Carin Müller bloggt ...

Buchtipp: Flusskrebse vs. Zopf

Top und Flop

Ich achte ich bei der Auswahl meiner Lektüre nicht auf Bestseller-Platzierungen oder Hypes, sondern ausschließlich auf meinen eigenen Geschmack, der nicht immer mainstreamig ist. Zufällig sind mir aber in den letzten Wochen gleich zwei hochgelobte Bestseller vor die Flinte geraten. Eines hat mich restlos entzückt, das andere total enttäuscht.

Zur Zeit begeistern mich Bücher, die sich um ungewöhnliche Frauenschicksale drehen, und/oder auch Themen wie Ausgrenzung und Diskriminierung behandeln. Perfekt in dieses Beuteschema schienen dabei »Der Gesang der Flusskrebse« von Delia Owens und »Der Zopf« von Laetitia Colombani zu passen.

Der Gesang der Flusskrebse

Ich gebe zu, bei diesem Roman hat mich vor allem der Titel angefixt. »Der Gesang der Fluskrebse« – wow. Darunter konnte ich mir zunächst gar nichts vorstellen. Der Klappentext klang vielversprechend:

Chase Andrews stirbt, und die Bewohner der ruhigen Küstenstadt Barkley Cove sind sich einig: Schuld ist das Marschmädchen. Kya Clark lebt isoliert im Marschland mit seinen Salzwiesen und Sandbänken. Sie kennt jeden Stein und Seevogel, jede Muschel und Pflanze. Als zwei junge Männer auf die wilde Schöne aufmerksam werden, öffnet Kya sich einem neuen Leben – mit dramatischen Folgen. Delia Owens erzählt intensiv und atmosphärisch davon, dass wir für immer die Kinder bleiben, die wir einmal waren. Und den Geheimnissen und der Gewalt der Natur nichts entgegensetzen können.

Ich habe mir die Geschichte im englischen Original (dort heißt sie »Where The Crawdads Sing«) für meinen eReader gekauft und mich frohgemut ins Leseabenteuer gestürzt. Die unglaublich poetische, dichte Sprache war das Erste, das mir aufgefallen ist. Ich lese sehr viele englischsprachige Bücher und bemerke bei den meisten nicht einmal, dass es eine Fremdsprache ist. Das war hier anders. Delia Owens bezaubert in ihrem Debüt mit wunderbaren Naturbeschreibungen und mein Wortschatz kam bei den unterschiedlichen Bezeichnungen für »Reiher« (nämlich »heron« und »egret«) oder »Flusskrebs« (»crayfish« und »crawdad«) an sein Limit.

Abgesehen davon hat mich die Geschichte, die sich über mehrere Jahrzehnte erstreckt, rasch und wie hypnotisch in ihren Bann gezogen. Kyas Schicksal geht unter die Haut – aber nicht auf die platte, drastische Art, sondern ganz subtil und dadurch besonders intensiv. Ihr Schmerz, ihre Sehnsucht und ihre unfassbare Einsamkeit sickerten regelrecht in mich ein, genau wie ihre großen und kleinen Freuden, ihre Fortschritte und Triumphe. Und wenn die Geschichte im zweiten Teil eine Wendung zum großen Gerichtsdrama nimmt, wird es endgültig atemberaubend. Für mich (bis jetzt) das Lesehighlight 2020!

Der Zopf

Algorithmen und Freunde haben nicht immer recht. Bester Beweis dafür ist »Der Zopf« der französischen Autorin Laetitia Colombani. Der Titel wurde mir vom großen Online-Dealer genauso empfohlen wie von einer lieben Facebook-Freundin, die einen ähnlichen Lese-Geschmack hat, wie ich selbst. Und der Klappentext klingt schon mal vielversprechend:

Die Lebenswege von Smita, Giulia und Sarah könnten unterschiedlicher nicht sein. In Indien setzt Smita alles daran, damit ihre Tochter lesen und schreiben lernt. In Sizilien entdeckt Giulia nach dem Unfall ihres Vaters, dass das Familienunternehmen, die letzte Perückenfabrik Palermos, ruiniert ist. Und in Montreal soll die erfolgreiche Anwältin Sarah Partnerin der Kanzlei werden, da erfährt sie von ihrer schweren Erkrankung.

Colombani wechselt in jedem Kapitel die Perspektive und wir LeserInnen erfahren, wie es der Inderin, der Italienerin und der Kanadierin ergeht und wie die unterschiedlichsten Schicksalsschläge für lebensverändernde Aktionen sorgen. Das sind durchaus dramatische und potenziell spannende Ereignisse, die bei mir ungefähr im ersten Drittel für ein wohliges Kribbeln gesorgt haben. Wie wird es weitergehen? Warum begleiten wir ausgerechnet diese drei Frauen? Werden sich ihre Lebenswege überschneiden?

Aufregende Fragen und grundsätzlich auch sehr spannende Antworten. Allerdings blieb die Geschichte für mich immer farblos. Die Erzählstimme wirkt auf mich seltsam distanziert, so dass ich zu keinem Zeitpunkt mit den drei Frauen hatte mitfiebern oder mitfühlen können. Die Verflechtung der drei Frauenschicksale erscheint mir gleichermaßen konstruiert und vorhersehbar, dabei gibt es so irre viel Potenzial. Ich habe die ganze Zeit darauf gewartet, dass eine atemberaubende Wendung passiert, doch stattdessen plätschert die Geschichte ohne nennenswerte Wende- oder Höhepunkte vor sich hin und mäandert schließlich in einem halbgaren dreifach Happy End aus. Leider eine krasse Enttäuschung für mich. Schade.