Carin Müller bloggt ...

Planen oder Entdecken?

Plotter, Pantser, Discovery Writer - was ist der Masterplan?

Ich glaube, ich hatte schon vier oder fünf Romane veröffentlicht, ehe ich auf der Buchmesse 2015 zum ersten Mal mit der Gretchenfrage aller Schreibenden konfrontiert wurde. Doch während Gretchen bei Dr. Faust nach dessen Frömmigkeit forschte (»Nun sag’, wie hast du’s mit der Religion?«), wollte eine Kollegin von mir wissen: »Bist du Plotter oder Pantser?«

Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, wer mir diese Gewissensfrage gestellt hat und auch nicht, wie ich mich rausgeredet habe – die Schweißausbrüche ob meiner Ahnungslosigkeit sind mir jedoch noch sehr präsent. Ich hatte nämlich nicht die leiseste Ahnung, wer oder was ein »Pantser« sein könnte. Für all jene, denen es genauso geht, wie mir damals: Ein »Plotter« plant seine Geschichte mehr oder weniger detailliert, ehe er mit dem Schreiben beginnt. Ein »Pantser« (oder irgendwie netter auch »Discovery Writer« genannt) dagegen ist ein Freigeist, der erst beim Schreiben die genaue Handlung der Geschichte entdeckt.

Was ist besser – Planen oder Entdecken?

Als mir das klar wurde, bekam ich langsam eine Ahnung davon, in welche Kategorie ich falle – und was die vermeintlich überlegene Herangehensweise ist. Machen wir’s kurz: Ich bin zweifellos eine »Entdeckerin«, doch praktisch alle Schreibratgeber dieser Welt gehen davon aus, dass es definitiv besser ist, seine Geschichten präzise zu planen.

Das konnte ich jedoch nicht wissen, weil ich bis dahin keinen dieser Schreibratgeber gelesen hatte. Ich besaß (und besitze) natürlich eine Menge davon, aber dass Kaufen nicht zwangsläufig Wissen entspricht, ist leider eine nicht zu leugnende Tatsache – obwohl das schöne Wort »Wissenserwerb« durchaus andere Interpretationen zuließe ... Der Grund, warum ich diese Ratgeber nicht oder nur sehr selten lese: Sie haben mit meiner Arbeitswirklichkeit nichts zu tun!

Trotzdem fühlte ich mich seitdem latent schlecht, denn die Vorteile liegen auf der Hand:

  • Ein gründlich geplanter Roman schreibt sich in der Regel schneller, weil man die hauptsächliche Denkarbeit schon vor dem Schreiben erledigt hat.
  • Man entdeckt mögliche inhaltliche Schwächen schon frühzeitig (idealerweise vor dem Schreiben) und kann sie unkompliziert ausmerzen.
  • Es ist unter Umständen einfacher, einen Verlagsvertrag für ein bislang ungeschriebenes Manuskript zu bekommen, wenn die Geschichte schon gründlich »geplottet« ist. (Wer kauf schon gerne die Katze im Sack?)

Meinen allerersten veröffentlichten Roman habe ich übrigens auch gründlich geplant – was jedoch eher eine pragmatische Entscheidung war. »Mopsküsse« hatte ich damals mit meiner Freundin und Kollegin Micha Goebig geschrieben. Micha hatte zum einen viel mehr Ahnung von den formalen und strukturellen Dingen, die mit dem Bücherschreiben einhergehen, zum anderen braucht man als Duo zwingend einen Plan, wenn am Ende eine runde, schlüssige Geschichte rauskommen soll.

Mir hat dieses Denkgerüst damals tatsächlich die nötige Sicherheit gegeben, das gemeinschaftliche Schreiben den erforderlichen Drive, um die Geschichte schließlich erfolgreich zu beenden. Keine Ahnung, ob ich es ohne dieses Ersterlebnis im Weiteren geschafft hätte.

Aber schon beim zweiten Roman »High Heels und Hundekuchen«, der Fortsetzung von »Mopsküsse«, habe ich fast all die tollen Erkenntnisse in den Wind geschossen und mich beim Schreiben durch die Handlung treiben lassen.

Figuren oder Handlung

Figuren oder Handlung?

Neben der Planer- und der Entdeckerfraktion gibt es noch eine weitere zentrale Unterscheidung: Geht man die Geschichte von der Handlung her an oder von den Figuren? Für mich kann ich diese Frage eindeutig beantworten: Ohne die Figuren läuft für mich nichts! Ehe ich mein Personal nicht gut kenne, kann ich nicht wirklich schreiben. Die eigentliche Handlung ist dagegen zunächst einmal zweitrangig.

Meine Theorie ist ja, dass Kolleg:innen, die Wert auf komplexe, ausgefuchste Handlungen legen, eher zum Planen neigen. Womöglich legen sie eher den Fokus auf möglichst spannende, vielschichtige Ereignisse und erst in zweiter Linie auf herausfordernde Charaktere mit all ihren Facetten. Vermutlich macht diese Herangehensweise bei Krimis, Thrillern, Fantasy-Epen und Historiensagas auch absolut Sinn, denn die Gefahr ist groß, dass man sich ansonsten unterwegs verzettelt und den ein oder anderen Handlungsstrang aus den Augen verliert.

Es kann natürlich gut sein, dass sich auch in diesen Genres manche Schreibende durch die Geschichten treiben lassen und am Ende runde, mitreißende Romane herauskommen. Allerdings denke ich wirklich, dass handlungsgetriebene Geschichten viel eher gründlich geplottet werden (müssen), als figurengetriebene.

Ein weiterer Vorteil des planvollen Vorgehens: Man hat die Dramaturgie im Auge! Man kann beispielsweise nach einem gängigen Romanschema wie der Heldenreise oder dem Drei-Akt-System vorgehen und die entsprechenden Szenen an die dramaturgisch dafür vorgesehenen Stellen packen. Ich habe das versucht. Mehrfach. Und ich bin jedes Mal krachend gescheitert. Nicht, weil ich zu blöd dafür bin (hoffe ich wenigstens), sondern weil es mich langweilt und lähmt. Ich sitze dann vor meinem unbeschreibenen Baltt Papier (oder dem Diagramm) und mein Kopf ist leer. So läuft es einfach nicht für mich.

Der Grund, warum meine Geschichten trotzdem »funktionieren«, auch wenn ich mich nicht sklavisch an zweifellos sinnvolle Regeln halte, liegt wohl daran, dass ich in meinem Leben schon derart viele Romane gelesen und Filme gesehen habe, dass ich instinktiv weiß, an welcher Stelle im Manuskript ich Wende- und Höhepunkte einbauen muss, wo ich Spannung auf- und Druck abbauen sollte. So erkläre ich es mir jedenfalls – und mehr als 30 Veröffentlichungen ohne fest aufgeschriebenen Plot sprechen wohl ebenfalls dafür.

Wie sieht das konkret bei mir aus?

In meinem Autorinnenalltag sieht das in der Regel so aus: Ich habe eine meist ziemlich banale Idee. Das kann alles Mögliche sein, ein Ort (z.B. Schottland), ein Thema (z.B. Wale), ein Basiskonzept (z.B. »WG wider Willen« – habe ich u.a. schon in »Mopsküsse«, »Hot Chocolate« und »Robin – High in the Sky« auf extrem unterschiedliche Weise durchexerziert). Meist ist diese sehr dürftige Inspiration aber mit einem Gefühl und noch einem oder mehreren anderen Themen assoziiert – z.B. »Familiengeheimnis«, »Umweltschutz und Diskriminierung«, »Gegensätze bereichern sich«.

Manchmal bin ich dann regelrecht elektrisiert, weil ich absolut sicher bin, einer tollen Geschichte auf der Spur zu sein, aber wenn ich zu diesem Zeitpunkt gezwungen werde, kurz die Handlung zu umreißen, werde ich nervös. Dabei ist das ein durchaus legitimer Wunsch von Agentin und Verlagslektorinnen, denn die Aussage »ich hab da eine super Idee, kann aber noch nicht sagen, worum es geht; es wird aber auf jeden Fall total toll«, ist natürlich überhaupt nicht hilfreich. Also zwinge ich mich dazu, ein bisschen weiter zu denken – und Figuren zu erschaffen. Die sind für mich der absolute Dreh- und Angelpunkt. Wenn ich meine Figuren gut kenne, dann wird erfahrungsgemäß aus einem generischen 0815-Plot eine besondere Geschichte mit einigen überraschenden Wendungen. Die fallen mir – bis auf die Ausgangssituation, dem Ende und mit etwas Glück einem zentralen Knackpunkt – allerdings tatsächlich erst beim Schreiben ein, denn die Figuren sind dann so real für mich, dass sie ein regelrechtes Eigenleben entwickeln.

Das ist übrigens genau der Punkt, der mir an diesem Job am meisten Spaß macht – wenn mir die Figuren flüstern, wie die Geschichte weitergehen soll! Und ich bin absolut überzeugt davon, dass man dieses Glücksgefühl in diesem Ausmaß nur als Entdeckerin erlebt.

Fazit:

Einem guten Roman merkt man nicht an, ob die tippenden Finger an der Tastatur von einem planenden oder einem entdeckenden Geist geleitet wurden. Es gibt schlicht unterschiedliche Ansätze, die Typsache sind und die man sich als Autor:in nur bedingt aussuchen und beeinflussen kann.

Allen Entdecker:innen empfehle ich aber zumindest ein grobes Gerüst und einen roten Faden, an dem man sich entlanghangeln kann. Ansonsten gilt: Lasst euch nicht verunsichern. Es gibt kein Richtig und kein Falsch, und der Grund, warum es keine Ratgeber für »Pantser« gibt, liegt auf der Hand. Wir suchen uns den richtigen Weg lieber selbst.