Carin Müller bloggt ...

BookTok, Audio und KI

Das war die 75. FBM für mich

Mein Rücken zickt immer noch massiv (Hexenschuss am Tag VOR der Buchmesse) und mein Hals kratzt. Meine Stimmung dagegen ist großartig, denn das buchige Branchentreffen, das sich in diesem Jahr zum 75. Mal gejährt hat, war wie ein Klassentreffen im XXL-Format. Auch wenn ich statt der geplanten vier Tage nur knapp zwei erleben konnte, habe ich in der kurzen Zeit so viele Buchmenschen getroffen und geherzt, dass mein bibliophiles Glücksbarometer für die nächsten Wochen auf Sonnenschein steht. Da können auch die großzügig verteilten und dankbar aufgenommenen Viren nichts ändern. Ich hoffe jedenfalls auf schlichte Heiserkeit und nichts Schlimmeres ...

Schlimmeres wäre für viele Leute wohl, wenn eine sogenannte Künstliche Intelligenz hier das Ruder übernehmen würde. Ehrlich, die Angst vor »KI« nimmt vielfach absurdere Formen an als die Sorge vor Corona. Das war auch auf der Messe überall zu spüren. Dabei gab es zahlreiche spannende und durchaus kontroverse Vorträge, Diskussionsrunden und Workshops zum Thema. Denn eines ist klar: Man wird die Entwicklungen nicht eindämmen oder gar zurückdrängen können. Das wissen auch die großen Player auf dem Markt. Entscheidend ist nun, einen ethischen Umgang mit den neuen Technologien zu finden. Wie die aussehen kann und wird? Keine Ahnung. Zu meiner persönlichen Einstellung komme ich jedenfalls später.

Die Sache mit BookTok

Zunächst will ich mich dem Phänomen widmen, das ich unfassbar gerne ignorieren würde, das aber einfach nicht weggeht (ähnlich wie die KI-Thematik). TikTok hat unter dem Hashtag »BookTok« den Buchmarkt in den letzten zwei Jahren ordentlich auf links gedreht. Geht man in einen großen Filialisten wie Hugendubel oder Thalia, findet man inzwischen unter Garantie einen Tisch mit den aktuellen »BookTok-Hits«.

Die Kurzvideoplattform hat in der Buchbubble nicht nur extrem viele Anhänger, sondern auch ein riesiges, begeisterungsfähiges Publikum. Und anders als bei den beinahe schon altmodisch wirkenden Social-Media-Kanälen wie Facebook und Twitter, hängt der Erfolg hier nicht von der Anzahl an Fans und Followern ab, sondern davon, ob ein Video viral geht. Das kann schneller gehen, als man denkt. Aber natürlich genauso gut niemals passieren. Der Algorithmus (auch eine KI!) ist auch hier die heimliche (oder unheimliche?) Macht.

Bei TikTok ist man aber auch hinter den Kulissen sehr buchaffin und rollt Land für Land eigene Shops aus, in denen entweder im Print-on-Demand-Verfahren oder sogar im Auflagendruck die auf der Plattform gehypten Bücher verkauft werden. TikTok als Verlag?! Das Bucherlebnis aus einer Hand jedenfalls – und aktuell zu wohl ziemlich aufregenden Konditionen für die Autoren.

Auf der Buchmesse war das eines der ganz großen Themen – ignorieren kann man es nicht mehr. Meine Lust, mich auf dieser Spielwiese zu beteiligen hält sich trotzdem in Grenzen. Auch weil alles viel zu gut klingt ... Was der chinesische Konzern, der hinter TikTok steht mit den Nutzerdaten und Inhalten macht, weiß selbstredend kein Mensch. Sicher dürfte nur sein, dass die Macher nicht aus reiner Nächstenliebe agieren. Und womöglich könnten die viralsten Erfolge irgendwann verdammt kostspielig werden. Eine abschließende Meinung dazu habe ich persönlich aber noch nicht.

Literatur für die Ohren

Wenn man Trendbarometern und Umfragen Glauben schenken darf, ist das Hörbuch nach wie vor ein boomendes Wachstumssegment im Buchmarkt. Ich persönlich hoffe das sehr, auch wenn die aktuellen Verkaufsstatistiken meiner Titel eher ernüchternd sind und in keiner Weise die Erfolge von Print- und eBooks widerspiegeln. Woran könnte es liegen? An den Geschichten oder meinen Geschäftspartnern?

Mit dieser Frage im Hinterkopf habe ich mich ausführlich im Audio-Bereich der Messe getummelt und mit einigen Menschen sehr interessante Gespräche geführt. Ein echtes Fazit kann ich noch nicht ziehen, aber es wurden etliche Visitenkarten ausgetauscht und Absichtserklärungen abgegeben. Klingt kryptisch, ich weiß, aber zu gegebener Zeit werde ich sicher ausführlicher darüber schreiben können, denn ich liebe Hörbücher und wünsche mir noch viel mehr Vertonungen meiner Romane.

Womit wir schon fast zum letzten Thema in diesem Artikel kommen. Denn natürlich wird auch die Audio-Fraktion von Künstlicher Intelligenz erschüttert. Es gibt inzwischen Sprachmodelle, die erschreckend natürlich klingen, und Texte wie diesen hier sehr flüssig und gut vorlesen. Und selbst Romane funktionieren immer besser, wenn sie von einer KI vorgetragen werden, auch wenn diese Programme auf emotionaler Ebene noch nicht ganz mithalten können. Ein Satz, der gleichermaßen gruselig und beruhigend klingt. Denn »noch« schaffen es diese sogenannten Text-to-Speech-Programme nicht, menschliche Gefühle zu transportieren. Noch nicht.

Andererseits sind diese Tools eine tolle Möglichkeit, Audioversionen von Geschichten zu bekommen, deren Produktion sich unter herkömmlichen Bedingungen niemals lohnen würde. Solche Angebote wären ebenfalls ein guter Schritt in Richtung flächendeckender Barrierefreiheit, damit auch eingeschränkte Menschen einen umfassenden Zugang zum Buchmarkt bekämen. Licht und Schatten und endlos viele Grauzonen.

Carin und die KI

Wie ich persönlich zum Thema Künstliche Intelligenz stehe, habe ich bereits vor ein paar Wochen im Artikel »Zeit für ein Zwischenfazit« kundgetan. Grundlegend hat sich seitdem an meiner Einstellung nichts geändert – außer dass ich mich noch intensiver mit der Materie befasst habe, die so unendliche viele Aspekte birgt und meiner Meinung nach weder pauschal verteufelt, noch unreflektiert gefeiert werden sollte. KI ist weder gut noch böse. Es sind Werkzeuge und wie immer in unserer aktuellen Lebensrealität sind es die Nutzer dieser Tools, die damit teuflische oder ehrenhafte Dinge anstellen.

Ich selbst habe in den letzten Wochen ein wenig Gegenwind erhalten, weil sich einige Menschen daran stören, dass ich immer häufiger von einer KI (in der Regel von Midjourney) erzeugte Bilder für meine Artikel und Social-Media-Posts nutze. Gerne wird dabei die moralische Keule geschwungen und von Urheberrechtsverletzungen schwadroniert, ohne dass die Ankläger sicher wissen, worum es sich dabei überhaupt handelt. Okay, das war jetzt ein klein wenig polemisch von mir, schließlich weiß ich nichts über den Aufklärungsgrad dieser Leute. Auch wenn sie mit mutmaßlich aufgeschnappten Begriffen wild um sich werfen und die erstaunlichsten Dinge behaupten ... Deep Fakes, Verletzung geistigen Eigentums, arbeitslose Grafiker*innen, ausgebeutete Künstler*innen beispielsweise.

Eine Facebook-Gruppe hat kürzlich einen derart heftigen Shitstorm gegen einen Buchdienstleister aufbrausen lassen, dass sich dieser Dienstleister zu einer kleinlauten öffentlichen Entschuldigung genötigt sah und schwören musste, nie wieder KI für die Gestaltung von farbigen Buchschnitten zu nutzen. Ernsthaft!

Das war nämlich der Aufreger. Ich wette, dieser Farbschnitt wäre von denselben Leuten gefeiert worden, wenn der Dienstleister nicht vorbildlich transparent offengelegt hätte, dass dieses Muster von einer KI erzeugt wurde und nicht von einem Wesen aus Fleisch und Blut. Dass jene Wesen aus Fleisch und Blut – aka Grafiker*innen – nur in den allerseltensten Fällen mit Tusche und Farbkasten per Hand kreieren, sondern schon seit Jahren leistungsfähige Computerprogramme wie Photoshop oder InDesign nutzen, spielt dabei keine Rolle. Geschenkt.

Ich werde jedenfalls weiter Bilder mit Midjourney und anderen Programmen erstellen. Es macht nämlich verdammt viel Spaß. Allerdings versuche ich, ethisch damit umzugehen und nutze beispielsweise für meine »Prompts« niemals reale Menschen oder geschützte künstlerische Stilistiken. So fände ich es beispielsweise ziemlich fragwürdig, gäbe man dem Programm eine Vorgabe à la »erstelle eine Männerfigur, die eine Mischung aus Chris Hemsworth und Ryan Reynolds ist, aber als Comicfigur im Disney-Style«. Verboten ist das zwar nicht explizit, wohl würde ich mich damit jedoch nicht fühlen.

Bringe ich damit Grafiker*innen um ihre Jobs? Klares Nein. Ohne diese KI-Werkzeuge würde es die fraglichen Bilder gar nicht geben. Ich würde – aus Kosten- und Zeitgründen – weiterhin auf Stockfotos zurückgreifen, die mal besser mal schlechter passen. Oder ich würde ganz auf gewisse Bilder verzichten. Will heißen: Ohne KI gäbe es diese Motive nicht. Auch keine handgeklöppelten Alternativen aus zarter Grafikerhand.

Und wie hältst du es mit dem Schreiben?

Auch dazu habe ich im oben verlinkten Zwischenfazit-Artikel ausführlich Stellung genommen: So lange ich mich nicht anderweitig äußere, ist jedes einzelne Wort von mir persönlich und dank meiner mal mehr, mal weniger inspirierten organischen Intelligenz zu Papier gebracht worden. Da ich selten bis nie vorher plane, was genau ich eigentlich schreiben will, wäre es für eine KI geradezu unmöglich mir diese Arbeit abzunehmen. Außerdem ist die fast magische Art, wie meine Geschichten entstehen, der eine Aspekt, der mir wirklich tiefe Freude bereitet. Warum sollte ich darauf verzichten?

Nicht ausschließen will ich jedoch, dass ich Programme wie Chat-GPT zukünftig gelegentlich darum bitten werde, zu selbstgedichteten Texten wie diesen, süffig formulierte Teaser für Social-Media-Posts zu schreiben. DAS ist nämlich eine Arbeit, die ich hasse wie die Pest. Es bleibt also spannend und wird sicher nicht der letzte Artikel zum Thema sein.