Warum Drachen nie aus der Mode kommen

6.10.2025
Blueberry, C.C. Ravenmiller, Christian Raabe, Der Hobbit, Drachen, Fafnir, Fourth Wing, Fuchur, George RR Martin, Kay Noa, Lilly Labord, Ordo Draconis, Smaug, Tolkien
Es gibt Figuren, die tauchen in Geschichten auf, bleiben eine Weile, verschwinden wieder – und irgendwann denkt niemand mehr an sie. Und dann gibt es Drachen. Diese uralten, mächtigen, faszinierenden Wesen, die seit Jahrtausenden durch unsere Fantasie geistern. Ob in Mythen, Märchen, Fantasy-Romanen oder Animationsfilmen: Drachen gehen einfach nie aus der Mode. Aber warum eigentlich?
Mein erster Drache
Ich weiß, um richtig zu überzeugen, sollte ich hier an dieser Stelle etwas von meiner unsterblichen Drachenliebe erzählen und berichten, welcher der mysteriösen Flattermänner mich besonders geprägt und fasziniert hat. Tatsächlich wäre das aber eine riesengroße Lüge. Drachen fanden bis vor wenigen Jahren weitgehend außerhalb meiner Wahrnehmung statt. Sie haben mich einfach nicht besonders interessiert. Mit zwei Ausnahmen aus Kindertagen: Grisu und Fuchur!
Die Zeichentrickserie um Grisu, den kleinen Drachen, der wahnsinnig gerne Feuerwehrmann werden wollte, habe ich heiß und innig geliebt. Wer ihn nicht kennt, kann sich hier die erste Folge ansehen:
Und dann kam auch schon »Die unendliche Geschichte« von Michael Ende. Auch wenn ich – anders als meine beste Freundin Tanja – dem Roman nicht vollkommen verfallen war (ich weiß nicht, wie oft sie ihn gelesen und den Film geguckt hat), war ich doch ziemlich in Fuchur verliebt, dem weißen Glücksdrachen, der im Film wie ein fliegender Golden Retriever wirkte. Zauberhaft. Wirklich.
Fuchur war freundlich, verspielt und gütig – das genaue Gegenteil des klassischen westlichen Drachen, den man aus Märchen oder alten Heldensagen kennt – und die ich allesamt blöd fand. Daher habe ich mich dem weiteren klassischen Drachenkanon auch bis auf weiteres verweigert. Sorry.
Da konnte mir mein Umfeld noch so sehr von Tolkiens Smaug vorschwärmen. Der list ist, bedrohlich, ein Inbegriff der zerstörerischen Naturgewalt. Er liegt auf seinem Schatz wie ein Symbol für Gier und Maßlosigkeit, und er scheint unbesiegbar. Ähm? Danke. Aber nein danke! Trotzdem wurde mir dann irgendwann klar, dass Drachen nicht nur Figuren für Kinderträume sind, sondern auch Spiegel menschlicher Abgründe.
Zwischen Fuchur und Smaug liegen Welten – und genau darin liegt der Schlüssel zur zeitlosen Attraktivität dieser Wesen. Drachen sind wandelbar. Mal sind sie Freund, mal Feind und gar nicht mal so selten auch beides.
Drachen in Mythologie und Kulturgeschichte
Schon ein Blick in die Mythologie zeigt, wie universell dieses Wesen ist. Kaum eine Kultur kommt ohne Drachen oder drachenähnliche Geschöpfe aus.
In Europa begegnen uns Drachen oft als Feinde. Sie hausen in Höhlen, bewachen Schätze und werden von Helden besiegt. Der Heilige Georg etwa ist berühmt für den Kampf gegen den Drachen – eine Allegorie auf den Sieg des Guten über das Böse. Auch die germanische Sage um Siegfried und den Drachen Fafnir erzählt nicht nur vom Mut des Helden, sondern auch vom Fluch des erworbenen Schatzes. Hier wird der Drache zum Inbegriff von Chaos und Gier.
Ganz anders in Asien: Dort sind Drachen Wesen der Weisheit und des Glücks. Sie bringen Regen, sichern die Ernte und gelten als göttliche Beschützer. In China schmücken Drachenfeste bis heute die Straßen, ihre Gestalt ist lang, schlank und anmutig. Drachen symbolisieren dort nicht das Böse, sondern Stärke, Macht und Wohlwollen.
Und auch in Mittelamerika tauchen sie auf. Quetzalcoatl, die gefiederte Schlange, war Gott der Schöpfung, des Windes und des Wissens. Eine Mischung aus Tier und Gottheit, die deutlich macht: Der Drache steht hier nicht für Zerstörung, sondern für Ursprung und Kreativität.
Es ist faszinierend zu sehen, wie flexibel dieses Bild ist. Für die einen sind Drachen Schreckensgestalten, für die anderen göttliche Wohltäter. Sie passen sich an die Sehnsüchte und Ängste der jeweiligen Kultur an – und das macht sie so universell.
Drachen in der modernen Popkultur
Heute sind Drachen aus Büchern, Filmen und Spielen nicht wegzudenken. Jeder, der Fantasy liebt, hat seine eigene »erste Begegnung« – und meistens bleibt sie prägend (ich sage nur »Grisu« ...).
Smaug aus »Der Hobbit« ist die archetypische Verkörperung des bedrohlichen Monsters. Seine Szenen wurden auch in der Filmadaption eindrucksvoll inszeniert – ein einziger Drache dominiert eine ganze Geschichte. Fuchur dagegen bleibt für viele ein Symbol der Kindheit. Seine Sanftmut macht ihn zu einer Projektionsfläche für Geborgenheit. Drogon und seine Geschwister in »Game of Thrones« wiederum zeigen die andere Seite: Drachen sind Waffe, Instrument der Macht, und sie stellen die Frage, ob man so etwas überhaupt kontrollieren kann. Zumindest haben das Recherche und Nachfragen bei berufenen Quellen ergeben, denn wie oben erwähnt habe ich mich sowohl Tolkien (in Schrift und Bewegtbild) als auch George R.R. Martins Game-of-Throne-Epos verweigert. *räusper*
Doch auch jenseits dieser großen Fantasy-Reihen tauchen Drachen auf. In der Romantasy sind sie derzeit ein absoluter Megatrend. Rebecca Yarros hat mit »Fourth Wing« und seinen Nachfolgebänden einen Epos geschaffen, der ganze TikTok-Communities in Begeisterung versetzt. (Mich auch – nachzulesen u.a. in »Im Bann der Drachen«). Drachen werden dort zu Partnern, zu Gefährten in Geschichten über Liebe, Vertrauen und Selbstfindung.
Für Kinder und Jugendliche gibt es seit Jahren verlässliche Drachenhelden. Christopher Paolinis »Eragon« war Anfang der 2000er ein Weltbestseller, in dem der junge Held und sein Drache Saphira eine klassische Coming-of-Age-Geschichte erleben. Und Filme wie »Drachenzähmen leicht gemacht« zeigen eindrücklich, wie viel Herz in der Freundschaft zwischen Mensch und Drache stecken kann.
Das Muster ist immer ähnlich: Jede Generation entdeckt ihre Drachen neu. Mal sind sie Monster, mal Freunde, mal beides gleichzeitig. Und jedes Mal erzählen sie uns etwas über unsere eigene Zeit.
Drachen als Spiegel unserer Psyche
Vielleicht sind Drachen deshalb so langlebig, weil sie uns in die tiefsten Schichten unseres Inneren führen. Sie sind nicht nur dekorative Fabelwesen, sondern Symbole.
Ein Drache kann das ultimative Monster sein, das wir besiegen müssen – Sinnbild für Ängste, die uns im Alltag quälen. Er kann als weiser Mentor auftreten, der uns anleitet, oder als Freund, der uns begleitet und beschützt. Gleichzeitig verkörpert er die rohe Naturgewalt, die uns klein und machtlos fühlen lässt.
In vielen Geschichten stehen Drachen auch für die ungezähmte Seite in uns selbst. Das Wilde, das Unkontrollierte, das wir fürchten und zugleich anziehend finden. Drachen können für Macht stehen, für Angst, für Gier, für Weisheit – und dafür, dass wir uns unseren eigenen Schatten stellen müssen. Sie sind damit psychologisch gesehen äußerst flexibel, was sie zu perfekten Symbolfiguren macht.
Ordo Draconis
In unserer gemeinsamen Reihe »Ordo Draconis« gehen Lilly Labord, Kay Noa, Christian Raabe und ich von einer etwas anderen Prämisse aus. Die vier letzten Drachen erwachen – weil die Welt vor einem Abgrund steht. Nur Drachenmagie kann noch retten, was möglicherweise nicht mehr zu retten ist.
Man muss nur einen flüchtigen Blick in die Zeitung oder in eine Nachrichtensendung werfen, um die Plausibilität sofort zu begreifen. Unsere Welt taumelt tatsächlich gerade einem Abgrund entgegen. Wer kann das Ruder noch herumreißen? Im Idealfall wir Menschen selbst, aber dafür müssten wir uns einig sein und zusammenhalten. Nicht sehr wahrscheinlich, oder? Vier Drachen dagegen ...
Vier Drachen. Vier Elemente. Ein letzter Kampf um das Gleichgewicht der Welt.
Nach über tausend Jahren Schlaf erwachen die vier letzten Drachen. Doch die Welt, die sie einst kannten, gibt es nicht mehr. Elementarmagie gegen Farbmagie. Alte Feinde gegen neue Verbündete. Ein russischer Schamane, der seit Jahrhunderten auf diesen Moment gewartet hat. Vier Bände. Vier Drachen. Ein Schicksal.
Ordo Draconis – wenn Drachen erwachen, ändert sich alles. Was bleibt, ist die Hoffnung.
Mein Drache: Blueberry
In meinem Band »Ordo Draconis – Prophezeiung« will ich genau mit diesem Spannungsfeld spielen. Was passiert, wenn ein Drache nicht in einer fernen Märchenwelt lebt, sondern mitten im Alltag einer ganz normalen Familie in Schottland?
Blueberry ist einerseits niedlich, neugierig und oft ziemlich witzig. Andererseits ist er ein gefährliches, magisches Wesen, dessen Kräfte wachsen – und das bringt jede Menge Verantwortung mit sich. Für Antonia, die Jugendliche, die ihn liebt wie einen kleinen Bruder. Für ihren Vater Liam, der eigentlich gar nichts mit Magie am Hut hat. Und für Aislinn, die Elfe, die plötzlich eine Familie im Schlepptau hat.
Blueberry verkörpert beides: die kindliche Sehnsucht nach einem magischen Gefährten und die ernste Frage, was es heißt, mit Macht umgehen zu müssen. In gewisser Weise ist er eine moderne Version des alten Drachensymbols: einerseits Freund, andererseits Gefahr. Und genau das macht ihn so spannend – und so nahbar für Leserinnen und Leser, die mit ihm lachen, staunen und manchmal auch bangen.
Fazit: Drachen bleiben
Warum also gehen Drachen nie aus der Mode? Weil sie wandelbar sind. Weil sie immer neue Rollen übernehmen können. Weil sie uns seit Jahrtausenden begleiten und immer noch aktuell sind.
Für mich persönlich sind Drachen mehr als ein Fantasy-Klischee. Sie sind Projektionsfläche, Sehnsuchtsfigur, Spiegel. Und sie machen jede Geschichte größer, weiter, geheimnisvoller. Und ja, ich habe inzwischen meinen Frieden mit ihnen gemacht!
Ordo Draconis startet mit Lilly Labords Band »Erwachen« übrigens am 5. November.
Aber jetzt bin ich neugierig: Welcher Drache hat dich geprägt? War es Smaug, Fuchur, Grisu, Drogon – oder willst du dich auf Blueberry einlassen?