Carin Müller bloggt ...

Doom & Gloom

Weltuntergangsstimmung

Die Sprache der Dichter und Denker ist großartig, aber manchmal beneide ich die anglophone Welt um ihren üppigen Wortschatz. Eigentlich wollte ich diesen Artikel nämlich »Angst vorm Weltuntergang« nennen, doch das klingt derart pathetisch, dass man es fast schon wieder als Überhöhung oder Ironie verstehen könnte.

Also »Doom & Gloom«, was man mit »Verderben & Finsternis« übersetzen könnte oder auch mit »Untergang & Schwermut«. Ein Wortpaar also, das zwar auch nicht ein Ausbund an Heiterkeit und Frohsinn ist, aber wenigstens lässig und cool daherkommt. Dass mir der Sinn noch nach solchen Feinheiten steht, stimmt mich fast schon wieder ein bisschen hoffnungsfroh ...

Corona – Trump – Terror

Aber nur fast. Denn selbst meiner robusten Rossnatur vergeht angesichts der aktuellen Lage der sonst so übermächtige Optimismus. Die Corona-Pandemie wütet nach wie vor auf der ganzen Welt und wir und viele andere Länder sind mittendrin in der zweiten Welle und im zweiten Lockdown. Hauptsächlich deshalb, weil ... Nein, den Absatz mit den irrationalen Schuldzuweisungen habe ich wieder gestrichen. Erstens bringen sie nichts und zweitens, wer weiß schon wirklich so genau, warum die Lage wieder so eskalieren konnte? Meine Verdachtsäußerungen wären vermutlich ähnlich populistisch und selbstgerecht, wie die Sprüche derer, die ich so verachte. Also weg damit.

Stattdessen – business as usual, ich pflege die neue Normalität: Sitze die meiste Zeit allein in meinem stillen Kämmerlein und schreibe. Gehe mit dem Hund Gassi – mit Kopfhörern auf den Ohren, dass ja keiner auf die Idee kommt, mich in ein Gespräch zu verwickeln. Verhülle meine pubertär verpickelte untere Gesichtshälfte mit bunten Stoffmasken, wenn ich einkaufen gehe. Die dämpfen dann auch meine gemurmelten Verwünschungen gegen die Klopapier-Hamster – ein echter Vorteil also. Halte mich von Freunden und Familienmitgliedern fern und probe also mal wieder schrulliges Eigenbrötlertum. Inzwischen bin ich echt gut darin.

US-Wahl

Mit den Corona-Maßnahmen komme ich also irgendwie klar. Da schafft es mein müdes, erschöpftes Hirn zumindest noch, einen rudimentären Sinn zu erkennen, und hat die Hoffnung, dass es besser wird.

Hoffnung ist mir in Bezug auf die morgen anstehende Präsidentenwahl in den Vereinigten Staaten leider völlig abhandengekommen. Ich erinnere mich noch so genau, wie es vor vier Jahren war. Da waren wir gerade für ein paar Tage an der belgischen Nordseeküste (ja, damals ging das noch!). Man war gespannt, aber vor allem hatte man die Hoffnung, dass nach der Wahlnacht dieser unselige Trump-Spuk vorbei sein möge. Keiner hätte er für möglich gehalten, dass es dieser widerwärtige Horror-Clown tatsächlich schafft. Doch: Surprise, surprise!

Ich weiß noch, dass mein Mann und ich beide gegen halb fünf Uhr morgens wach wurden (im Urlaub!) – mit einem verdammt unguten Gefühl. Ich habe dann mein Handy geholt und konnte nicht glauben, was da zu lesen war! Von etwa fünf bis halb acht haben wir uns das Elend dann live im Fernsehen angesehen und sind anschließend vollkommen demoralisiert an den Strand gegangen – mit dem sicheren Gefühl, dass die westliche Welt endgültig ihre Unschuld verloren hat.

Daran hat sich bis heute nichts geändert, außer dass wir alle abgestumpfter geworden sind. Dass »man« Dinge sagen kann, die vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen wären. Dass sich kaum noch jemand über die allenthalbene Verrohung wundert. Dass nur sehr wenige etwas dagegen tun. Dass Lügen und alternative Fakten irgendwie okay geworden sind. Dass ...

Wie wird die Welt Ende der Woche aussehen? Wird es einen Bürgerkrieg in den USA geben? Ich hoffe nicht, aber wundern würde es mich auch nicht mehr. Viele schlaue Politbeobachter sind der Meinung, dass es nur eine *halbwegs* friedliche Option des Wahlausgangs gäbe, wenn nämlich Joe Biden einen erdrutschartigen Sieg einfährt. Und wie wahrscheinlich ist das?

Religiöse Eiferer

Womit ich indirekt nahtlos in mein nächstes Thema hineingeglitten bin: Gewalt im Namen der Religion oder gegen eine Religion. Radikale Islamisten enthaupten in Frankreich einen Lehrer, der seinen Schülern das Prinzip der Meinungsfreiheit beibringen möchte. Wenige Tage später tötet ein ebenfalls islamistischer Attentäter drei Menschen in einer Kirche in Nizza. Der französische Präsident wird vom türkischen der Geisteskrankheit bezichtigt, nur weil er (also Macron) massiv gegen islamistischen Terror vorgehen will.

In Deutschland terrorisieren, bedrohen und töten Nazis mal wieder Juden und Muslime. Die katholische Kirche hält die Studie über den sexuellen Missbrauch in ihren Reihen unter Verschluss – angeblich wegen sachlicher Mängel. In Polen verschärft die extrem konservative Regierung auf Druck der katholischen Kirche das Abtreibungsrecht. In den USA wird eine ebenso konservative Abtreibungsgegnerin und angeblich strenggläubige Christin ans Oberste Gericht berufen. Auf Lebenszeit. Als Nachfolgerin der klugen, weisen, feministischen Ruth Bader Ginsburg.

Evangelikale Christen huldigen und unterstützen Donald Trump. Womit sich der Kreis wieder schließt. Und ja, ich habe stark verkürzt und nur einige wenige besonders hervorstechende Ereignisse der jüngsten Vergangenheit aufgegriffen.

Ich habe nichts gegen Religion. Wirklich nicht. Glaube an eine höhere Macht kann Menschen ein Gefühl von Sicherheit geben – gerade in so komplizierten Zeiten wie diesen. Ich bin auch absolut für das Recht der freien Religionsausübung – jeder soll den Götzen anbeten, der ihm Hilfe, Trost oder das Paradies verheißt. Es muss aber auch in Ordnung sein, wenn man nicht glauben kann, keiner Gottheit huldigen will, sondern sein Leben nach eher weltlichen Ethik-Prinzipien führen möchte.

Es widert mich an, dass die entsetzlichsten Gräueltaten durch Religion legitimiert werden sollen. Meist sind das falsch verstandene oder passend interpretierte »Regeln«, die die »Ungläubigen« bestrafen. In sämtlichen mit bekannten Religionen stehen die Prinzipien von Güte und Nächstenliebe ziemlich weit oben auf der Agenda, doch was man im Alltag erlebt, sind bestenfalls Ausgrenzungen und Intrigen und schlimmstenfalls Terror und Mord. Ich will das nicht mehr!!

Wo gibt’s noch Trost?

Zu den typischen Merkmalen von Texten wie diesen zählt, dass es einen versöhnlichen Schluss gibt. Einen Hoffnungsschimmer, einen kleinen Trost – irgendwas, woran man sich aufrecht halten kann. Leider kann ich das heute nicht liefern. Tut mir leid. Vielleicht nächste Woche wieder. Heute bin ich einfach nur deprimiert. Und dann ist auch noch Sean Connery gestorben ...