Carin Müller bloggt ...

Werte und (Wahl)Frust

Der Rechtsruck in Europa ist hochgradig beängstigend und deprimierend

Eine gute Woche ist seit der Europawahl 2024 gegangen – und Frust und Fassungslosigkeit über den entsetzlichen Rechtsruck haben keinen Deut nachgelassen. Ich habe endlos viele Kommentare und Einschätzungen darüber gelesen. Über diffuse Ängste der Wähler*innen, über Frust mit den Regierungsparteien in allen Ländern, über das mal dumpfe, mal aggressiv herausgebrüllte Unbehagen gegenüber Einwanderern. Trotzdem verstehe ich es nicht.

Ich kann beim besten Willen nicht nachvollziehen, warum so viele Menschen derart demokratie- und menschfeindlich wählen. Damit will ich nicht behaupten, dass sie im Alltag auch demokratie- und menschenfeindlich sind, aber allein die Unterstützung gewisser Parteien lässt mich zweifeln. Am Anstand und am Verstand dieser Leute. Zumal ich noch keine einzige nachvollziehbare Erklärung gehört habe. Die stumpf und papageienartig herausgebrabbelten Thesen und Parolen lassen sich nämlich sehr leicht entkräften. Doch diese Menschen wollen keine Fakten hören. Wollen sich nicht die Mühe machen, sich an seriösen Quellen zu informieren. Sie wollen ... Ja, was eigentlich? Vielleicht will ich es gar nicht so genau wissen.

Jeder gegen jeden

Die Reaktionen auf das desaströse Wahlergebnis waren natürlich auch erwartbar. Während die Rechten feiern, zerfleischen sich alle anderen Parteien mit Vorwürfen und Schuldzuweisungen. Selbstkritik? Lösungsansätze? Hab ich kaum mitbekommen. Und auch auf den sozialen Medien herrscht große Aufgeregtheit. Ich habe ernsthaft einen Post einer Kollegin entdeckt, die ihrer Sorge darüber, »dass Nazis meine Bücher lesen« wortreich zum Ausdruck gebracht hat. Puh. Hilfreich finde ich nichts davon.

Aber während ich kein Patentrezept für die Parteien (auch nicht für die, der ich nahestehe) habe, außer jenem, dass mehr Transparenz und offene Kommunikation einerseits und weniger dämliche Besitzstandswahrung sinnvolle Tugenden wären, habe ich eine sehr klare Meinung zum Statement der Kollegin.

Natürlich kommt auch mir spontan die Vorstellung einigermaßen befremdlich vor, dass AFD-wählende Menschen Freude an meinen Büchern haben könnten, doch andererseits warum nicht? Vermutlich sollte ich mir sogar wünschen, dass diese Leute meine Bücher kaufen, lesen und lieben, denn dann bekämen sie nämlich automatisch Werte vermittelt, die nichts mit dem menschenverachtenden Wahlprogramm ihrer Partei zu tun haben. Vielleicht lernen sie dabei etwas über Toleranz. Über respektvollen Umgang mit anderen Menschen, auch mit jenen, die anders aussehen oder entgegen der Norm lieben. Über Achtung für die Natur und für diesen fragilen Planeten, den wir bewohnen und den wir mit Wonne zerstören, weil wir zu faul, zu bequem oder einfach zu dumm sind.

Politik ist bei mir (k)ein Thema

Meine Geschichten sind unpolitisch, auch dieser Blog. Ich selbst bin es nicht. Ganz im Gegenteil. Und ich denke auch, dass die meisten Menschen, die mir schon länger folgen oder auch nur eine einzige Geschichte von mir gelesen haben, ahnen, welchen Werten ich mich verpflichtet fühle und wo die roten Linien liegen, die ich nicht überschreiten werde.

Ich bin keine Freundin von erhobenen Zeigefingern und Moralkeulen, will niemandem vorschreiben, wie er/sie sich zu benehmen hat. Aber ich versuche immer, zum Nachdenken anzuregen. Ich baue »Störer« ein, an denen man sich reiben kann und das eigene Bewusstsein schärfen kann.

Niemand soll ich gezwungen fühlen, meine Meinung zu teilen, ganz im Gegenteil freue ich mich über angeregte, faire Diskussionen, aber ich würde niemals über Dinge schreiben, die meinen persönlichen Werten entgegenstehen – nur weil sie womöglich populär wären. So gesehen ist Politik bei mir natürlich schon ein Thema. In allem, was ich tue, schreibe und lese.

Wie kann ich mich sinnvoll engagieren?

Diese Frage stelle ich mir schon lange. Was kann ich, was kann jeder von uns tun, um die Demokratie zu stärken und um grundlegende Werte zu verteidigen? Für mich ist ein konkretes Engagement in »meiner« Partei kein Thema, dafür bin ich einfach zu introvertiert. Aber sollte ich hier und in meinen Büchern (noch) klarere Kante zeigen? Habe ich am Ende eine Art Erziehungs- oder Bildungsauftrag? Haben Geschichten überhaupt die Macht, festgemauerte Einstellungen und Vorurteile aufzuweichen? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass mich diese Hilf- und Ahnungslosigkeit gerade verdammt frustriert.

Ich war mein ganzes Leben lang immer durch und durch optimistisch, habe fest an das Gute im Menschen geglaubt und war mir sicher, dass unsere Zukunft als Weltgemeinschaft strahlend und positiv sein wird. Dieser Glaube ist mir aktuell gründlich abhandengekommen – dank all den A****, die ernsthaft denken, dass der Rückzug ins nationalstaatliche, bio-deutsche, atom- und brennstoffbetriebene Klein-Klein eine Lösung für ihr persönliches (eingebildetes?) Elend ist. Herzlichen Dank dafür.