Carin Müller bloggt ...

Kunst oder Geschäft?

Dürfen Künstler:innen keinen Geschäftssinn haben? In Deutschland scheint das so zu sein.

In Deutschland haben viele Menschen eine etwas merkwürdige Einstellung zum Berufsbild Autor:in. Neben vielen anderen verblüfften Feststellungen à la »Ich weiß gar nicht, wie man sich das alles ausdenken kann«, gibt es vor allem zwei große Annahmen, mit denen ich wieder konfrontiert werde. Ein Teil (der deutlich kleinere) geht automatisch davon aus, dass man reich sein müsse, wenn man Bücher veröffentlicht. Sehr süß. Der deutlich größere Teil ahnt, dass es nicht ganz so einfach ist, und unterstellt gleich mal reine Liebhaberei: »Du schreibst Bücher? Wie spannend. Und womit verdienst du Geld?«

Das ist zunächst einmal nur die Außensicht. Leider haben aber auch viele in meiner werten Kollegenschaft ein etwas verzerrtes Bild. Da gibt’s die personifizierten armen Poeten, die wahren Künstler:innen, die sich sicher sind, dass wahre Kunst nur durch Leid, Qual, Verzicht (und Ignoranz durchs Publikum?) entsteht. Es gibt engagierte Schreibende, die ihre Romane neben dem Brotjob verfassen, den sie niemals aufgeben würden, weil sie Sicherheit brauchen und einfach nicht glauben können/wollen, dass man auch mit Schriftstellerei sein Auskommen verdienen kann. Und es gibt natürlich auch jene, die auf die Wenigen, die tatsächlich finanziell extrem erfolgreich sind, mit gelbgrünen Neid herabblicken und unterstellen, dass es ja nur Murks sein kann, was die produzieren (siehe auch »Schnellschreiben ist Murks«). Selbst einige dieser Supererfolgreichen glauben nicht an ihren eigenen Geschäftssinn, sondern nennen mit bescheiden gesenktem Blick Glück als den Hauptgrund für ihren Erfolg.

Ich darf das deshalb so ironisch überspitzt darstellen, weil ich mich selbst schuldig bekennen muss. In (fast) allen Punkten, denn als SUPERerfolgreich würde ich mich nicht bezeichnen. Und doch verdiene ich seit ein paar wenigen Jahren wirklich ordentliches Geld mit meinen Büchern.

Geschäftssinn darf kein Schimpfwort sein

Seltsamerweise ist es in so gut wie allen anderen Berufen total in Ordnung, wenn man ehrgeizig ist und Geld verdienen möchte. Warum wird man in der Buchbranche seltsam angesehen, wenn man über Strategien, Geschäftsmodelle oder einfach nur übers Geldverdienen spricht? Jedenfalls hier in unseren Breiten.

In anderen Ländern ist das nämlich durchaus anders. Ich war jetzt zum zweiten Mal hintereinander bei einer großen internationalen Konferenz in London, bei der sich vorwiegend angelsächsische Autorinnen und Autoren aus aller Welt über die Trends in der Branche informieren, über Marketing und Wachstumschancen diskutieren und darüber philosophieren, wie man Aspekte des Jobs automatisieren oder auslagern kann. Der reine Handwerksaspekt hat bei der »Selfpublishing Show Live« einen ziemlich untergeordneten Stellenwert. Nicht, weil er nicht wichtig wäre, sondern weil davon ausgegangen wird, dass die Zielgruppe diesen Punkt im Griff hat. Es geht ums Geschäft – und das war und ist erstaunlich erfrischend.

Diese Einstellung betrifft übrigens nicht nur die erfahrenen Kolleg:innen. Auch jene, die erst eine Handvoll Bücher unterm Gürtel haben oder sogar noch vor der Veröffentlichung ihres ersten Romans stehen, sind bereits mit einem ausgeprägten »Business Mindset« ausgestattet, also einem gesunden Geschäftssinn. Und dem Wissen, dass man in dieser knüppelharten Branche vor allem eines sein muss: flexibel!

Menschen erzählen von ihren Businessplänen und von ihren Strategien, im Zeitraum X den Brotjob zu verlassen. Sie philosophieren über neue Schwerpunkte und Skalierungsmöglichkeiten. Sie diskutieren darüber, was man outsourcen kann und was man besser selbst macht. Das klingt nicht besonders romantisch, nicht wahr? Nicht nach Duftkerzen und dampfendem Tee, während man liebevoll Geschichten klöppelt. Das klingt nach knallhartem Geschäft.

Und genau das finde ich so inspirierend!

Leidenschaft ist nur der Anfang ...

Warum? Weil damit endlich mal mit den gängigen Vorurteilen und Annahmen aufgeräumt wird. Denn wem es darum geht, möglichst schnell und einfach viel Geld zu verdienen, wird in fast jeder anderen Branche glücklicher werden. Jeder der tatsächlich Geschichten schreibt, tut das sowieso aus einem inneren Antrieb heraus. Weil er/sie diese Geschichten erzählen WILL. Weil es ein tiefes Bedürfnis ist, eine Leidenschaft und ja, vielleicht auch eine Gabe.

Aber das muss doch nicht selbstzweckhaft bleiben. Sonst kann man ja auch einfach nur Tagebuch für sich selbst führen. Nein, wer veröffentlicht, will nicht nur gehört und gelesen werden, sondern will vor allem auch verkaufen. Will Anerkennung. Und will Geld verdienen. Ist daran irgendetwas verwerflich oder unmoralisch?

Ich wünsche mir, dass auch in unserem Land endlich ein Umdenken stattfindet. Was die Lesenden denken, werden wir nicht beeinflussen können, aber mit unseren Kolleg:innen können wir sprechen und endlich alle Elfenbeintürme einreißen.

All jenen, die das versuchen möchten, lege ich die (englischsprachigen) Seiten bzw. Podcasts »The Creative Penn« von und mit Joanna Penn sowie »Learn Selfpublishing« bzw. »The Selfpublishing Show« von und mit James Blatch ans Herz. Die sind ein guter Startpunkt für die Reise zum »Author Entrepreneur«, also zur Autorin UND Geschäftsfrau.