Carin Müller bloggt ...

Babys vs. Angestellte

Warum Book-Babys eher kontraproduktiv sein können.

»Juhuuuuu – mein neues Buchbaby ist da!!!«, schallt es regelmäßig enthusiastisch durch die sozialen Medien und auch in vielen Newslettern habe ich diesen Satz schon in drölfzig verschiedenen Abwandlungen gelesen. Ich selbst habe ihn natürlich auch schon geschrieben. Mehrfach sogar. Allerdings immer mit diesem peinlich-berührten Cringe-Gefühl im Nacken. Doch hey, wenn es alle tun, kann es doch gar nicht schlecht sein, oder?

Die Leserinnen finden es ja schließlich süß! Oder? Ich habe übrigens bewusst nicht gegendert, denn ich wage zu bezweifeln, dass es viele lesende (und bücherkaufende) Männer gibt, die man mit einem verzückt bejubelten Buchbaby begeistern kann. Und ausnahmsweise muss ich dem anderen Geschlecht mal beipflichten, wenn sie den Papiernachwuchs albern finden.

Ehrlich gesagt ist es sogar komplett bescheuert!

Mein Aha-Moment

Meinen persönlichen Aha-Moment hatte ich aber auch erst in jüngerer Vergangenheit. Vor einigen Wochen hat die Britin Joanna Penn in einem Gespräch in ihrem Podcast »The Creative Penn« davon gesprochen, wie doof sie den Begriff »book baby« findet und ihre Bücher lieber als ihre Angestellten bezeichnet: »My books are my employees!«

Einen Moment lang habe ich gestutzt, denn hui? Angestellte? Ist das nicht arg unromantisch? Schließlich habe ich doch Zeit und Liebe und vielleicht sogar Blut, Schweiß und Tränen in die Entstehung des verdammten Romans investiert. Ich litt an »Schwangerschaftsübelkeit« beim Schreiben (wenn mal wieder nichts zusammenlief in der Geschichte) und Schmerzen bei der Geburt (wenn der Algorithmus eines dominierenden Versandhändlers mal wieder unpässlich war und die Neuveröffentlichung schlicht ignoriert).

Bis zu diesem Punkt mag die Analogie ja noch funktionieren. Es ist oft verdammt mühsam, ein Buch zu schreiben und es zu veröffentlichen. Manchmal dauert die »Schwangerschaft« sogar länger als bei Elefanten oder Drachen (ich denke da nur an meine »Ozeanschwimmerin«), und ja, idealerweise hat man wirklich alles an Liebe und Hingabe in dieses Werk gesteckt. Aber spätestens ab der Veröffentlichung hört es dann auch auf mit den Parallelen.

Warum die Baby-Analogie Quatsch ist

Ich möchte, dass mein Buch gut performt. Dass es andere Menschen begeistert. Möglichst viele davon. Ich will, dass sie sich über das Buch in ihrem Freundeskreis und auf ihren Social-Media-Profilen in aller Breite auslassen. Ich will Fotos von meinem Buch sehen. So, so, sooooo viele Fotos. Und verdammt noch mal: Ich will, dass es Geld auf mein Konto spült!!

Um meinen Protagonisten George King aus »Highland Crime – Der Tote im Whiskyfass« lose zu zitieren: »Das Strömungsverhalten von Buchtantiemen wird gemeinhin deutlich überschätzt!« Will heißen, so fürchterlich viel bleibt von einem verkauften Exemplar nicht übrig. Auch nicht von zehn. Auch nicht von hundert. Das neue Buch (die alten übrigens auch), sollte sich also idealerweise massenhaft verkaufen. Wie warme Semmeln, um einen anderen schrägen Vergleich zu bemühen.

Meine Frage an alle Eltern von Menschenbabys und -kindern: Will man das für seinen Nachwuchs? Ich denke nicht.

Und überhaupt: Will ich Mutter von 40+ Kindern sein? Wie soll das gehen? Wie soll ich ihnen permanent die Liebe und Aufmerksamkeit schenken, die sie verdienen.?? Das macht doch keinen Sinn!

Warum Buch-Angestellte besser funktionieren

Die meisten Autor*innen haben an ihre Bücher also ganz andere Erwartungen, als an ihre Kinder (hoffe ich jedenfalls!). Da passt der Vergleich zu den Angestellten schon viel besser. Da möchte man auch, dass sie gute Arbeit leisten und zum Blühen und Gedeihen des Unternehmens beitragen.

Es spricht auch nichts gegen ein gutes, positives und wertschätzendes Arbeitsklima – ganz im Gegenteil. Mitarbeiter, die sich gut fühlen, liefern erwiesenermaßen auch bessere Arbeit ab. Ich bin also lieber eine super Chefin eines mittelständischen Betriebs als eine überforderte Mutter von ein paar Dutzend Kindern ...

Liebt eure Bücher, hätschelt sie, gebt ihnen den bestmöglichen Start – und lasst sie dann ihre Arbeit erledigen!!

Das ist besser für den Kontostand und für die Psychohygiene – denn ernsthaft: Baby??

PS: Ich bin ja bekanntermaßen kein großer Mindset-Fan, aber in diesem Fall würde ich gerne eine Ausnahme machen. Sobald man aufhört, die eigenen Romane zu romantisieren und emotional zu überhöhen, sieht man viel klarer. Und klare Sicht ist in unserem irren Job auf jeden Fall ein Wettbewerbsvorteil.

Noch ein PS: Vielleicht gibt’s demnächst ja Postings à la »Meine neue Angestellte hat heute ihren ersten Tag. Gebt ihr eine Chance, sie ist top qualifiziert und liefert prompt die gewünschten Ergebnisse!« Womöglich mache ich bald den Anfang mit diesem Trend ...