Carin Müller bloggt ...

Vorsicht: Triggerwarnung

Braucht man Inhaltswarnungen oder Content Hinweise in Büchern?

Gleich eine Triggerwarnung vorweg: Dieser Text könnte manche Lesende verstören oder zumindest irritieren, weil sie sich in ihren Sorgen und Ängsten nicht vollumfänglich gesehen fühlen. Das tut mir aufrichtig leid.

So ähnliche Anmerkungen gibt es in immer mehr Büchern. Meist nur deutlich ausführlicher und präziser. Oder wenn der/die Autor:in oder der Verlag Angst davor hat, die Warnung könnte spoilern (Spoiler: tut sie fast immer!), dann gibt es vor dem Start der Geschichte den Hinweis, dass potenziell triggernde Inhalte am Ende des Buchs ausführlich aufgelistet werden. Spoiler: Das ist ausschließlich für Printlesende sinnvoll, die das Buch im stationären Buchhandel in Händen halten und tatsächlich bis zum Ende blättern können. Reine eBook-Fans können sich von dieser Ankündigung mindestens verarscht fühlen (manche auch getriggert), denn die müssten das Buch ja erst kaufen, ehe sie dann die Warnung lesen können.

Die Thematik ist also kompliziert. Und dabei habe ich bisher nur die technische Umsetzung ins Visier genommen und mich noch gar nicht auf die vermeintlich problematischen Inhalte konzentriert. Übrigens gibt es derartige Warnungen auch bei anderen Medien. In so gut wie allen Serien und Filmen, die man auf Streaming-Diensten zu sehen bekommt, erscheint zu Beginn eine kurze Auflistung der möglichen Störer: Alkoholkonsum, Rauchen. »Foul Language« (also etwas rustikalere Ausdrucksweise) stehen da eigentlich immer. Was umso irritierender ist, weil Rauchen und Fluchen in den USA ja total verpönt sind und Saufen für viele zum guten Ton gehört. Wovor dagegen so gut wie nie gewarnt wird, ist (Waffen)Gewalt, die es eigentlich auch in jedem Bewegtbilderzeugnis gleich welchen Genres gibt. Was ich damit sagen will: Diese Warnungen sind völlig für die Tüte.

In Büchern gehören Inhaltswarnungen dagegen seit einigen Jahren zum guten Ton. Vor allem New- und Young-Adult-Romane werden gefühlt ohne Triggerliste gar nicht mehr ernst genommen. Man MUSS vor irgendetwas warnen, damit das Buch ins Schema passt. Und ja, angesichts der häufig übertrieben drastisch-dramatischen Storys und des vergleichsweise zarten Alters der angestrebten Kernzielgruppe mögen diese Vorsichtshinweise sinnvoll sein. Ich fürchte nur, dass sie von vielen Lesenden genau anders genutzt werden. »Hast du dieses superkrasse Buch XY schon gelesen?«

Wie sinnvoll sind Inhaltswarnungen?

Ganz ehrlich? Ich kann diese Frage nicht beantworten. Dabei folge ich sehr vielen jungen Bloggerinnen, die auf Instagram wirklich interessante Stellungnahmen dazu veröffentlichen. Ich kann diese Argumente durchaus nachvollziehen. Es gibt auch in meinem Leben Dinge, an die ich nicht unbedingt gerne rühren möchte – und schon gar nicht hinterrücks in einem Buch damit konfrontiert werden will. Wobei ich in dem meisten Fällen schon gerne differenziere, wie genau so ein Triggermoment abläuft. Passiert diese Situation in der Geschichte einfach so? Ist die Figur damit alleine? Gibt es einen Ausweg? Werden die Lesenden brachial damit konfrontiert oder gibt es eine Einordnung? Gibt es Hoffnung? Und was ich besonders toll finde: Gibt es vielleicht sogar eine Art Orientierung, die ich für mich selbst auch umsetzen kann?

Es ist nicht schwer nachzuvollziehen, dass jemand der ein traumatisches Erlebnis hinter sich hat, von einer plakativen Schilderung aus der Bahn geworfen werden kann. Das finde ich total einleuchtend – und wäre aus diesem Grund tatsächlich FÜR derartige Hinweise.

Wenn da nicht das große ABER wäre.

Denn wo anfangen und wo aufhören? Es gibt so unendlich viele Möglichkeiten, Verletzungen zu erfahren, die die Gefahr einer Retraumatisierung beinhalten. Wie und wo soll man da abwägen? Was hilft es, wenn zehn potenziell triggernde Szenarien aufgelistet werden, Leserin X aber von einer ganz anderen Sache aus der Fassung gebracht wird?

Dann muss man entweder wirklich alles auflisten, was im Buch passiert (und spoilert damit wesentliche Teile der Geschichte) oder macht so generische, nichtssagende Warnungen wie in der Filmbranche. Eine gute Lösung ist beides nicht.

Wie handhabe ich es ?

Offengestanden habe ich lange nicht über das Thema nachgedacht, hielt es nicht relevant für mich und meine Art von Geschichten, bis ich immer mehr Beiträge und Diskussionen der oben erwähnten Bloggerinnen und Leserinnen mitbekommen habe – da muss ich nicht gendern, es sind in meiner Wahrnehmung und in meiner SocialMedia-Blase nur Frauen, die das thematisieren.

Dann habe ich begonnen, mich intensiver damit zu beschäftigen. Schließlich gibt es in JEDEM meiner Romane mindestens eine, oft mehrere Sachen, die potenziell triggernd sind. Krankheiten, Schicksalsschläge, Lebenskrisen, existenzielle Nöte. Eben die ganze Bandbreite, die das Leben so bereit hält. Nicht nur für meine Romanfiguren, sondern auch für uns alle. Jeder, der schon ein paar Jahrzehnte auf dieser Erde wandelt, wurde schon verletzt. Manche Narben sind oberflächlich, manche gehen tiefer und einige eitern womöglich für immer. Das ist nicht schön, aber Teil des Menschseins, Teil des Lebens.

Natürlich finde ich es legitim, wenn jemand sagt: »Mag alles sein, aber ich will trotzdem nicht in einem Buch darüber lesen!« Das ist völlig in Ordnung. Ich schreibe jedoch keine Märchen (die ich übrigens in der Regel besonders grausam finde – auch viele der saccharinsüßen Disney-Adaptionen, aber das nur am Rande), sondern zeige eine Welt auf, wie es sie auch in Wahrheit geben könnte.

In aller Regel sind das ziemlich schöne Welten, denn auch ich bin eine bekennende Freundin des Eskapismus und in Wohlfühlgeschichten wie meinen, sollte zumindest das Drumrum schön muckelig sein. Aber meine Figuren sind sehr authentisch. Es könnte sie alle auch im echten Leben geben. Mit ihren Marotten, ihren Problemen, ihren liebenswerten Seiten und ihren schwierigen, ihrer Trauer, ihren Ängsten, ihren Freuden.

Es sind auch allesamt keine durch und durch unbelasteten Frohnaturen, sondern haben – wie wir alle – Erlebnisse, die sie geprägt haben. Das finde ich besonders spannend, daher liegt der Fokus in meinen Romanen immer mehr auf der Figurenentwicklung und erst in zweiter Linie auf der Handlung, wobei man das ohnehin kaum voneinander trennen kann.

Bei meinem Roman »Island Dreams – Die Imkerei am Meer« hatte ich zum ersten Mal das Bedürfnis, das Thema Triggerwarnung wenigstens in den Raum zu stellen, werden da doch allgemein anerkannte »heiße Eisen« thematisiert, wie Depressionen, Krebs und sogar Suizid. Es gab durchaus angeregte Diskussionen mit Kolleginnen, meiner Agentin, meiner Verlagslektorin, meiner Vertrauenslektorin und einigen treuen Fans. Ich wollte keine Warnung haben – weil ich bisher nie das Gefühl hatte, eine zu brauchen –, aber ich hätte ich überzeugen lassen. Doch dann sagte mir meine Verlagslektorin folgenden Satz: »Du mutest deinen Figuren und deiner Leserschaft einiges zu, aber du lässt niemanden alleine.«

Verantwortung für die Lesenden

Das ist ein sehr schöner Gedanke, finde ich – und für mich derzeit jedenfalls die beste Begründung, warum ich KEINE Inhaltswarnungen in meinen Geschichten habe. Ich mute den Leserinnen und Lesern einfach das Leben zu. Dinge und Situationen, die uns alle jeden Tag treffen können (und es oft genug auch tun). Ich bin dabei aber nie explizit drastisch – das würde zu der Art meiner Bücher auch gar nicht passen – sondern behutsam. Und ich biete immer Auswege, Lösungen oder zumindest Trost an. Dass mir das auch gelingt, bekomme ich erfreulich oft von meinen Fans gespiegelt.

Einige der schon mehrfach erwähnten Bloggerinnen postulieren (zurecht), dass Autor:innen auch eine gewisse Verantwortung für ihre Lesenden haben. Das sehe ich absolut genauso. Aber ich interpretiere meine Verantwortung womöglich anders: Ich kann niemanden vor den Schrecken des Lebens schützen, nicht einmal vor den fiktiven in einer Geschichte. Aber ich kann Hoffnung schenken. Darin sehe ich meine Aufgabe und ich denke, das gelingt mir ganz gut.

Was ist deine Meinung zum Thema? Verrate es mir gerne.