Carin Müller bloggt ...

Ungarn, Holland, Lusitanien

Nelio Biedermann "Lázar", Dorothe Elmiger "Die Holländerinnen", Asterix in Lusitanien

Meine laufende Challenge mit mir selbst, möglichst viele preisgekrönte Bücher zu lesen, erweist sich häufig als Füllhorn der Überraschungen. Mal sind es grandiose Perlen, die man (= ich) nie erwartet hätte, manchmal überwiegt die Verwunderung.

An dieser Stelle möchte ich kurz zu einer Beobachtung abschweifen, die mich mindestens milde irritiert, aber ehrlich gesagt vor allem ziemlich traurig stimmt. Unter meinen geschätzten Kolleginnen und Kollegen gibt es kaum Lesende. Die meisten sagen von sich – mit mal mehr, mal weniger ausgeprägtem Bedauern –, dass ihnen die Lust zum Lesen irgendwann abhandengekommen sei. Beim Schreiben vielleicht? Ich persönlich kann mir das nicht erklären. Für mich ist Lesen wie Essen. Es geht schlimmstenfalls ein paar Tage ohne, aber wer mich kennt, weiß, dass das keine Option ist. Weder der Verzicht auf Nahrung noch auf Literatur. Wie gerne würde ich also mit den Leuten vom Fach über die folgenden Bücher diskutieren – allein, es hat sie niemand gelesen.

Lieblingsbuch der Unabhängigen 2025

»Lázár« von Nelio Biedermann

»Lázár« wurde zum Lieblingsbuch der Unabhängigen 2025 gekürt, was im Grunde einem Publikumspreis recht nahekommt. Die unabhängigen Buchhandlungen küren ihren Favoriten, also meist jenes Buch, das sich nicht nur recht gut verkauft, sondern das sie gleichzeitig auch gerne empfehlen. Es soll mehrheitsfähig sein, aber bitte nicht allzu trivial. Ein Buch also, mit dem man auch als verschenkende Person nicht viel falsch machen kann.

In diesem Jahr ist es also »Lázár«, das Debüt des erst zweiundzwanzigjährigen Schweizers Nelio Biedermann. Und mir ist absolut klar, wie diese Entscheidung zustande gekommen sein muss: Das Buch sieht optisch sehr ansprechend aus – ein prächtiges weißes Pferd vor rotem Hintergrund und knallgelber Schrift. Wäre ich eine Cover-Käuferin, hätte man mich damit jedenfalls schon gehabt. Der junge Autor ist zudem höchst sympathisch und charmant – und verspricht Potenzial. Und dann wäre da auch noch der Inhalt: Es ist ein – laut Biedermann – von seiner eigenen Familie inspirierter Schicksalsbericht einer ungarischen Adelssippe vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1950er Jahre. Es geht um drei Generationen einer ziemlich dysfunktionalen Familie, in der alles dabei ist: Schwachsinn und Sex, Sehnsucht und Schuld, Suizid und Selbstzerfleischung, Liebe, (Bedeutungs-)Verlust und Flucht – alles vor dem Hintergrund der großen Ereignisse dieser Zeit: Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg, Sowjetherrschaft.

Solche Romane gibt es wie Haare in der Mähne eines Pferdes. Etliche davon sind berührend und grandios, viele eher ... nicht. Biedermanns »Lázár« würde ich ungefähr in der Mitte dieses Spektrums einordnen. Es tut nicht weh, das Buch zu lesen, ich habe aber auch mit keiner einzigen Person wirklich mitgefiebert. Die Sprache, die von einigen Rezensenten als zu geschraubt für einen jungen Mann verspottet, von anderen als die neue literarische Offenbarung gefeiert wird, wirkt für mich wie aus der Zeit gefallen. Aber auf durchaus angenehme Weise.

Kurz: Ein Buch, mit dem man nicht viel falsch machen kann, aber auch nicht so schrecklich viel richtig. Ich bin sehr neugierig darauf, wie sein nächstes Werk aussehen wird, denn mit Anfang zwanzig hat Nelio Biedermann vor allem eines: unendlich viel Potenzial!

Klappentext von »Lázár«

Alles beginnt, sogar das Ende, als Lajos von Lázár, das blonde Kind mit den wasserblauen Augen, zur Welt kommt. Seinem Vater, dem Baron, wird der Sohn nie geheuer sein, als ob er dessen Geheimnis ahnte. Mit Lajos’ Geburt im Waldschloss bricht auch das 20. Jahrhundert an, das das alte Leben der Barone Lázár im südlichen Ungarn für immer verändern wird. Der Untergang des Habsburgerreichs berührt erst nur ihre Traditionen, aber alle spüren das Beben der Zeit, die schöne Mária ebenso wie der geisterhafte Onkel Imre. Als Lajos in den zwanziger Jahren sein Erbe antritt, scheint der alte Glanz noch einmal aufzublühen. Doch die Kinder Eva und Pista – der das Dunkle so liebt – müssen erleben, wie totalitäre Zeiten ihre wuchtigen Schatten werfen – und lernen, gegen sie zu bestehen.
Ein Roman wie eine Welt, die überwältigende Saga einer Familie, getrieben von der Liebe und der Sehnsucht nach ihr, in den Strudeln des 20. Jahrhunderts. Fesselnd und berührend, zugleich voller Leichtigkeit, voller Träume und Geheimnisse, in denen sich die ganze Tragik und Schönheit der Existenz spiegelt. Und – ob angesichts historischer Katastrophen oder schöner Sommertage – die ewige Frage, wie man leben soll.

Deutscher Buchpreis 2025

»Die Holländerinnen« von Dorothee Elmiger

Den Deutschen Buchpreis zu gewinnen, ist ohne Zweifel eine amtliche Aussage – und eine unleugbare Auszeichnung. Nach der Überraschung (und dem Skandal!) vom letzten Jahr, als Martina Hefter den Preis für »Hey guten Morgen, wie geht es dir« bekommen hat, durfte sich auch in diesem Jahr eine Autorin freuen. Dorothee Elmiger mit ihrem Roman »Die Holländerinnen«.

Ehe ich zu meinem eigenen Leseeindruck komme (was gar nicht so einfach ist, aber das nur am Rande), möchte ich wie schon bei »Lázár« darüber spekulieren, wie die Entscheidung wohl zustande gekommen sein mochte. Meine Theorie: Ich finde es erstaunlich (und höchst erfreulich), dass wieder eine Frau gewonnen hat, allerdings musste es dann, wenn schon nicht auf Geschlechterebene, wenigstens inhaltlich ein deutlicher Gegenpol zum Vorjahressieger sein. Während sich Martina Hefters Scammer-Story wirklich gut, angenehm und unterhaltsam liest und gleichzeitig eine enorme Poesie verströmt, zeigen sich »Die Holländerinnen« extrem spröde, verquast und vollgepackt mit so vielen Meta-Ebenen, das man sich eine Navigation wünscht. Die schmalen 160 Seiten fühlten sich (für mich!) jedenfalls an, wie mindestens 500.

Dabei finde ich die Grundidee durchaus reizvoll. Auf Basis eines echten Vermisstenfalls, bei dem vor gut zehn Jahren zwei Holländerinnen im südamerikanischen Dschungel verschwunden und nie wieder aufgetaucht sind, entspinnt sich ein ... ja was eigentlich? Ein höchst verwirrender Fiebertraum?

Eine krisengebeutelte Autorin erhält von einem »Theatermacher« (er wird immer nur so bezeichnet), den Auftrag, ihn und eine eklektisch zusammengewürfelte Truppe in jenen südamerikanischen Dschungel zu begleiten, in dem die Holländerinnen verschwunden sind. Sie soll dabei alles dokumentieren: jede Kleinigkeit, jedes noch so nichtige Ereignis, das Wetter, das Essen, ihre Empfindungen und Missempfindungen, die Geschichten, die man ihr erzählt, die Gespräche untereinander, die Gespräche, die sie nur am Rande belauscht. Davon gibt es endlos viele und ich muss Dorothee Elmiger beglückwünschen, wie virtuos sie es schafft, diese vollkommen zusammenhangslosen, teils skurrilen, teils düsteren Anekdoten aneinanderzureihen. Womöglich wäre alles lesbarer und besser genießbarer gewesen, hätte sie die Geschichte aus der Perspektive dieser namenlosen Autorin geschrieben. Doch leider ist die Erzählperson eine Figur in einem Auditorium, die den Ausführungen der Autorin über diese seltsame Reise aus dem Publikum lauscht. Das ist allein grammatikalisch eine Herausforderung – und vermutlich ein Zeichen von großer Literatur.

Ich habe es vermutlich einfach nicht verstanden. Nicht die Dutzende Referenzen zu lebenden und erfundenen Größen aus Theater, Film und Literatur. Nicht die tatsächlichen und erfundenen Zitate. Ehrlich gesagt gar nichts. Es hat sich angefühlt wie der schon erwähnte Fiebertraum, in dem sich Szenen willkürlich und verstörend aneinanderreihen ohne Erlösung oder auch nur den Hauch von Befriedigung oder Trost zu spenden.

Klappentext von »Die Holländerinnen«

Mit blinkenden Warnlichtern fährt die Erzählerin, eine namenlose Schriftstellerin, an den Straßenrand, als ein unerwarteter Anruf sie erreicht. Am Apparat ist ein gefeierter Theatermacher, der sie für sein neuestes Vorhaben zu gewinnen versucht – ein in den Tropen angesiedeltes Stück, die Rekonstruktion eines Falls. Wenige Wochen später bricht sie auf, um sich der Theatergruppe auf ihrem Gang ins tiefe Innere des Urwalds anzuschließen. Dorothee Elmiger erzählt eine beunruhigende Geschichte von Menschen und Monstren, von Furcht und Gewalt, von der Verlorenheit im Universum und vom Versagen der Erzählungen.

Band 41

Asterix in Lusitanien

Ich gebe zu, der aktuelle Asterix-Band (es ist der 41.!), hat in diesem Text eigentlich nichts verloren. Aber ich war nach »Lázár« und »Die Holländerinnen« intellektuell zu erschöpft, um mich auch noch dem aktuellen Literaturnobelpreisträger zu widmen. Und immerhin hat es Asterix’ Reise nach Lusitanien in kürzester Zeit auf alle möglichen Bestsellerlisten geschafft – und hat damit wenigstens sämtliche Publikumspreise abgeräumt.

Die Story ist simpel (juhuuu!): Asterix und Obelix werden von einem lusitanischen Händler angefleht, ihn in die Heimat zu begleiten (für alle Nichteingeweihten: Lusitanien ist Portugal), um seinen besten Kumpel vor dem römischen Kerker und dem Löwenopfer zu retten.

Selbstverständlich folgen die wackeren Gallier samt Idefix diesem Hilferuf, vermöbeln unterwegs wieder reichlich tumbe Römer (und ein paar Piraten) und sorgen dafür, dass das Gute siegt. Wer mag, kann diesen Comic-Band schlicht als fröhlich-unterhaltsame Action-Story lesen – oder sich am ausgefuchsten Sprachwitz und den kaum verbrämten Referenzen rund um die Superreichen dieser Welt erfreuen. Mir hat’s großen Spaß gemacht – und nun ist es amtlich, dass ich ein eher schlicht gestricktes Gemüt habe.

Klappentext von »Asterix in Lusitanien«

Asterix und Obelix auf großer Reise im 41. Abenteuer!

An einem schönen Frühlingsmorgen taucht ein Fremder namens Schnurres im Dorf auf. Er kommt aus Lusitanien, dem sonnenverwöhnten Land westlich von Hispanien, das ebenfalls unter der Herrschaft Roms steht. Schnurres bittet die unbeugsamen Gallier um Hilfe, da er die mächtige Wirkung des Zaubertranks kennt. Sein Freund Schãoprozes wird verdächtigt, Cäsar vergiften zu wollen! Dahinter steckt ein Komplott, das Asterix und Obelix aufdecken müssen. Sie reisen ins heutige Portugal, bekannt für seine Gastfreundschaft sowie Fado, Fliesen und Fischgerichte. Eine Herausforderung für Obelix, denn mit Kabeljau kann er so gar nichts anfangen …