Carin Müller bloggt ...

Teilzeitwachhund

Airedale Terrier Scotty wird 3 und hat eine ganz besondere Lebens- und Arbeitseinstellung

Genau heute in drei Wochen erwartet Scotty in seinem Napf drei Kerzen – oder wohl eher drei Würstchen, um angemessen seinen dritten Geburtstag zu begehen. Drei Jahre wird der Terrier also schon alt und ich staune täglich darüber, dass wir uns allen Widrigkeiten zum Trotz doch irgendwie miteinander arrangiert haben.

Ich bin mir auch nicht ganz sicher, ob es daran liegt, dass er ruhiger und kooperativer geworden ist oder wir einfach resigniert haben? Vermutlich eine Mischung aus beidem. Er ist immer noch sehr laut und beschallt mit seinem durchdringenden Organ nach wie vor gerne die geneigte Nachbarschaft. Menschen, die uns Dinge bringen oder – Gott behüte! – besuchen wollen, werden weiterhin mit dem Tode bedroht. Allerdings haben diese verbalen Ansagen inzwischen eine eher routinierte, fast schon anekdotische Note und schlagen nicht jedes Mal in konkrete Handlungen um. Auch auf der Straße an der Leine gibt es mittlerweile Phasen, die ich – heimlich und unter uns jedenfalls – als entspannt bezeichnen würde.

Ist er also doch langsam erwachsen und souverän geworden? Oder einer Gewerkschaft beigetreten? Für Letzteres spricht, dass er zunehmend Wert auf seine gesetzlich vorgeschriebenen Ruhephasen legt – falls es in der Terrierwelt solche Regelwerke gibt.

Terrier-Gewerkschaft

Während er tagsüber ab frühestens 9 Uhr morgens (bevorzugt erst später), jeden Mucks im Treppenhaus kommentiert – je nach Eskalationsstufe mit genervtem Gebrumm, drohendem Knurren oder ohrenbetäubendem Gebell – und jeder Gassigang lautstark angekündigt wird, fühlt er sich ab etwa 22 Uhr für nichts mehr zuständig. Auf die letzte Pipirunde vor dem Schlafengehen begibt er sich meist schweigsam und wenn die Studenten-WG unterm Dach eine Party feiert und die ganze Nacht fremde Leute durchs Treppenhaus wanken, ist ihm das piepegal. Dann ruht er entspannt auf dem Sofa und träumt ... von was auch immer.

Ehrlich, ich habe keine Ahnung, ob er sich nächtens zum Eingreifen verpflichtet fühlte, würde ein Einbrecher sein Glück versuchen. Womöglich würde der Bub einfach weiterpennen. Falls nicht, wäre das jedoch ganz sicher der letzte Bruch des Unglückswurms, denn ich denke nicht, dass Scotty sich mit leeren Drohungen aufhalten würde.

In Wachphasen nimmt er seinen Job ohnehin sehr ernst. Ich bin mir zwar nach wie vor nicht sicher, nach welch geheimnisvollen Kriterien er entscheidet, wer oder was eine Gefahr für Leib und Wohl seiner ihm anvertrauten Zweibeiner darstellt, aber an seiner offensiven Verteidigungsbereitschaft ist nicht zu beanstanden.

Außer vielleicht aus Perspektive sämtlicher Zusteller, der meisten Nachbarn und wohlmeinender Besucher. Und natürlich aus der der erwähnten hauseigenen Zweibeiner, die sich regelmäßig in Grund und Boden schämen, wenn Scotty völlig unvermittelt irgendwelche Passanten – alt, jung, Männer, Frauen, Kinder, divers, sämtliche Ethnien, mit oder ohne Hund, mit oder ohne Verkehrsmitteln wie Kinderwagen, Roller, Rollstühlen, Krücken, Fahrrädern – anpöbelt. Manchmal denke ich, dass in seinem Kopf ein Zufallsgenerator eingebaut ist, der völlig random ein »Opfer« auswählt. Nach dem Motto: »Hm, gestern war es der finstere Typ mit der Lederjacke, dann nehmen wir heute doch mal Omi mit der adretten Dauerwelle, die ist garantiert brandgefährlich!«

Ein Leben mit Scotty hat auch Vorteile!

  • Ich war lange nicht mehr so fit wie aktuell! Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich nur deswegen so oft ins Fitnessstudio renne, um ihn im Zaum halten zu können.
  • Er zweifelt meine Fitness jedoch an und beweist mir meine vermeintlichen Defizite, indem er seine Schnauze unter mein T-Shirt bohrt und mir zärtlich in den Rettungsring zwickt. Fies.
  • Langeweile habe ich schon lange nicht mehr verspürt. Ungefähr seit drei Jahren nicht mehr.
  • Sein Kontrolletti-Zwang führt erfreulicherweise dazu, dass er auch im Freilauf super hört und gar nicht auf die Idee käme, abzuhauen (was Toni ständig gemacht hat).
  • Ohne Leine ist er ohnehin total unkompliziert, sehr sozialverträglich mit (fast) allen Hunden und hochgradig energieeffizient. Man könnte auch sagen: faul! Während andere Hunde sich in ausgedehnten Jagdspielen auspowern, lauert er an strategisch günstigen Punkten und beendet mit gezielten Bodychecks die wilde Hatz.
  • Wenn mir kalt ist, legt er sich zu mir aufs Sofa. Manchmal auch auf mich. Dann schlafen meine Beine ein – aber irgendwas ist ja immer.
  • Ich bin sein drittliebster Mensch. Nach dem Rudelführer und Hundetrainer Pascal. Danach kommt aber sehr lange niemand mehr ...
  • Es vergeht kein Tag, an dem er mich nicht mindestens einmal laut lachen muss. Meist viel öfter. Die regelmäßigen Tobsuchtsanfälle werden dafür langsam rarer.
  • Er erinnert mich zuverlässig daran, wenn ich zu lange arbeite – indem er sich im Männchen neben mich setzt oder mir ein Spielzeug bringt.
  • Ich bin vielleicht nur sein drittliebster Mensch, aber er ist mit Sicherheit mein liebster (lebender) Hund – und ich kann mir ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen. Vielleicht ist das aber auch das Stockholm-Syndrom ...

Jedenfalls hoffe ich auf viele, SEHR viele weitere gemeinsame Jahre, die ich staunend an seiner Seite verbringen darf.