Carin Müller bloggt ...

Die Nacht der Zugvögel

Songbirds von Christy Lefteri (Originaltitel)

Das dürfte eine Premiere sein: Ein Buch, das ich im ersten Drittel mehrfach abbrechen wollte, schafft es doch noch auf meine persönliche Empfehlungsliste. Die Rede ist von »Die Nacht der Zugvögel« von Christy Lefteri, wie ihr Roman »Songbirds« in der deutschen Übersetzung (von Bettina Spangler) heißt. Ich habe die Geschichte jedoch als eBook in der Original-Ausgabe gelesen.

Von der jungen britisch-zyprischen Autorin Christy Lefteri (geboren 1980 in London) hatte ich vor allem im Kontext ihres Mega-Bestellers »Das Versprechen des Bienenhüters« schon einiges gehört, allerdings habe ich diesen Roman (bislang noch) nicht gelesen. An »Songbirds« fand ich vor allem das Setting spannend – ich hatte noch nie eine Geschichte gelesen, die auf Zypern spielt.

Die Handlung

Die junge Witwe Nisha stammt aus Sri Lanka, hat ihre Heimat allerdings vor neun Jahren verlassen, um auf Zypern aus Haushaltshilfe und Kindermädchen zu arbeiten und ihre Tochter und ihre Mutter finanziell zu unterstützen. Eines Tages verschwindet sie urplötzlich.

Die Handlung wird aus drei Perspektiven erzählt. Petra ist Nishas Arbeitgeberin, ebenfalls tragisch verwitwet und Mutter von Aliki, ihrer neunjährigen Tochter. Nisha kam kurz vor Alikis Geburt in die Familie und war für das Kind die wichtigste Bezugsperson. Petra war mir zu Beginn unglaublich unsympathisch: kalt, abweisend, egozentrisch und ignorant. Das hat es mir schwer gemacht, Verständnis für sie zu empfinden und ihre Sichtweise mitzutragen.

Yannis lebt als Mieter im selben Haus. Er war Nishas Freund, Geliebter und Vertrauter – allerdings mit einem mehr als fragwürdigen »Beruf«. Während der Finanzkrise hatte der Banker seinen gutbezahlten Job verloren und verdingt sich seitdem als Wilderer, der Singvögel mit Netzen und Fallen fängt und auf abscheulichste Weise tötet. Die Schilderungen dieser Szenen waren derart drastisch, dass ich deswegen ebenfalls mehrfach abbrechen wollte. Yannis ist jedoch ein sehr differenzierter Charakter, sensibel, voller Mitgefühl – und er hasst seinen Job, sieht jedoch keine Chance aus den beinahe mafiösen Strukturen der illegalen Vogeljagd herauszukommen.

Die dritte Perspektive findet sich am Ende jedes Kapitels. Eine nicht näher erklärte Erzählstimme schildert geheimnisvolle und durchaus beunruhigende Szenen am Rande des »roten Sees« – das macht erst ganz am Ende Sinn.

Nisha ist also verschwunden und Petra und Yannis machen sich auf die Suche nach ihr. Erst einzeln, schließlich gemeinsam – und langsam, ganz langsam offenbart sich der ganze Schrecken. Die Polizei interessiert sich kein bisschen für verschwundene Migrantinnen, die auch ansonsten eine ganz schlechte Lobby auf der Insel genießen. Das ist hochgradig verstörend – auch für Petra und Yannis, die aus Nishas Verschwinden jeweils ganz eigene Schlüsse für ihr Leben ziehen.

Ab einem gewissen Punkt (ungefähr nach einem Drittel) konnte ich mich dem Sog der Geschichte nicht mehr entziehen – und ich war absolut fasziniert von der Entwicklung, die insbesondere Petra genommen hat. Es war natürlich von Anfang an klar (daher ist es auch kein Spoiler), dass der Roman kein wirklich glückliches Ende nehmen wird (zumindest nicht für Nisha), doch Christy Lefteri schafft es trotzdem, ein kraftvolles, mutmachendes Finale zu komponieren. Dabei zeichnet sie die drei Hauptfiguren Petra, Yannis und Nisha, aber auch sämtliche Nebenfiguren derart präzise und klar, dass sie wahrlich zum Leben erweckt werden. Ähnliches gilt auch für die Darstellung von Zypern und Sri Lanka sowie die schmerzhaft-schönen Naturbeschreibungen.

Fazit

Der Roman hat es mir nicht leicht gemacht, ihn zu mögen. Die sperrig-spröden Figuren und die verstörenden Handlungsstränge (Vogeljagd) haben mich mehrfach fast zum Abbruch bewogen. Ich bin jedoch sehr froh, durchgehalten zu haben, denn sonst wäre mir dieses feinkomponierte Meisterwerk entgangen.

Der Klappentext

Manchmal merkt man erst, wie wichtig eine Person ist, wenn sie nicht mehr da ist …

Nisha träumt davon, ihrer geliebten Tochter ein besseres Leben zu ermöglichen. Allein deshalb verlässt sie ihre geliebte Heimat und beginnt weit weg ein Leben als Kindermädchen. Der Preis ist hoch, denn die Sehnsucht nach ihrem Kind droht Nisha fast zu zerreißen. Für ihre Arbeitgeberin Petra wird sie als Kindermädchen schnell unverzichtbar, doch trotz der vermeintlichen Nähe macht Petra sich kaum die Mühe, auch den Menschen Nisha mit seinen Ängsten, Sorgen und Hoffnungen kennenzulernen.
Erst als Nisha plötzlich verschwindet und Petra schockiert feststellen muss, wie gleichgültig die Polizei darauf reagiert, folgt sie Nishas Spuren. Was sie entdeckt, wird sie selbst und ihr Leben für immer verändern ...