Carin Müller bloggt ...

Das versteckte Café

die erste Geschichte im "The Wylde Wynds"

Vor ein paar Wochen habe ich hier auf meinem Blog und später noch im Newsletter einen Aufruf gestartet, dass ich mich über Anregungen, Stichwörter und Herausforderungen für ein Kurzgeschichten-Projekt freuen würde, das in einem fiktiven Pub in Edinburgh spielen soll. Zuallererst möchte ich mich für das grandiose Feedback bedanken! Ich habe die kreativsten Fans der Welt! Ich habe geschmunzelt, manchmal laut gelacht und war an anderen Stellen sehr berührt von den Ideen. Vielen Dank all jenen, die sich die Mühe gemacht und mich mit ihren Einfällen versorgt haben.

Wer noch mitmachen will – jederzeit gerne. Klicke einfach auf den Button und ließ meine ursprünglichen Artikel.

Gleich kommt nun meine erste Geschichte. Du kannst sie entweder hier auf dem Blog lesen oder sie als PDF oder ePub runterladen.

Geschichte 1 von Charlotte McGregor (version 2)

Das versteckte Café

War dieses verdammte Café magisch oder warum fand ich es einfach nicht? Ich stand zum dritten Mal an derselben Straßenecke und schaute ratlos herum. Laut meiner Handy-App sollte The Wylde Wynds hier in unmittelbarer Nähe sein. Doch entweder war ich zu doof, um mein Navi zu begreifen, oder die Kneipe war verzaubert, so dass sie nur von Studenten wie meinem Sohn gefunden werden konnten und nicht von durchreisenden Müttern, die mit schlechtgelaunten Rauhaardackeln in der schottischen Metropole unterwegs waren.

Der einsetzende Nieselregen machte das Dilemma nicht besser. Himmel, wie konnte das nur sein? Normalerweise hatte ich mit der Orientierung keine solchen Probleme. Am anderen Ende der Leine grollte es leise. Dackel Rudi war ebenfalls sichtlich missvergnügt und gab mir selbstredend die Schuld für alles. Seit wir vor drei Tagen mit Sack und Pack in München zu unserer Schottlandreise aufgebrochen waren, strafte mich mein Vierbeiner mit zunehmend übler Laune. Der Herr konnte es einfach nicht leiden, wenn man ihm seine heißgeliebten Routinen entzog. Doch er würde sich garantiert gleich wie verrückt freuen, wenn wir Louis trafen, seinen heißgeliebten großen Zweibeiner-Bruder, der direkt nach seinem Abi vor zwei Jahren zum Studium nach Edinburgh gegangen war.

Kurz überlegte ich mir, ob ich mir die Blöße geben und ihn anrufen sollte, doch auf die zu erwartende Unterhaltung hatte ich so gar keine Lust. Ich könnte ja auch einfach jemanden fragen. Ehe ich mich jedoch hilfesuchend an einen Passanten wenden konnte, schaltete Rudi vom ungehaltenen Gebrumm auf ohrenbetäubende Dackelsirene um, die er nur für besonders impertinente Mitgeschöpfe reserviert hatte – Postboten und Katzen. Und er zerrte wie verrückt an der Leine, was meine Standfestigkeit auf die Probe stellte. Ich kam ordentlich aus dem Tritt und sah gerade noch, wie sich ein cremefarbener Fellpopo und ein dunkler Schwanz durch eine Katzenklappe an der petrolfarbenen Tür des Nebenhauses in Sicherheit brachte. Rudi war drauf und dran, dem brandneuen Erzfeind zu folgen, doch ich hatte mein Gleichgewicht wiedergefunden und hielt ihn mit eisernem Griff fest.

Die Tür – es war eine imposante Holztür – stellte sich als Eingang zu einem gastronomischen Betrieb heraus. Genauer gesagt zum Café oder Pub, das auf den ungewöhnlichen Namen The Wylde Wynds hörte. Warum war mir das die ganze Zeit nicht aufgefallen? Stimmte etwas mit meinen Augen nicht? Denn besonders winzig war das Etablissement nun wirklich nicht. Ganz im Gegenteil. Ich schüttelte den Kopf und beschloss, meine geografische Fehlleistung für mich zu behalten.

»Halt die Klappe, Rudi«, ermahnte ich das immer noch höchst angespannte Dackeltier an der Leine und öffnete dann die Tür zum Lieblingscafé meines Sohnes, das er mir mit den vollmundigen Worten »du wirst es lieben, Mama!« angekündigt hatte. Von der Katze war glücklicherweise nichts zu sehen, dafür stand ich einen Augenblick wie verzaubert herum und konnte mich gar nicht sattsehen. Der Gastraum war riesig und L-förmig. An der Fensterfront, die zur Straße zeigte, standen zahlreiche Tische und Stühle, an denen viele Leute bei einem späten Frühstück oder frühen Lunch saßen. Am langen Tresen luden zahllose samtgepolsterte Barhocker zum Verweilen ein und weiter hinten veränderte sich der Raum noch einmal. Sofas und Sessel mit niedrigen Tischchen davor wirkten gleichzeitig heimelig und cool. Dazwischen standen Regale mit Büchern, Gesellschaftsspielen, Zeitungen und Magazinen sowie zahllose üppige Topfpflanzen, die das dringend benötigte Tageslicht durch die gläserne Decke erhielten. Das Ganze wirkte wie ein antikes Gewächshaus.

»Zum ersten Mal hier?« Eine junge Frau war neben mir aufgetaucht und lächelte mich an.

»Ja, und ich bin ehrlich gesagt ziemlich überwältigt. Niemals hätte ich gedacht ...« Ich verstummte, denn alles, was ich hätte sagen wollen, klang selbst in meinen Gedanken dämlich und provinziell.

»So ging es mir bei meinem ersten Besuch auch«, entgegnete sie jedoch freundlich. »Ich bin übrigens Sarah und arbeite hier. Wo möchtest du sitzen?«

Ich ließ meinen Blick noch einmal herumschweifen, dann deutete ich energisch zu den petrol- und bronzefarbenen Sofas. Louis würde mich schon finden.

»Gute Wahl. Such dir einfach eine schöne Ecke. Ich komm gleich mit der Karte. Darf ich schon mal was zum Trinken bringen?«

»Ich nehme einen Kaffee, bitte. Mit allem anderen warte ich, bis mein Begleiter kommt.« Die zuckersüße Sarah nickte und verschwand hinter dem Tresen und ich ging in den Wintergarten-Bereich und versuchte, die perfekte Nische zu finden. Louis hatte nicht zu viel versprochen, ich fühlte mich in diesem zauberhaften Ambiente sofort wohl und entspannte mich augenblicklich, als ich in die weichen Polster sank. Auch Rudi schien es hier zu gefallen. Er schnüffelte interessiert und schielte nun mit einem halb sehnsüchtigen, halb herausfordernden Blick auf den Platz neben mir. Im nächsten Moment stemmte er bereits seine Vorderpfoten auf das Kanapee und war drauf und dran, es zu entern.

»Nichts da, mein Freund«, schimpfte ich ihn und schob ihn wieder auf den Boden der Tatsachen.

»Er darf ruhig aufs Sofa«, sagte jedoch Sarah, die mit einem Tablett zurückgekommen war. Sie servierte mir meinen Kaffe und ein Schälchen mit drei Stücken Shortbread. Für Rudi hatte sie einen Wassernapf dabei, den sie neben das Sofa stellte, und ein paar Hundekekse.

»Vielen Dank.« Mein Blick fiel auf eine Gruppe von acht Frauen und zwei Männern, die zwei Sofas und drei Sesseln schräg gegenüber von mir belagerte und recht hitzig diskutierte.

»Das ist unser Bücherstammtisch, der sich einmal im Monat samstags hier trifft«, erklärte mir Sarah ungefragt. »Ich glaube, sie streiten sich über die Biographie von Prinz Harry.«

»Auweia«, murmelte ich und trank einen Schluck Kaffee.

»Sag Bescheid, wenn ich dir noch etwas bringen kann«, sagte Sarah und ging dann zu den Hobbyliteraturkritikern, um sich nach deren kulinarischen Wünschen zu erkundigen.

Ich sah indes auf die Uhr und fragte mich, mit wie viel Verspätung ich bei meinem Sohn heute wohl rechnen musste. Es durfte ohnehin als mittleres Wunder gelten, dass er mich an einem Samstagvormittag um elf treffen wollte. Zweifellos war er letzte Nacht endlos um die Häuser gezogen. Andererseits war das auch das einzige Zeitfenster, das er für mich erübrigen konnte. Vorlesungen, Nebenjobs und sein zweifellos ausschweifendes Sozialleben ließen nicht viel Platz für eine spontane mütterliche Stippvisite. Ich ignorierte den irrationalen Stich, den ich in meinem Herzen spürte. Ich war damals genauso gewesen. Eltern hatten in einer gewissen Lebensphase einfach keine Priorität – und das war auch gut so. Ich war dankbar, dass er so selbstständig war und mit erst einundzwanzig sein Leben so gut im Griff hatte. Das gab mir auch die Chance, mir meinen eigenen Traum zu erfüllen und in den nächsten Wochen oder vielleicht sogar Monaten ausgedehnt durch Schottland zu reisen. Da würden wir bestimmt die Gelegenheit finden, uns noch ein paarmal zu treffen. Trotzdem machte mein Herz einen irrationalen Hüpfer, als kurz darauf ein großgewachsener junger Mann, mit dunkler Un-Frisur, unrasiert und mit suchendem Blick das Café betrat und mir dann ein umwerfend strahlendes Lächeln schenkte.

~~~

Mein Herz setzte ein paar Schläge aus und polterte dann so holperig weiter, dass mir das Glas aus der Hand fiel und auf dem Boden in tausend Stücke zerbarst. Er war wieder da! Doch wie immer hatte er keinen Blick für mich, sondern scannte den Gastraum, nur um dann das umwerfendste Strahlen aufzusetzen, das ich je auf seinem Gesicht gesehen hatte. Das kaputte Glas war mir egal, ich musste wissen, über wen er sich so freute, also lehnte ich mich über den Tresen und bekam dann den zweiten Mikro-Herzstillstand in den letzten Sekunden. Gesund war das sicher nicht. Aber ich konnte nicht fassen, was ich da sah.

Er näherte sich der Frau mit dem Dackel, die ich gerade bedient hatte. Und so wie sie ihn in ihre Arme zog ... Nein, ich konnte das nicht länger mit ansehen.

»Alles klar, Sarah?«, erkundigte sich mein Boss Deacon mit gerunzelter Stirn und reichte mir das Kehrblech und den Handfeger.

»Ähm«, krächzte ich verlegen und bückte mich, um die Scherben aufzunehmen. »Sorry dafür«, fügte ich noch hinzu.

»Das ist nicht so schlimm, aber dass du bei dem Anblick dieses Jungens jedes Mal derart die Fassung verlierst, macht mir langsam Sorgen.«

»Ich weiß auch nicht«, murmelte ich verzagt. Es war mir peinlich, dass Deacon das schon so oft mitbekommen hat, was vermutlich daran lag, dass wir ganz ähnliche Schichten arbeiteten. Vermutlich würden die meisten Leute meinen schwer tätowierten Boss für einen harten Rocker halten und ihn eher am Abend hinterm Tresen erwarten, doch Deacon hatte ein ganz weiches Herz – und erzog seinen kleinen Sohn Finlay alleine, weshalb er nur tagsüber hier war.

»Wenn er dir so gut gefällt, dann solltest du ihn vielleicht einfach mal ansprechen«, schlug er vor und mir entglitt allein bei der Vorstellung beinahe das Kehrblech mit den Scherben.

»Das kann ich nicht!«, entfuhr es mir heiser.

»Warum denn nicht? Du würdest uns allen wirklich einen Gefallen tun.« Deacon nahm mir die Scherbenfracht aus meinen zitternden Händen. »Das ist doch kein Zustand.«

»Er hat nie auch nur einen Blick für mich übrig, da kann ich ihn doch nicht einfach so anquatschen, und außerdem steht er offensichtlich auf ... ähm ... reifere Frauen.« Wieder schielte ich zu dem Tisch, wo die beiden nun eng nebeneinander auf der Couch saßen und er die Zärtlichkeiten des Hundes abwehrte. Wie ich diesen Dackel gerade beneidete, der beherzt und ohne Angst vor Konsequenzen einen Kuss auf den sinnlichen Lippen meines Traummannes platzierte.

Deacon folgte meinem Blick. »Er hat jedenfalls einen guten Geschmack. Die Frau sieht toll aus. Und als ›reif‹ würde ich sie auch nicht bezeichnen. Eher als ziemlich ...«

»Ich will’s nicht hören«, wehrte ich ab. »Die ist so alt, sie könnte seine Mutter sein. Das ist doch unnatürlich. Und überhaupt dieses seltsame Outfit.« Zumindest Letzteres war ungerecht, das wusste ich. Bis vor wenigen Minuten hatte ich ihre petrolfarbene Chiffonbluse und den aufwendig bestickten, kupferfarbenen Schal noch cool gefunden. Zumal beides erstaunlich gut zu ihren fuchsroten Haaren passte. Ich würde mich so eine Farborgie niemals trauen.

»Sie ist niemals seine Mutter. Da hätte sie ihn ja mit fünfzehn oder so bekommen müssen«, befand Deacon mit zusammengekniffenen Augen.

»Soll ja vorkommen«, entgegnete ich und schämte mich für meinen schnippischen Tonfall. So war ich normalerweise nicht. Aber meine gute Laune war gerade vollkommen flöten gegangen.

»Ich glaube aber auch nicht, dass sie seine Freundin ist«, sprach Deacon unbeeindruckt weiter. »Sie wirken recht vertraut, aber nicht auf die romantische Art. Vielleicht ist sie seine Tante oder so. Egal, ich würde vorschlagen, du kümmerst dich jetzt wieder um deine Gäste und findest bei der Gelegenheit mehr heraus.«

»Bitte, kannst du nicht diesen Tisch übernehmen?«, flehte ich ihn an.

»Nein, kann ich nicht. Außerdem sieht die Frau nach reichlich Trinkgeld aus. Also sei nett und mach deinen Job.«

Zähneknirschend schnappte ich mir zwei Speisekarten und machte mich auf dem Weg. Die Distanz kam mir plötzlich endlos vor und ich hatte das Gefühl, dass sich mein ganzes Leben vor meinem inneren Auge noch einmal abspielte. Geschah so etwas nicht immer nur kurz vorm Tod? Darüber wollte ich lieber nicht nachdenken – und es war auch nicht mein ganzes Leben, sondern nur mein Liebesleben, das man getrost mit einem Wort umschreiben konnte: traurig. Und es war mehr als unwahrscheinlich, dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern würde.

»Hi«, piepste ich mit viel zu hoher Stimme, als ich endlich ankam und hielt die Speisekarten wie ein Schutzschild vor meiner Brust.

»Möchtest du frühstücken oder schon mittagessen?«, fragte die Frau meinen Traummann, der es nicht einmal schaffte, höflich zu mir zu sehen, sondern weiter den Dackel herzte.

»Frühstück wäre cool«, murmelte er und ich bekam weiche Knie, als er vergeblich eine dunkle Strähne hinter sein Ohr strich.

Die Frau musterte ihn mit einem ähnlichen Blick, wie ihn Deacon eben für mich übrig gehabt hatte. »Alles klar?«, erkundigte sie sich bei ihm.

»Ja, klar. Frühstück«, nuschelte er. »Das mit Porridge und Scones für mich. Und ein Glas frischgepresstem Orangensaft.«

Die Frau schüttelte den Kopf und warf mir einen entschuldigenden Blick zu. »Ich nehme dasselbe, bitte«, sagte sie. »Und noch einen weiteren Kaffee für mich.«

~~~

»Sag mal, was ist denn los mit dir?«, fragte ich Louis, als die hübsche Kellnerin wieder abgerauscht war. »Seit wann bist du so unhöflich?«

»Ähm.« Er wand sich verlegen und hatte nun auch noch Mühe, mir in die Augen zu sehen.

»Ich finde schon, dass es unhöflich ist, wenn man seine Kellnerin nicht einmal ansieht. Ihr hat das auch nicht gefallen.« Ich hörte mich so tadelnd an, wie meine eigene Mutter, aber das war mir gerade egal. So hatte ich meinen Sohn nicht erzogen.

»Tut mir leid«, sagte er so leise, dass ich es kaum hören konnte. Dann hob er Rudi auf seinen Schoß und drückte seine Nase ins Hundefell. Sehr merkwürdig. Gerade erinnerte er mich an den Vierjährigen, der so unsterblich in seine Kindergärtnerin verliebt gewesen war, dass er ihr tagelang nicht unter die Augen treten konnte.

»Du findest sie gut, was?«, wagte ich den Schuss ins Blaue. In den siebzehn Jahren seit seiner Kindergartenliebe hatte ich einige Mädchen an seiner Seite erlebt und bei keiner hatte er so reagiert. Aber meist waren diese Freundschaften auch ganz schnell wieder Vergangenheit gewesen.

»Quatsch! Wie kommst du denn auf so eine Idee?«, rief er so laut und empört, dass selbst die leidenschaftliche Prinz-Harry-Diskussion am Bücherstammtisch verstummte.

»Tja, wie bloß?«, fragte ich amüsiert und beschloss, erst einmal das Thema zu wechseln. Wir plauderten beim Essen, das Sarah recht steif serviert hatte, über sein Studium, seine WG und meine Reisepläne und ich merkte, wie sich Louis wieder etwas entspannte. Doch als die süße Kellnerin zum Abräumen kam, verkrampfte er sich prompt wieder neben mir.

»Arbeitest du Vollzeit hier oder ist das nur ein Nebenjob?«, erkundigte ich mich bei Sarah, die mit leicht zitternden Händen die Porridge-Schüsseln ineinander stapelte.

»Ich studiere Pharmazie und arbeite hier nur am Wochenende«, entgegnete sie leise.

»Pharmazie? Das ist ja spannend. Da hättet ihr euch doch bestimmt viel zu erzählen. Mein Sohn Louis studiert nämlich Biologie – das ist doch ganz ähnlich.«

»Das ist etwas total anderes«, kam es knurrend neben mir. Vom Sohn, nicht vom Dackel.

»Aus der Perspektive einer Schneiderin ist das praktisch identisch«, sagte ich jedoch grinsend. »Kennt ihr euch von der Uni?«

Sarah hatte nun flammendrote Wangen und fiebrig glänzende Augen und schüttelte nur mit dem Kopf, Louis schien am liebsten in den Sofakissen versinken zu wollen.

»Dann seid ihr euch aber hier schon häufiger begegnet, was?«, bohrte ich erbarmungslos weiter. Ein bisschen taten mir die beiden leid, aber ich hatte das eindeutige Gefühl, dass hier zwei Schüchterne einen kleinen Anstoß brauchten.

»Gelegentlich«, gab Louis mit rauer Stimme zu – und plötzlich war ich mir ganz sicher, warum The Wylde Winds sein Lieblingscafé war. Es lag nicht an der fantastischen Einrichtung und dem leckeren Essen, sondern an der hübschen Sarah.

~~~

Ich wollte jetzt ganz dringend sterben oder wenigstens im Boden versinken. Was tat diese irre Frau da bloß? Immerhin wusste ich nun, dass er Louis hieß. Schöner Name. Und dass er Biologie studierte. Ich sah aber auch, dass er sich wand wie ein Aal, weil ihm die Situation vermutlich genauso unangenehm war wie mir selbst. »Kann ich euch noch etwas bringen?«, presste ich mühsam hervor.

Die Frau mit dem toll bestickten Schal – war sie tatsächlich Louis’ Mutter? – sah zwischen mir und ihm hin und her. »Wie wär’s mit deiner Telefonnummer?«, schlug sie grinsend vor. »Ich kann dir dann seine geben. Wenn ihr schon nicht miteinander sprechen könnt, dann vielleicht texten?«

»Mama!«, stöhnte er empört. »Das geht jetzt wirklich zu weit.«

»Ich weiß. Tut mir leid«, gab sie mit einem gespielt-theatralischen Seufzer zu. »Aber das ist, was Mütter tun. Ihren Nachwuchs in Verlegenheit bringen.« Sie zwinkerte mir zu und ich konnte nicht anders, als zu kichern.

»Das hast du wirklich großartig drauf«, brummte Louis und sah mir dann zum ersten Mal direkt in die Augen. Es dauerte weniger als eine Sekunde, ehe er seinen Blick wieder erschrocken abwandte, aber dieser kleine Moment reichte mir, um all meine Ängste und Unsicherheiten vergessen zu lassen. Es war vollkommen bescheuert und zweifellos pathetisch, aber ich hatte seine Seele gesehen – und er meine – und nun war alles klar.

»Ich würde dann zahlen«, sagte seine Mutter, die von diesem welterschütternden Moment offensichtlich nichts mitbekommen hat.

»Bin sofort wieder da«, sagte ich und schnappte mir die leergefutterten Teller und Schüsseln.

»Was ist denn mit dir passiert?«, wollte Deacon wissen, als ich beschwingt das Geschirr in die Küche trug.

»Nichts«, behauptete ich, während ich die Rechnung fertig machte und dann rasch meine Handynummer auf einen Notizzettel schrieb.

»Das ist nicht nichts«, beharrte er jedoch. »Du wirkst, als hättest du eine Persönlichkeitstransplantation hinter dir.«

»Haha.«

»Hast du inzwischen etwas herausgefunden?«

»Sie ist seine Mutter. Er heißt Louis und studiert Biologie«, sprudelte aus mir hervor, ehe ich mich bremsen konnte. »Und jetzt muss ich kassieren.« Ich wandte mich wieder um und stolperte dabei fast über Sam, den eigensinnigen Siamkater, dem niemand gehörte, der aber vor Jahren beschlossen hatte, hier zu leben.

»Mau«, maunzte er und rieb seinen Kopf an meiner Wade – etwas, was er noch nie zuvor gemacht hatte. Bislang war ich für Sam genauso Luft gewesen, wie für Louis. Und dann tauchten plötzlich auch Sonnenstrahlen das Café in ein goldenes, warmes Licht. Der graue Niesel hatte sich plötzlich verzogen und einem dem August angemessenen Sommerwetter Platz gemacht.

Ich hörte einen seltsamen Laut von der Bar und wandte mich zu Deacon um. »Wenn kleine Wunder geschehen, soll man sie nutzen«, sagte er mit einem eigenartigen Lächeln. »Nun lauf, ehe es sich die Wylde Wynds wieder anders überlegen.«

ENDE

Womöglich wird es bald ein Wiedersehen mit Sarah und Louis geben, aber du ahnst bestimmt schon, dass sich da zwei Menschen gefunden haben, die etwas Außergewöhnliches miteinander verbindet.

Ein Wiedersehen mit Louis Mutter – sie heißt übrigens Fanny König – und Dackel Rudi gibt es dagegen jederzeit in »Highland Crime – Die tote Tänzerin«. Fanny hat in Edinburgh nichts mehr zu tun und fährt weiter Richtung Norden in die Highlands. Im beschaulichen Kirkby will sie sich die Highland Games ansehen und wird unverhofft, in einen tragischen Todesfall verwickelt ...

Ich danke folgenden Patinnen für diese Geschichte:

  • Der Name des Cafés »The Wylde Wynds« stammt von Petra – ich habe lediglich ein »e« an Wylde hinzugefügt.
  • Die Idee von dem Bücherstammtisch stammt von Kirsten.
  • Sarah hat sich gewünscht, selbst eine Rolle spielen zu dürfen – mit dem größten Vergnügen!
  • Deacon MacMillan wurde von Jenny erfunden und getauft.
  • Gastauftritte von Figuren aus meinen Romanen wünschten sich u.a. Kirsten, Bianca und Wencke. Das ist mir das allergrößte Vergnügen!
  • Dass es eine Kneipenkatze geben muss, da waren sich viele einig: Martina, Sonja, Edelgard Karin, Regina, anonym, Wencke, Claudia, Andrea, Ulrike. Von Frauke stammt sogar konkret Siamkater Sam.

Mal sehen, ob ich mir beim nächsten Mal die Nachtschicht vorknöpfe ...