Carin Müller bloggt ...

Buchtipp: Love Scammer & Generationenkonflikt

Martina Hefter: Hey guten Morgen, wie geht's dir und Kristine Bilkau: Halbinsel

Irgendwann schließe ich mich doch mal einem Lesekreis an. Zwei enge Freundinnen pflegen das Hobby des geselligen Lesens – oder vielmehr des Austauschs über gelesene Bücher – und sind immer ganz beseelt davon. Bei mir scheitert es am Mangel an Gelegenheiten? Oder daran, dass ich nicht besonders gruppenkompatibel bin? Oder dass ich andere Bücher lesen will? Keine Ahnung. Sind alles keine guten Argumente, das weiß ich.

Stattdessen habe ich einen Ein-Frau-Buchclub mit mir selbst gegründet und pflege derzeit die Challenge »Preisgekrönte Bücher«. Über die aktuelle Nobelpreisträgerin Han Kang habe ich mich schon ausgelassen, genau wie über den Pulitzerpreis-Gewinner-Titel Damon Copperhead und über mein Lesehighlight von 2025: Umlaufbahnen von Samantha Harvey (Booker Preis 2024).

Nun habe ich mir auch noch zwei aktuelle, deutsche Preisträgerinnen vorgeknöpft. Zum einen Martina Hefter, Gewinnerin des Deutschen Buchpreises 2024, mit »Hey guten Morgen, wie geht’s dir«. Zum anderen Kristine Bilkau, die mit »Halbinsel« den Preis der Leipziger Buchmesse 2025 gewonnen hat.

Zwischen Love Scammern und Generationenkonflikt

Ich gebe zu, meine Motivation, diese beiden Geschichten zu lesen, war überschaubar. Zu »Hey guten Morgen, wie geht’s dir« habe ich zunächst nur gegriffen, weil mein Podcast-Partner Christian Raabe und ich in Episode 146 »Preisgekrönte Literatur« darüber sprechen wollten.

Was ich über diesen Roman gehört hatte, war ziemlich ambivalent. Einige mochten die Geschichte, andere fanden sie haarsträubend und »unlesbar«. Ich war zumindest von der Grundidee ganz angetan. Eine Frau mittleren Alters vertreibt sich nächtens ihre schlaflosen Stunden, indem sie mit offensichtlichen »Love Scammern« chattet. Love Scammer sind Menschen (oder oft sogar ganze Organisationen), die sich unter falschen Profilen das Vertrauen anderer Leute erschleichen und sie dann finanziell ausnehmen. Ganz fiese Masche – und wirklich erschreckend, wie viele Leute tatsächlich drauf reinfallen.

Die Protagonistin ist natürlich nicht so naiv. Sie kapiert sofort, was diese vermeintlichen Traumtypen von ihr wollen und textet sie ihrerseits wild zu. Das fand ich einen witzigen Ansatz, war aber insgeheim immer noch gewillt, das Buch doof zu finden. Die Namen der Figuren zu prätentiös (sie heißt Juno, ihr schwerkranker Mann Jupiter), das erzählerische Konzept zu nichtssagend. Doch nach wenigen Seiten habe ich an diese dämlichen Vorurteile nicht mehr gedacht, sondern mich fallen lassen können. Ich habe Juno in ihrer prekären Künstlerexistenz beobachtet und erschreckend viele Parallelen zu ihr festgestellt. Ich mag sie, ich mag alle Figuren in der Geschichte – und am Ende, das übrigens viel schneller kam, als ich anfangs befürchtet hatte, wurde mir klar, dass ich mich ausgesprochen gut unterhalten gefühlt habe. Und mich die Poesie im Banalen total begeistert hat.

Anders lag die Sache bei »Halbinsel«. Dieser schmale Roman von Kristine Bilkau bot sich einerseits für meine persönliche Challenge an, andererseits ist die Autorin witzigerweise sogar eine Agenturkollegin von mir und wird von derselben Agentin betreut. Da war es mir beinahe schon eine Verpflichtung, die Geschichte zu lesen. Und das Buch meiner Stallgenossin auch zu mögen.

Es gibt gewisse Parallelen zu Martina Hefters Roman. Eine Ich-Erzählerin mittleren Alters sinniert über sich selbst, ihr aktuelles Leben, ihre Vergangenheit und ihre Zukunft. Annette hat keinen pflegebedürftigen Mann wie Juno (sie ist früh verwitwet), sondern eine Tochter mit Mitte zwanzig. Diese Tochter bricht eines Tages bei einem Vortrag zusammen und in der Folge aus ihrem ambitionierten Karrierealltag aus und nistet sich wieder bei Muttern ein.

Es geht nicht nur um das komplexe Mutter-Tochter-Verhältnis, sondern auch um offensichtliche Konflikte zwischen den Generationen, Themen, die ich wahnsinnig spannend finde. Eigentlich. Ich fand auch die Ansätze in dieser Geschichte sogar grundsätzlich viel stärker und spannender als in »Hey guten Morgen, wie geht’s dir«, aber wenn ich ehrlich bin, hat mich der sehr beschaulich dahinmäandernde Erzählstil ziemlich gelangweilt. Was in Annettes Kopf geschieht – einiges und auch einige ziemlich harte Brocken – kam so stark gefiltert aufs Papier, das es sich lediglich wie ein milder Windhauch angefühlt hat, und seine potenzielle Wucht einfach nicht entfalten konnte. Zumindest bei mir nicht. Schade.

Klappentext von »Hey guten Morgen, wie geht’s dir«

Tagsüber hilft Juno ihrem schwerkranken Mann Jupiter dabei, seinen Alltag zu meistern. Außerdem ist sie Künstlerin, tanzt und spielt Theater. Und nachts, wenn sie wieder einmal nicht schlafen kann, chattet sie mit Love-Scammern im Internet. Martina Hefter hat einen berührenden Roman über Bedürfnisse und Sehnsüchte im Leben geschrieben. Und darüber, wie weit man bereit ist, für die Liebe zu gehen.

Juno schreibt online mit Männern, die Frauen online ihre Liebe gestehen und so versuchen, sie um ihr Geld zu bringen. Doch statt darauf hereinzufallen, werden genau diese Männer zu einer Form von Freiheit für Juno. In den Gesprächen kann sie sein, wer sie will und sagen, was sie will – und das vermeintlich ohne Konsequenzen. Ganz im Gegensatz zu ihrem sonstigen Leben, in dem sie immer unterwegs, immer besorgt um Jupiter, immer beschäftigt und eingebunden ist. Also flüchtet Juno ab und zu vor ihrem Alltag ins Internet und spielt dort Spielchen mit Männern, die sie anlügen. Sie selbst wird zur Lügnerin. Aber ist es nicht so, dass man sich beim Lügen zuallererst selbst belügt? Eines Tages trifft Juno auf Benu, der ihre Behauptungen ebenso durchschaut wie sie seine. Und trotz der Entfernung zwischen ihnen entsteht eine Verbindung. »Hey guten Morgen, wie geht es dir« ist ein tiefgehender Roman, aber so leichtfüßig wie eine Komödie.

Klappentext von »Halbinsel«

Eine Halbinsel im nordfriesischen Wattenmeer. Hier, an der Nordsee, lebt Annett, Ende vierzig, seit vielen Jahren, hier hat sie nach dem frühen Tod ihres Mannes ihre Tochter Linn allein großgezogen. Linn, Mitte zwanzig, ist nach dem Abitur voller Energie in die Welt gezogen, hat sich in schwedischen und rumänischen Wäldern als Umweltvolontärin engagiert, arbeitet für ein Aufforstungsprojekt. Für Annett ist ihre Tochter die Verkörperung von Hoffnung, Sinn und Zukunft. Doch auf einer Tagung, während eines Vortrags kippt Linn um, Kreislaufzusammenbruch, Erschöpfung. Annett holt sie für eine Woche zu sich nach Hause, ans Meer, nahe Husum. Aus einer werden zwei, dann drei Wochen, dann Monate. Zerrieben zwischen Leistungsdruck und Sinnsuche, scheint Linn mit Mitte Zwanzig an einem Nullpunkt. Annett fühlt sich hilflos angesichts der Antriebslosigkeit ihrer Tochter. Mit der Zeit brechen Konflikte auf, zwischen Mutter und Tochter, aber auch zwischen zwei Generationen. Die eine muss die Lebenswirklichkeit der anderen neu verstehen lernen.

Mit großem Gespür für das Zwischenmenschliche lotet Kristine Bilkau die drängenden Fragen unserer Zeit aus - die Frage nach der Verantwortung der Älteren für den Zustand der Welt sowie der Wunsch der Jüngeren, das eigene Leben mit Sinn zu füllen.