Carin Müller bloggt ...

Buchtipp: Die Frau von nebenan

Yewande Omotoso - Die Frau von nebenan

Mein Ehrgeiz ist, hier auf diesem Blog regelmäßig Buchtipps zu stellen und Leseempfehlungen zu geben von Geschichten, die mich tief beeindruckt haben. Dem gegenüber steht – leider – eine ziemlich schlampige und vor allem konsumorientierte Grundhaltung. Ich lese wirklich viel, vorwiegend abends im Bett oder nachts, wenn ich nicht schlafen kann (auch im Bett), aber ich schreibe mir nie auf, was ich wann gelesen habe und schlimmer noch, bei der überwiegenden Menge an Büchern vergesse ich gefühlte Minuten nach dem ENDE, worum es ging. Titel, Autor*in und Cover habe ich sowieso höchstens beim Kauf auf dem Schirm.

Geschichten, die hängen bleiben

Das ist wohl einer der größten Nachteile an eBooks. Die Verbindung, die man zur Geschichte aufbaut, ist eine flüchtige, weil sinnliche Schlüsselreize wie das Cover, der Duft der Seiten oder schlicht das Gewicht des Buches fehlen. Umso beglückender ist das Gefühl, wenn mich eine der zahllosen schönen Geschichten (und ich versuche, ausschließlich schöne Bücher zu lesen!) derart begeistert, dass ich mich auch noch am Tag danach an sie erinnern kann. Oder sogar noch eine Woche oder einen Monat später. Zuletzt ist mir das vor fast einem Jahr so gegangen mit »Das Buch Ana« von Sue Monk Kidd. Seitdem? Nichts mehr.

Oder sagen wir fast nichts mehr, denn es gab immerhin einen riesigen Aufreger: Was alle Welt an Chris Whitakers Roman »Von hier bis zum Anfang« findet, erschließt sich mir überhaupt nicht. Selten hat mich ein Buch derart aufgeregt wie dieses. Völlig kaputte, mittelalte weiße Männer kreisen endlos um sich selbst und ihre eigene beschränkte Sichtweise. Aber immerhin scheint der Autor für diese Figuren reichlich Empathie zu empfinden, etwas, was man ihm in Bezug auf die Frauencharaktere in der Geschichte nicht unterstellen kann. Gerade die jugendliche Protagonistin Duchess, die Whitaker als Heldin stilisiert, bleibt hölzern und oberflächlich und lässt das große amerikanische Sittengemälde reichlich schal schmecken. Aber vielleicht ist gerade das so realistisch?

"Die Frau von nebenan" oder "Von hier bis zum Anfang"

Romane, die berühren

Ganz anders dagegen das kürzlich per reinen Zufall entdeckte Romanjuwel »Die Frau von nebenan« der südafrikanischen Schriftstellerin Yewande Omotoso. »Zwei Ü-80-Frauen in Südafrika, eine schwarz, die andere weiß, die sich herzlich verachten und sich auf schräge Art näherkommen.« So ließe sich die Geschichte in einem Satz zusammenfassen. Doch natürlich steckt viel mehr dahinter.

Zwei außergewöhnliche Frauenbiografien, die es schon wert wären einzeln erzählt zu werden, verweben sich zu einem dichten, manchmal sehr humorvollen, oft bissigen und spitzzüngigen Ganzen, in dem die Post-Aparheid-Gesellschaft Südafrikas wenig subtil den Spiegel vorgehalten bekommt. Sehr besondere Protagonistinnen in einer meiner Lieblingsregionen und intelligente Gesellschaftskritik ganz ohne erhobenen Zeigefinger machen den Roman für mich zu einer fast perfekten Mischung. Ausgesprochen gute Unterhaltung und gleichzeitig Futter fürs Hirn. Großartig.

Hier kommt der Klappentext:

Das Geschenk einer späten Freundschaft – eine wichtige neue Erzählstimme aus Afrika

Hortensia und Marion sind Nachbarinnen. Eine ist schwarz, eine weiß. Beide blicken auf beeindruckende Karrieren zurück. Ihre gegenseitige Abneigung pflegen sie mit viel Eifer, aber was wissen sie wirklich voneinander?

»Yewande Omotoso bietet aufregende neue Einsichten. Das ästhetische und politische Engagement in ihrem Roman ist sichtbar in dem tiefen Mitgefühl, das sie ihren Heldinnen entgegenbringt. Obwohl sie deren Ansichten, Verfehlungen und heimliche Sehnsüchte kompromisslos offenlegt, erzählt sie in ihrer wunderschönen, fast heiteren Sprache von dem Recht auf einen individuellen Lebensentwurf unabhängig von Herkunft und Hautfarbe.« Chris Abani, Autor von »Graceland«