Carin Müller bloggt ...

Wie viele Bücher passen in ein Leben?

Lebensbibliothek und die große Frage, wie viele Bücher ein Mensch in seinem Lebne liest.

Ich habe ehrlich keine Ahnung, wie viele Bücher ich in meinem Leben schon gelesen habe. Wenn ich davon ausgehe, dass ich ungefähr mit 9 Jahren angefangen habe, alleine und zu meinem Vergnügen zu lesen (ich war ein typisches »mit der Taschenlampe unter der Bettdecke«-Kind) und auch heute noch täglich wenigstens ein paar Zeilen oder Kapitel schmökere, komme ich auf durchaus beeindruckende Zahlen. Lege ich nur 50 Bücher pro Jahr zu Grunde (also weniger als ein Buch pro Woche), dann wäre ich jetzt schon bei weit über 2.000 Titel. Vermutlich sind es deutlich mehr.

Aber wenn ich eines gelernt habe, dann, dass man sich selbst nicht als Maßstab nehmen darf. Und so stellt sich mir die Frage, wie viele Bücher ein durchschnittlicher Mensch in seinem Leben liest.

Wie viele Bücher liest ein Mensch in seinem Leben?

Es klingt nach einer simplen Frage, doch weder das Statistische Bundesamt noch UNESCO & Co. erfassen »Bücher pro Lebenszeit«. Die Behörden erfassen lediglich Momentaufnahmen, etwa wie lange wir täglich schmökern oder wie viele Titel wir im letzten Jahr gekauft haben. Dennoch lassen sich aus diesen Splittern plausible Lebens-Summen bauen:

Die jüngste Zeitverwendungserhebung 2022 zeigt: Menschen in Deutschland widmen dem Lesen durchschnittlich 27 Minuten pro Tag – gedruckt oder digital. Interessanterweise entfallen davon zwölf Minuten explizit auf Bücher, der Rest auf Zeitungen und andere Texte. (Börsenblatt) Wer tatsächlich Bücher kauft, greift indes immer öfter zu mehreren Titeln: Eine GfK-Analyse weist für das Jahr 2022 bereits 11,7 erworbene Bücher pro Käufer*in aus, ein Anstieg von fast 24 Prozent gegenüber 2017.

Flächendeckend gelesen wird hierzulande also erfreulicherweise weiterhin – laut einer Bitkom-Umfrage von 2024 bezeichnen sich 81 Prozent der Deutschen als Buchleser*innen, 40 Prozent davon wechseln gelegentlich ins E-Book-Format.

International zeichnen die Umfragen dagegen recht unterschiedliche Bilder: In den USA lag der Mittelwert laut Gallup (2021-22) zuletzt bei 12,6 gelesenen Büchern pro erwachsener Person und Jahr, während eine YouGov-Befragung in Großbritannien Anfang 2025 einen doch ziemlich schockierenden Median von nur drei Büchern zeigte – bei 40 Prozent völligen Nicht-Lesern!

Vom Jahreswert zur Lebenssumme

Wie verwandelt man solche Jahresschnitte in eine lebenslange Bibliothek? Zwei Etappen genügen:

1. Die Lesephase abstecken: Realistisch beginnt intensives, selbstbestimmtes Lesen angeblich erst um das 15. Lebensjahr; jenseits der 80 nehmen Seh- und Konzentrationsfähigkeit spürbar ab. Demnach bleiben rund 65 Jahre aktive Lesezeit.

2. Den individuellen Jahreswert ansetzen: Wenn man den deutschen Mittelwert von abgerundet 10 Büchern pro Jahr nimmt, landet man bei 65 Lesejahren bei rund 650 Büchern. Nicht so schrecklich viel, oder?

Es gäbe aber noch eine andere Berechnungsgrundlage: Wer sein Leseleben an den statistisch erfassten 27 täglichen Minuten orientiert, verschlingt weit mehr. Rechnet man mit etwa 250 Wörtern pro Minute und 90.000 Wörtern pro üblichen Roman, ergibt sich eine Jahresleistung von ungefähr 27 Büchern. Auf 65 Jahre hochgerechnet wären das bereits 1.750 Titel.

US-Leserinnen, die dem Gallup-Durchschnitt von 12,6 Büchern folgen, kommen auf gut 820 Werke; die mittlere Britin mit drei Büchern pro Jahr dagegen nur auf etwa 200.

Die Spanne ist enorm – und doch zeigt sie klar: Schon wer sich jeden Monat nur einen Roman gönnt, überschreitet mühelos die Tausend-Bücher-Marke.

Warum die Rechnung schwankt

Lebensläufe sind keine Geraden. In Kinder- und Jugendjahren verschlingen manche alles mit Buchstaben, Student*innen lesen fachlich viel, in ihrer Freizeit wenig. Später lassen womöglich Job und Kinder die Leselust erschlaffen, während Pensionär*innen häufig wieder deutlich mehr Muße zum Lesen finden. Umfragen beruhen außerdem auf Selbstauskünften – Erinnerungs- und Wunsch-Effekte inklusive. Und: Gekauft heißt noch lange nicht gelesen, siehe SUB, den berühmten »Stapel ungelesener Bücher«.

Was bleibt unterm Strich?

Es gibt keine amtliche Endsumme. Aber die vorhandenen Daten verraten, dass der »Durchschnitt« überraschend bescheiden ist: Wer konsequent ein Buch im Monat liest, gehört schon zur oberen Liga. Gleichzeitig zeigt die Hochrechnung, wie mächtig kleine Routinen werden, sobald sie Jahrzehnte lang halten.

Vielleicht ist das die wichtigere Erkenntnis für uns alle: Nicht zählen macht den Unterschied, sondern anfangen – und dranbleiben. So wächst ganz nebenbei eine riesige, sehr persönliche Bibliothek. Und jedes einzelne Buch ist eine gelesene Lebensstunde, die niemand mehr streichen kann.