Carin Müller bloggt ...

Vorbild oder Verantwortung

Verantwortung und Vorbildfunktion aus AutorIn

Müssen AutorInnen Verantwortung übernehmen? Haben sie gar eine Vorbildfunktion und dienen als VordenkerInnen? Über diese oder ähnlich lautende Fragen bin ich zuletzt gehäuft in den sozialen Medien und auch im wahren Leben gestolpert. Meist waren diese Fragen Anstoß zu hitzigen Diskussionen und ich finde es gar nicht so einfach, eine eindeutige Position zu besetzen.

Die Wahrheit ist, ich denke beim Schreiben nicht über diese Dinge nach. Zumindest nicht bewusst. Es geht mir um die Geschichte, um meine Figuren und ich möchte meine Leser unterhalten. Fertig. So zumindest habe ich jahrelang und bis vor Kurzem argumentiert. Bis mir aufgefallen ist, dass diese Punkte längst nicht meine einzigen Antriebsfedern sind, die mich zum Schreiben treiben.

Unbewusst – und inzwischen auch zunehmend bewusster – habe ich schon immer Themen in meine Geschichten »geschmuggelt«, die mir wichtig waren und sind und. Aber hat das jetzt etwas mit Vorbildfunktion und Verantwortung zu tun?

Vorbild vs Verantwortung

Ich denke mal, dass man als publizierender Mensch automatisch eine gewisse Vorbildfunktion einnimmt, allein schon dadurch, dass wir in unseren Romanen Dinge auf eine gewisse Weise darstellen. Das mag den Lesern gar nicht bewusst werden, aber unbewusst werden diese Nuancen sehr wohl absorbiert.

Klassisches Beispiel: Im Roman kommt es zum Liebesakt zwischen den Protagonisten. Wie sieht das aus? Sind sich die Figuren einig, dass sie »es« auch beide wollen? Wird auf Safer Sex geachtet? Natürlich könnte man sich als Autorin darauf berufen, dass es sich um eine erfundene Geschichte handelt, die heimliche (oder unheimliche) Fantasien bedient. Man könnte auch zurecht argumentieren, dass Romanfiguren in der Regel nicht aufs Klo gehen und deswegen auch keine Kondome nutzen müssen, weil sie weder ungewollt schwanger noch krank werden können.

Das ist alles richtig, aber man sollte nicht vergessen, dass beim Lesen trotzdem eine Botschaft hängen bleibt. Dass womöglich suggeriert wird, es ist okay, beim ersten Sex mit einem fremden Partner auf Schutz zu verzichten oder Frauen zu bedrängen oder zu vergewaltigen, weil es eine heiße Vorstellung ist. Das Unterbewusstsein wird von solchen Bildern beeinflusst, auch wenn unser vermeintlich kühler Geist in der Lage ist (sein sollte?), klare Unterscheidungen zwischen Fiktion und Wirklichkeit zu treffen.

Ähnliches gilt auch für Klischees. Der schwule beste Freund, die herzensgute, aber leicht tollpatschige Heldin, der aufregende, muskulöse Hunk im Maßanzug und mit Millionen auf dem Konto. Natürlich haben Klischees ihre Berechtigung (und ich habe die genannten alle schon mindestens einmal selbst genutzt), aber sie untermauern auch Vorurteile.

Oder Diversität als drittes Beispiel – müssen wirklich alle Romane zwangsläufig von heterosexuellen, gutaussehenden weißen Menschen bevölkert werden (vom schwulen besten Freund mal abgesehen, dessen Sidekick-Rolle aber notfalls auch von einem Haustier übernommen werden könnte)?

Egal also für welche Herangehensweise AutorIn sich entscheidet, sie oder er dient in diesem Moment zwangsläufig als Vorbild und steht damit auch in der Verantwortung für die transportierte Message.

Inspirieren, nicht belehren

Vermutlich stöhnen spätestens jetzt viele auf. Muss denn wirklich alles politisch korrekt sein? Darf man denn nicht wenigstens mal in einem Roman über die Stränge schlagen und auch Fantasien bedienen, die südlich oder nördlich vom Mainstream-Geschmack liegen? Natürlich darf man. Sollte man vielleicht sogar auch. Aber ich würde mich freuen, wenn meine KollegInnen ihre »Macht der Worte« bewusst einsetzen.

Belehrende Lektüren sind auch mein persönlicher Albtraum. Ich finde es abstoßend, wenn mir jemand mit erhobenen Zeigefinger beim Lesen eine Lektion über adäquates Verhalten erteilen möchte – was auch immer dieser Jemand dafür hält. Aber ich liebe es, inspiriert zu werden! Ich finde es toll, wenn Romane mich zum Nachdenken bringen und meine eigenen Verhaltens- und Denkmuster in Frage stellen.

Die Vorstellung, dass auch ich meine LeserInnen inspirieren kann, ist übrigens absolut berauschend! Daher versuche ich immer, meine persönlichen Werte einfließen zu lassen, Klischees zu brechen, Stereotypen zu vermeiden oder wenigstens zu entlarven. Ich bilde mir ein, dass das meine Geschichten lebendiger und tiefer macht und dabei so subtil ist, dass es die meisten LeserInnen noch nicht einmal merken.

Das ist eine Verantwortung, die ich gerne übernehme – und wenn ich dadurch zum Vorbild werde, kann ich gut damit leben.