Jon Grant. Der smarte Pubwirt ist Protagonist in »Highland Hope – Ein Pub für Kirkby« und seitdem eine der beliebtesten Figuren in Kirkby. Er hat multiethnische Wurzeln und eine dunkle Hautfarbe.

Ebenfalls nicht weiß ist Kiona Brooks, die Protagonistin aus »Lebe, als gäbe es kein Morgen«. Sie ist indigener Herkunft.

Oder die die beiden süßen Kinder Archie und Ada von Esther Johnson (Protagonistin in »Lausche den Klängen deiner Seele«) – sie sind beide gehörlos.

Und das ist nur die Spitze meines bunten Eisbergs – wer die Kirkby-Crew und meine anderen Romane kennt, weiß, dass ich fast schon ein internes Diversity-Quota erfüllen müsste, um nicht den Überblick zu verlieren …

Warum ich das schreibe – und weiterschreibe

Weil Liebe Liebe ist.

Weil Andersartigkeit niemandem wehtut, sondern Horizonte erweitert.

Weil jede Regenbogen-Randfigur in meinen Büchern vielleicht irgendwo auf der Couch eines jungen Menschen landet, der gerade dringend ein »Du bist okay« braucht.

Wenn dir das nicht passt, darfst du gern zu anderen Romanen greifen.

Alle anderen: Kommt mit auf die Reise, hisst die Fahnen, lest laut, liebt laut, lebt laut. Ich tue es auch.

Bleib bunt – nicht nur im Juni.