Auf die Ohren: Die Welt im Podcastfieber
21.10.2019
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Normalerweise können Trendforscher sicher davon ausgehen, dass ein Hype am Sterben ist, sobald ich ihn für mich entdecke. Will heißen, dass ich in der Regel völlig immun (oder ignorant?) gegen die Top-Themen des Lebens bin. Bei Podcasts scheint es ausnahmsweise anders zu sein, da nimmt der Boom gerade so richtig Fahrt auf, und ich bin mittendrin. Yeah! Nicht nur als Co-Host (das ist Nerd-Speech für Mitgastgeberin) in Der literarische Saloon, sondern vor allem als begeisterte Hörerin. Als Letztere erlebe ich gerade ständig erstaunliche »erste Male«.
Verborgene Leidenschaften
Hörbücher wähle ich nach ziemlich denselben Kriterien aus, wie die Lesevariante, sprich ich bleibe meinen bevorzugten Genres treu und käme niemals auf die Idee, mir plötzlich einen blutrünstigen Horror-Schinken auch noch anzuhören. Mon dieu – das geht echt gar nicht! Allerdings habe ich festgestellt, dass ich, im Gegensatz zum gedruckten Werk, bei Hörbüchern total auf richtig lange Schmöker stehe: Tausend Seiten Outlander lesen? Eher nicht. Fünfzig Stunden lang exakt dieses Buch vorgelesen bekommen? Sofort! Eine kleine Verschiebung der scheinbar so festgezurrten Gewohnheiten gibt’s also bereits hier.
Bei Podcasts dagegen habe ich völlig neue Leidenschaften entdeckt, die ich niemals für möglich gehalten hätte. Eine davon ist »True Crime«. Während ich bei Krimis im TV oder zwischen zwei Buchdeckeln meist abwinke und niemals auf die Idee käme, mir Sendungen über wahre Verbrechen anzusehen, höre ich sie mit wachsender Begeisterung – und oft wohligem Grusel und rechtschaffener Empörung. Besonders mag ich übrigens den ZEIT Verbrechen-Podcast, der sich vorwiegend mit deutschen Kriminalfälle befasst. Seit einiger Zeit habe ich auch den noch vergleichsweise jungen True Crime Scotland-Postcast auf meiner Playlist, auch wenn der insofern richtig herausfordernd ist, als der Sprecher ein durchaus markantes Schottisch pflegt.
Infotainment
Was aber okay ist, denn dann bin ich beim Gassigehen wenigstens ein bisschen gefordert. Außerdem habe ich dabei einen weiteren Vorteil von Podcasts entdeckt: Weiterbildung! Ich finde es ganz erstaunlich, wie Podcasts auf niederschwellige und durchaus unterhaltsame Art und Weise neues Wissen vermitteln können. Es gibt inzwischen zu fast jedem denkbaren (und auch undenkbaren) Themenkomplex einen oder mehrere Podcasts. Ich befasse mich momentan beispielsweise recht intensiv mit Geld- und Wirtschaftsthemen (was mich noch mehr überrascht, als meine plötzliche Vorliebe für Verbrechen) und höre dabei gerne die Podcasts Madame Moneypenny und Plan W von der Süddeutschen Zeitung.
Überhaupt haben inzwischen auch wahnsinnig viele Verlage das Medium für sich entdeckt – allerdings mit unterschiedlicher Qualität. Während die Podcasts von der ZEIT und der Süddeutschen Zeitung (da mag ich auch sehr Und nun zum Sport) durch die Bank super sind, halte ich die Qualität der Stern-Audios für reichlich ausbaufähig, obwohl ich da das Format Die Diagnose ganz cool finde – so ein bisschen Dr. House-mäßig.
Einer meiner absoluten Lieblings-Podcasts überhaupt ist aber Die Lage der Nation, wo der Journalist Philipp Banse und der Richter und Bürgerrechtler Ulf Buermeyer Woche für Woche das politische und gesellschaftliche Weltgeschehen so perfekt aufdröseln, dass ich die großen Zusammenhänge viel besser verstehe. Für mich mein wöchentliches Must-hear! Wenn ich sonst nichts höre, die Lage ist gesetzt.
Akustischer Voyeurismus
Natürlich kann man mit Podcasts auch ganz erstklassig seine niederen Triebe befriedigen. Gibt man in der Suchmaschine seines Vertrauens den Begriff »Sex Podcast« ein, könnte man mit sofortiger Wirkung in Rente gehen, denn sonst hat man nicht genügend Zeit, der unendlichen Flut Herr zu werden. Ich habe in ein paar davon reingehört (rein zu Recherchezwecken natürlich!) und finde erstaunlicherweise ausgerechnet das BR-Format Im Namen der Hose nicht nur sehr amüsant, sondern auch echt informativ. Mannomann – und ich dachte, ich hätte Ahnung ...
Wer sich mehr für Seelenstriptease erwärmen kann, dem möchte ich Paula kommt – Podcast des Scheiterns ans Herz legen. Da geht’s nur ganz am Rande um Horizontalthemen, sondern vorwiegend um Herzschmerz-Geschichten und Beziehungsdramen. Keine Sorge, das ist überhaupt nicht cheesy, sondern sehr authentisch, weil Moderatorin Paula Lambert echte Menschen mit wahren Erlebnissen am Mikrofon hat.
Bücher-Podcasts und andere Geek-Themen
Natürlich gibt es auch rund um meinen Leib und Magen-Stoff »Bücher« Podcasts wie Sand am Meer. Nicht nur wagen sich immer mehr Verlage an das Format – spontan fällt mir da beispielsweise Long Story Short von Random House ein, in dem Karla Paul und Günther Keil in zwanzig Minuten vier Bücher präsentieren. Nein, auch viele Autoren treibt es ans Mikrofon. Axel Hollmann und Marcus Johanus geben als Die SchreibDilettanten Lebenshilfe für Wortschaffende (danke für die Folge über die Prämisse!), und dass Christian Raabe und meine Wenigkeit seit Anfang August alle vierzehn Tage in den virtuellen Saloon bitten, habe ich ja eingangs schon erwähnt. Sozusagen das Mutterschiff aller deutschsprachiger Literatur-Podcasts ist literaturcafe.de. Wolfgang Tischer ist bereits seit 2005 dabei und wundert sich derzeit über die vielen Newbies. *winkewinke*
Menschen, die sich übers Lesen und Schreiben unterhalten – das klingt nach einer ziemlichen Nerd-Angelegenheit. Und ja, irgendwie ist es das auch. Doch das macht es für mich sogar besonders charmant und spannend, und kann gar nicht mehr zählen, wie viele tolle Lesetipps, Denkanstöße und Inspiration ich dadurch schon bekommen habe.
Wer Lust hat, noch tiefer ins Geek-Universum einzusteigen, muss nicht lange suchen. Mitteilsame Nerds mit abseitigen Inselbegabungen tummeln sich besonders gern in der Podcast-Welt. Derzeit höre ich aus dieser Schiene sechs Folgen (!) des Brady Heywood-Podcasts, in denen es um die dramatische Apollo 13-Mission geht. Gefühlt in Echtzeit präsentiert von einem forensischen Ingenieur. Hammer!
Reine Unterhaltung
So, am Ende dieses schon wieder reichlich langen Beitrags, stelle ich fest, dass ich meine »Einstiegsdroge« völlig aus den Augen verloren habe. Ein guter Freund und geschätzter Kollege von mir war es, der mich überhaupt auf den Trichter gebracht hat. Tim Boltz schreibt nicht nur sehr erfolgreich Bücher und tummelt sich als Comedian auf der Bühne, er ist auch Co-Host im Rote Bar-Podcast, wo er mit Matze Milberg über die Dinge des Lebens plaudert.
Dieses reine Unterhaltungsformat ist ebenfalls weit verbreitet – mit Fest und Flauschig von Jan Böhmermann und Olli Schultz als sicher prominentestes Zugpferd. Ich habe mich davon allerdings weitgehend verabschiedet. Selbst mein Hund will und kann nicht zehn Stunden am Tag an der Leine neben mir durch die Gegend trotten, mal abgesehen davon, dass ich gelegentlich auch mal arbeiten muss. Nein, ich habe festgestellt, dass mir die Zeit für diese Comedy-Formate zu schade ist. Nur in die Rote Bar kehre ich noch regelmäßig ein – an den Tresen, wo alles begann.
Wenn ihr Podcast-Tipps für mich habt, dann lasst es mich wissen. Per Mail oder als Kommentar in den sozialen Medien. Ich bin gespannt!