Weltschmerz & Karneval
11.11.2024
Fasching, globale Krisen, Karneval, Ohnmacht, Optimismus, Resilienz, US-Wahl, Ventil, Verrohung, Verzweiflung, Weltschmerz
Ich will offen sein: Ich kann mit Karneval, Fasching, Fassenacht und wie man die »jecke Zeit« denn noch betitelt, nichts anfangen. Verkleiden fand ich nur im einstelligen Lebensalter gut, danach »cringe« – nur, dass man das damals noch nicht so genannt hat, sondern »peinlich« und »öde«. Keine Ahnung, ob ich schlicht diese besondere Form von Humor nie verstanden habe oder nur selten den Wunsch verspüre, in andere Rollen zu schlüpfen und darin »die Sau rauszulassen«.
Das heutige Datum, der 11.11., könnte mir also vollkommen egal sein. Dass ich es hier thematisiere, hat mit der Befindlichkeit zu tun, die mich derzeit niederdrückt: massiver Weltschmerz! Dabei ist dieses Gefühl gar nicht so einfach zu definieren, also habe ich im Internet nach Erklärungen gesucht. Demnach kann man Weltschmerz folgendermaßen charakterisieren: »Weltschmerz ist ein komplexer emotionaler Zustand, der ein tiefes Gefühl der Traurigkeit, Melancholie und Resignation angesichts der Unzulänglichkeiten der Welt beschreibt. Es handelt sich um eine seelische Grundstimmung, die von prägendem Schmerz und Traurigkeit gekennzeichnet ist.«
Von Weltschmerz gebeutelt
Volltreffer! Genauso fühle ich mich aktuell. Mir persönlich geht es nämlich – eigentlich – gut. Gesundheit, Familie, Freundschaften und Finanzen bereiten mir gerade keine nennenswerten Sorgen. Wären ich und meine Lieben eine Insel, müsste ich mindestens zufrieden sein, wenn nicht gar glücklich. Doch leider bin ich keine Insel, sondern Teil der Weltgemeinschaft und als dieser fühle ich mich hochgradig niedergeschlagen angesichts des globalen Horrors, der in der eben zurückliegenden US-Wahl nur einen weiteren tragischen Höhepunkt gefunden hat.
Das Netz beschreibt die zentralen Aspekte von Weltschmerz folgendermaßen: »1. Diskrepanz zwischen Ideal und Realität: Weltschmerz entsteht oft durch den Vergleich zwischen einer idealisierten Vorstellung der Welt und der tatsächlichen Realität. 2. Ohnmachtsgefühl: Es geht einher mit einem Gefühl der Machtlosigkeit angesichts globaler Probleme und Leiden. 3. Überempfindlichkeit: Menschen, die Weltschmerz empfinden, nehmen die Probleme und das Leid in der Welt besonders intensiv wahr.«
Auch darin fühle ich mich zu hundert Prozent widergespiegelt. Gerade in dem Punkt Ohnmacht. Es ist schwer, seine Rolle zu finden und sie anzunehmen – und nicht daran zu verzweifeln, dass sie womöglich doch nur schrecklich unwichtig ist.
Dabei sehe ich meine persönliche Rolle schon länger darin, Geschichten zu erzählen, die Lesenden möglichst optimistische Perspektiven aufs Leben bieten. Selbstverständlich haben auch meine Romanfiguren Probleme. Manchmal sogar überwältigend große Probleme, aber sie finden in den Geschichten immer einen Sinn. Sie werden durch Freundschaften und wohlmeinende Gemeinschaften gestärkt. Sie dürfen sich als wertvoller Teil einer Gesellschaft empfinden. Ich bin grundsätzlich überzeugt davon, dass solche Geschichten eine gewisse Macht haben. Natürlich verändern sie nicht die Welt, aber sie geben der Person, die dieses Buch liest, ein gutes Gefühl. Sie konnte lachen, sie musste vielleicht manchmal weinen oder sich über Ungerechtigkeiten aufregen, aber sie hat im Idealfall am Ende das Buch mit einem zufriedenen Lächeln weggelegt.
Die Einschläge werden häufiger
Blöderweise muss ich diesen Optimismus eigentlich selbst fühlen, um ihn in meinen Geschichten zu transportieren. Zumindest einen Hauch davon. Ich weiß, dass ich mit enormer Resilienz gesegnet bin und glücklicherweise nie lange in derartigen Tiefs verharre. Ich weiß, ich werde da wieder herauskommen und Schönheit und Hoffnung auch in den kleinen Dingen finden. Mein Optimismus wird nicht lange k. o. bleiben und auch mein Humor wird sich wieder berappeln, aber gerade habe ich keine Ahnung, wann das sein wird. Morgen? Nächste Woche? Erst in ein paar Monaten wieder?
Es ist noch nicht lange her, da habe ich Anfang September schon einmal einen ähnlichen Text geschrieben. Das war nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. Der Text heißt »Darauf eine Kokosnuss« und beschreibt ganz ähnliche Empfindungen.
Ich habe den Eindruck, dass die Einschläge oder Weltschmerz-Auslöser immer häufiger kommen und es immer schwieriger wird, sich davon freizumachen – und mir fehlt gerade eine gute Strategie, damit schneller fertigzuwerden.
Vielleicht doch Karneval?
Zurück zum eingangs erwähnten bunten Treiben. Zweifellos würde selbst eine oberflächliche Recherche über die Karnevals-Traditionen schon schlüssige Antworten liefern, aber ich will mich hier jetzt mal auf meine eigene Theorie verlassen.
Weltschmerz ist ja kein neues Phänomen und ich bin nicht die Einzige, die davon betroffen ist. Vielleicht ist der Verkleidungs- und Sau-raus-lassen-Aspekt von Fasching und Co. genau aus diesem Gefühl entstanden? Aus der Empfindung einer kollektiven Ohnmacht, der man nur mit plumpem Humor, also einem lauten gemeinschaftlichen »Comic Relief« begegnen kann? Ein Ventil, um die Ängste, Sorgen und Unzulänglichkeitsgefühle für eine kurze Zeit zu lindern?
Wenn ich daran glaube – und das möchte ich im Moment ganz unbedingt! –, dann sehe ich dem Treiben mit deutlich mehr Wohlwollen zu. Ihr Jecken habt recht! Das globale Geschehen mag uns verzweifeln lassen, aber jeder von uns hat die Chance, die Welt ein bisschen bunter zu machen. Darüber denke ich jetzt mal ein bisschen nach.