Carin Müller bloggt ...

Schreibmythos: Der arme Poet

Sind Schriftstellerinnen wirklich entweder bettelarm oder schweinereich? Oder kann man ganz normal vom Schreiben leben?

»Kann man davon leben?« Das ist mit die häufigste Frage, die mir gestellt wird, wenn ich mich als Romanautorin vorstelle. Dicht gefolgt von der Annahme, dass ich bestimmt Kohle ohne Ende verdiene. Zwischen diesen extremen Polen scheint es recht wenig Spielraum zu geben.

Die traurige Wahrheit ist, dass tatsächlich die wenigsten Schriftsteller*innen ausschließlich vom Romaneschreiben leben können – und zwar unabhängig von den Veröffentlichungswegen. Verlagsvorschüsse werden immer übersichtlicher (wenn man überhaupt einen bekommt) und Selfpublishing ist für fast niemanden ein Selbstläufer. So gesehen ist der Mythos des armen Poeten (oder auch der armen Poetin, denn Frauen neigen oft noch mehr zur Selbstausbeutung) durchaus akkurat. Ich könnte den Artikel also hier an dieser Stelle beenden. Wenn es da nicht ein großes Aber gäbe.

Innere Einstellung, äußere Erwartung

Das Wort »Mindset« steht bei mir ganz weit oben in der Top 5 meiner Hassvokabeln. Es fällt mir wirklich schwer daran zu glauben, dass es lediglich an der inneren Einstellung liegt, ob etwas klappt oder nicht. Andererseits halte ich es auch für ziemlich bescheuert, auf unkontrollierbare Faktoren wie Glück zu setzen.

Tatsächlich habe ich die Beobachtung gemacht (an mir selbst und an vielen Kolleg*innen), dass es sehr wohl an der Selbsteinschätzung liegt, wie erfolgreich/lukrativ die Autor*innenkarriere verläuft.

Die meisten Menschen, die einen Roman schreiben, tun es, weil sie unbedingt diese eine Geschichte erzählen wollen. Der erste Roman ist in aller Regel höchstens mittelgut, doch das will man zu diesem Zeitpunkt nicht hören. Das Debüt wird emotional und ideell derart überfrachtet, dass zumindest der irrationale Teil der Schriftstellerseele davon ausgeht, dass es sich hierbei um das große Jahrhundertwerk handelt, auf das die Literaturwelt gewartet hat oder zumindest E.L. James und J.K. Rowling zeigt, wer zukünftig die Weltherrschaft in der Unterhaltung übernimmt. Vermutlich muss das so sein, denn ohne diese Hoffnung würden die wenigsten ihr Buch auch beenden. Selbstverständlich bin auch ich in diese Falle getappt.

Der Absturz aus dieser Illusion ist dann meist recht unkomfortabel. In aller Regel sind Erstlingswerke nämlich nicht die ganz großen Erfolge – und falls doch, führt das zu ganz anderen Problemen, aber dazu gleich mehr. Auf dem Boden der Tatsachen angekommen, teilt sich dann meist die Spreu vom Weizen. Unverstanden fühlen sich aber alle. Wie konnte die Welt nicht erkennen, was man ihr vorgesetzt hat?

Nicht wenige geben nach dieser ersten, frustrierenden Erfahrung einfach auf. Die anderen teilen sich grob in zwei Kategorien. Die einen schlagen den Weg des hehren Künstlers ein, der um des Schreibens (oder der Kunst) willen schreibt – und rasch die Überzeugung annimmt, dass wahre Kunst ohnehin nicht angemessen bezahlt werden kann. Die anderen schütteln sich und versuchen es noch einmal mit der Weltherrschaft. Und noch einmal. Und noch einmal. Und noch einmal ...

Es gibt auch Leute wie mich, die sich für unverstandene Künstlerseelen halten, die einfach Pech haben – es aber trotzdem wieder und wieder probieren. Sehr frustrierend, kann ich sagen. Glücklicherweise bin ich inzwischen darüber hinweg.

Alle bestätigen damit allerdings die weitverbreitete Meinung, dass man vom Schreiben einfach nicht leben kann.

Die Wenigen, die mit ihrem Debüt einen (finanziellen) Hit landen, kommen in aller Regel kurz danach in die Krise. »Werde ich das noch einmal schaffen?« »Was, wenn ich einfach nur Glück hatte?« Auch an dieser Stelle sind schon viele Karrieren geendet, denn Selbstzweifel können genauso destruktiv sein, wie Größenwahn.

Es gibt nur einen Weg zum Erfolg

Ich selbst bin jetzt seit fast zwanzig Jahren in der Buchwelt unterwegs und kann mit einiger Sicherheit behaupten, in fast alle Fallen getappt zu sein, die man in diesem Universum findet. Innere wie äußere. Ich habe aber auch unglaublich viele Leute aus der Branche kennengelernt und erlaube mir inzwischen die vollmundige Behauptung, dass es nur einen Weg zum Erfolg gibt: Schreiben ist ein Geschäft!

Sobald das Handwerk sitzt (ja, man kann Schreiben lernen, man muss es sogar), ist es essenziell, dass man einen gesunden Geschäftssinn entwickelt, sich konkrete Ziele setzt, Strategien implementiert und in sich und sein Business investiert. Und dass man flexibel bleibt, sich den rasend schnell verändernden Bedingungen anpasst und bereit ist, immer wieder neue, andere Dinge auszuprobieren. Ebenso wichtig ist Beharrlichkeit und Geduld. Wer einen Betrieb gründet, wird zunächst auch erst kleine Brötchen backen oder sogar eine ganze Zeit lang in den roten Zahlen sein, aber in vielen Fällen lohnt es sich, am Ball zu bleiben.

Ich selbst habe sehr lange gebraucht, um das zu begreifen. Ich war mir Roman um Roman sicher, dass die nächste Veröffentlichung mein großer Durchbruch wird – ohne wirklich, also wirklich wirklich etwas dafür zu tun. Im Sinne von ERNSTHAFT etwas dafür zu tun. Die Schuld für den ausbleibenden Erfolg habe ich gerne im Außen gesucht. Mangelndes Glück, unkooperative Algorithmen, doofe Agenten, die einem Steine in den Weg legen, noch doofere Verlage, die nur die ganz großen Namen pushen, Blogger*innen, die mich ignorieren, Lesende, die meine Genialität nicht erkennen ... blablabla.

Positiv an dieser jahrelangen Phase der Ignoranz waren lediglich zwei Dinge: Erstens habe ich schon immer vom Schreiben gelebt – nur halt nicht vom Romaneschreiben, sondern von journalistischen Texten, PR-Jobs und Ghostwriting. Ich habe also reichlich »geübt« und damit mein Handwerk verfeinert. Zweitens habe ich eine enorme Resilienz entwickelt. Niederlagen hauen mich längst nicht mehr rasch um wie früher.

Trotzdem wäre es klug gewesen, schon viel früher genauer hinzusehen, was die erfolgreichen Kolleg*innen denn von mir unterscheidet. Es hat gedauert, bis ich meine ätzende Neidbrille ablegen konnte, um festzustellen, dass all diese Leute nicht nur unglaublich fleißig sind und richtig hart arbeiten, sondern auch verdammt viel Zeit (und/oder Geld) dafür investieren, sich geschickt zu positionieren. Und vor allem verstehen sie, wie das Buchgeschäft funktioniert – soweit man das überhaupt verstehen kann.

Mein persönlicher Kipppunkt war die Pandemie. Während des ersten Lockdowns in 2020 sind all meine »Nebenjobs« weggebrochen und ich hatte nur noch mein Romaneschreiben. Fünfzehn Jahre nachdem ich mit meinem Debüt »Mopsküsse« angefangen habe, hat endlich meine innere Strategin das Ruder übernommen und alles auf eine Karte gesetzt. Seitdem wird die Künstlerin gehegt und gepflegt, damit sie voller Elan schreibt, aber das Sagen hat die Geschäftsfrau.

Gilt das wirklich für alle?

Selbstverständlich kann ich nicht von meinen individuellen Erfahrungen auf alle anderen Menschen schließen, aber alle »erfolgreichen« Kolleg*innen, die ich kenne (oder wenigstens beobachte), fallen in diese Kategorie. Übrigens egal, ob sie ausschließlich in Verlagen publizieren oder im Selfpublishing oder wie ich beides machen. Verlagsautor*innen haben bestenfalls gute Agenturen an ihrer Seite, die den »Business«-Bereich zum Teil abdecken, aber ohne eigenen Geschäftssinn geht es auch da nicht.

So sehr ich mich also selbst gegen die Mindset-These sträube: die richtige Einstellung hilft! Und wer nicht als armer Poet enden will, sollte vielleicht zunächst an dieser Schraube drehen.