Carin Müller bloggt ...

Mach dich locker

Ratschläge an mein frühes Autorinnen-Ich

»Welchen Ratschlag würdest du deinem früheren Ich geben?« Diese Frage finde ich immer superspannend. Jedenfalls dann, wenn sie anderen Menschen gestellt wird. Mich selbst bringt sie etwas in die Bredouille. Nicht, weil es keine Fehlentscheidungen in meinem Leben gab (haha), sondern weil ich mir einrede, dass ich jede einzelne davon gebraucht habe, um zu werden, was ich bin. Oder wer. Allerdings muss ich bei näherer Betrachtung zugeben, dass ich manche Lernerfahrungen auch hätte beschleunigen können ...

Weil es hier aber nicht in eine peinliche Nabelschau ausarten soll, beschränke ich mich bei der Beantwortung dieser Frage auf mein früheres Autorinnen-Ich, denn das hätte zweifellos mit am meisten von meinen silberrückigen Weisheiten profitieren können. Hätte es sich dafür interessiert ... *seufz* Doch vielleicht sind ja andere Jung- und Erstautor:innen aufnahmebereiter als ich?

Bleib bescheiden!

Es ist total okay, stolz auf sich zu sein, wenn man den ersten Roman geschrieben und veröffentlicht hat. Sich einzubilden, dass man nun mindestens die neue Hera Lind sein wird, nur weil man einen witzigen Frauenroman geschrieben hat, der noch dazu bei Goldmann erscheinen soll, ist dämlich. Zumal diese Hybris die folgende Bruchlandung geradezu provoziert.

Das gilt übrigens nicht nur für Menschen, die wie ich das Glück hatten, dass ihr Debüt bei einem großen Publikumsverlag erscheint, ich beobachte es auch bei Kolleg:innen in Kleinverlagen oder im Selfpublishing. Dabei ist der erste Roman selten ein wirklich großer Wurf. Und selbst wenn diese erste Geschichte ein Hit werden sollte, kann der Erfolg zur Hypothek werden. (»Werde ich es noch einmal schaffen?«)

Also, liebe Carin von vor fünfzehn Jahren: Freu dich, dass du es geschafft hast, deine Geschichte zu beenden. Freu dich, dass du eine tolle Verlagsheimat gefunden hast, aber zäume dein Ego. Es ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Ein Ultramarathon!

Bleib beharrlich!

Siehste, das Näschen ist blutig geschlagen. Enttäuschte Erwartungen machen das gerne. Und es ist verdammt verführerisch, den Kopf in den Sand zu stecken und frustriert aufzugeben – und/oder aus gemachten Fehlern nicht zu lernen. Überheblichkeit kombiniert mit Beratungsresistenz ist eine wirklich üble Mischung, die vom Schicksal zwangsläufig bestraft wird.

Mein früheres Ich würde nun einigermaßen pikiert anmerken, dass es ja sehr wohl beharrlich war. Stimmt. Wenn man Beharrlichkeit mit einer störrischen »Kopf durch die Wand«-Attitüde gleichsetzt. Es ist schön, etwas unbedingt zu wollen, aber blöd, wenn man denselben Fehler x-mal wiederholt.

Also, liebe Carin von damals: Toll, dass du mit deinen beiden ersten Romanen Lesbares zustande gebracht hast [Anmerkung von heute: Man kann die Geschichten tatsächlich immer noch ohne Schmerzen lesen!], aber ruhe dich nicht darauf aus. Verlasse deine Komfortzone, probiere andere Perspektiven, experimentiere mit neuen Themen und versuche, dich kontinuierlich zu verbessern. Denn Stagnation bedeutet Rückschritt.

Bleib neugierig!

»Never change a running system?!« Verändere nie ein funktionierendes System – das ist keine gute Einstellung, siehe auch den vorherigen Tipp. Für Wortschaffende ist es beinahe überlebenswichtig, offenzubleiben. Mag sein, dass für einige Kolleg:innen schablonenhafte Wiederholungen der ersten Erfolge klappen, für dich liebe Früh-Carin ist das nichts. Wie man heutzutage deutlich sehen kann, wenn man unsere Veröffentlichungsliste ansieht ... Allerdings hätte die Erkenntnis schon viel früher einsetzen können. Vielleicht sogar müssen.

Tipp an alle Youngsters, Debütant:innen, Ersttäter:innen: Schaut über den Tellerrand! Lest andere Genres. Lest überhaupt so viel wie möglich. Lasst euch inspirieren und probiert vielleicht mal andere Geschichten aus. Muss ja nicht gleich ein ganzer Roman sein, manchmal reicht auch eine Kurzgeschichte. Selbst wenn ihr ganz sicher wisst, dass ihr eure komplette Karriere auf Regency-Geschichten aufbauen wollt, schreibt mal eine Science-Fiction-Story. Es wird helfen! Natürlich sind die Genres nur beispielhaft und können durch x-beliebig andere ersetzt werden. Es geht um das Prinzip eines neuen, ungewohnten Blickwinkels, der das eigene Schreiben verbessern wird. Außerdem weiß man nie, was morgen sein wird ...

Sei kollegial!

Da ich an dieser Stelle schon häufig mein heißgeliebtes und schier überlebenswichtiges Netzwerk von Kolleginnen und Kollegen gerühmt habe, wird dieser Ratschlag vielleicht verwundern. Doch früher bin ich voll in die typische Anfängerfalle getappt und habe in jedem anderen Schriftsteller, jeder anderen Autorin eine potenzielle Konkurrenz gewittert. Konkurrenz, die man bestenfalls misstrauisch im Auge behalten und schlechtestenfalls durch biestige Kommentare verunglimpfen muss.

Ehrlich, Jung-Carin, das war in den ersten paar Jahren nicht cool! Gar nicht cool. Und zur Entschuldigung kann ich heute nur anfügen, dass wir damals noch nicht wirklich viele andere Schreibenden persönlich kannten. So blieb wenigstens der Schaden überschaubar.

Vernetzt euch, sprecht miteinander, teilt Erfolge und Sorgen. Unterstützt euch bei Problemen – egal ob mit dem Manuskript, dem Verlag, einem Dienstleister oder auch ignoranten Familienmitgliedern und Freunden. Schreiben ist einsam und macht wunderlich, da tun Mitstreiter wirklich gut. Und keine Sorge, sie klauen keine Ideen ...

Mach dich locker!

Die größte Angst von Jungautor:innen ist, dass jemand (die böse Konkurrenz, s.o.) die geniale Story-Idee klaut. Diese Sorge ist in mindestens 98,5 Prozent der Fälle vollkommen unbegründet. Warum? Zum einen, weil es die vermeintlich einzigartige Idee schon jetzt in etlichen Varianten irgendwo zu lesen gibt – manche behaupten sogar, dass überhaupt keine neuen Ideen mehr geben kann! Zum anderen, weil jeder Autor, jede Schriftstellerin diese Idee komplett anders umsetzen würde. Am Ende wäre womöglich der Basis-Plot derselbe, es wären aber trotzdem ganz unterschiedliche Geschichten.

Liebe Carin von früher und alle anderen Schreib-Noviz:innen – macht euch locker! Freut euch über eure Ideen und habt keine Angst. Und wer mir nicht glaubt, tut sich einfach mit ein paar Gleichgesinnten zusammen und wagt das Experiment. Nehmt euch dieselbe Grundidee und das gleiche Personal vor und schreibt eine Kurzgeschichte. Sie werden alle unterschiedlich sein – versprochen.

Und noch etwas: Selbst wenn dir jemand eine Idee »klaut«, mach dir nichts draus. Je länger du schreibst, desto mehr Ideen wirst du bekommen. So viele, wie du niemals wirst schreiben können. Leider. Oder zum Glück.