Mein Leben als Romanfigur
8.2.2021
plotten, planen, Instinkt, Struktur, Autorenleben, Autorin, Lesen, Schreiben, Lust am Schreiben, Schreibritual, Schreibgruppe
Mal unter uns, dieser Artikel könnte auch die Überschrift tragen: »Wie ich verhindere, dass meine Romanfigur ein Leben bekommt!« Denn wenn ich ganz ehrlich bin, sollte ich in diesen Minuten keinen Blogpost zusammenfabulieren, sondern zusehen, dass ich an meinem aktuellen Manuskript weiterkomme. Doch das gestaltet sich zäh. Ich bin noch ganz am Anfang, und während vieler meiner KollegInnen über ein »Mitte-Loch« klagen, ist für mich der Beginn einer Geschichte immer ganz besonders mühsam. Bis ich mich mit meinen Figuren so richtig eingegroovt habe, kann das dauern.
In dieser Zeit lasse ich mich dann gerne (und besonders leicht) durch andere Dinge ablenken. Blogartikel beispielsweise. Immerhin steht der auch auf meiner wöchentlichen To-do-Liste und es gibt mir genauso große Befriedigung, wenn ich diesen Posten abhake, wie mein tägliches Wort-Ziel. Tatsächlich ist dieser Text aber nur die logische Fortsetzung einer gleich doppelten Ablenkung von heute – bei der mir u.a. eine Kollegin attestiert hat, ich sei wie eine Romanfigur. Doch dazu später.
Die Sache mit dem Plotten
Es fing damit an, dass ich Kollegin 1, mit der ich zur Zeit besonders gern im virtuellen Schreibbüro zusammensitze, einigermaßen verzweifelt angeschrieben habe. Ich könne heute nicht schreiben, weil ich im Plot feststecke. Allein das ist schon eine Leistung, denn ich bin gerade erst im zweiten Kapitel. Ich dachte, mein Problem sei der fehlende Plot. Ich bin nämlich das, was man in der Schreiber-Blase gerne »entdeckend« nennt. Will heißen, dass sich die Geschichte erst beim Schreiben so richtig entfaltet und man vorher nicht schon alle Details kennt. Ich liebe das, denn es gibt mir alle Freiheiten und macht mir auch noch irre Spaß, weil ich dabei die tollsten Dinge erlebe. Es hat allerdings den Nachteil, dass es verdammt anstrengend und mühsam ist.
Es gibt auch die sogenannten »Plotter«, also jene KollegInnen, die vor dem eigentlichen Schreiben schon ihre ganze Geschichte vorplanen. Manche nur grob, manche ganz detailliert Szene für Szene. Die müssen dann »nur noch« alles aufschreiben, haben aber die eigentliche kreative Arbeit schon hinter sich. Ich beneide diese Menschen sehr, die in meinen Augen ein viel angenehmeres Leben haben müssen. Aber vermutlich ist das auch nicht wirklich wahr.
Niemand hindert mich daran, ebenfalls zu planen. Ich mach’s halt einfach nicht. Hauptsächlich, weil ich keine Lust dazu habe. Ich habe immer sehr detailliert ausgearbeitete Figuren (meist mache ich mir zum Personal sogar recht ausführliche Notizen), einen spezifischen Handlungsort und eine ungefähre Idee, was passieren könnte, wenn mein Personal aufeinandertrifft. Manchmal habe ich auch eine ungefähre Idee davon, was das Problem in der Geschichte sein könnte, das die Figuren lösen müssen, die Herausforderung, der sie sich stellen. Und mit etwas Glück ahne ich auch, wie alles endet. Doch wirklich wichtig ist das für mich und meine Arbeit nicht. Denn erstaunlicherweise klappt es immer auch so. Irgendwie. Wenn ich auf mein Unterbewusstsein vertraue und nicht zu verkopft an die Sache rangehe.
Kollegin 1 und ich haben also telefoniert – sie hatte interessanterweise ähnlich gelagerte Scherereien – und wir sahen beide nach diesem Gespräch für unsere jeweiligen Geschichten deutlich klarer. Kurz darauf postet Kollegin 2 einen Beitrag in einer kleinen Autoren-Arbeitsgruppe auf Facebook. Sie wollte wissen, wie wir ihre geneigten Mitstreiterinnen es denn mit dem Plotten hielten.
Instinkt vs Planung
Das Schicksal will mir heute wohl partout etwas mitteilen, oder? Ich lese also voller Interesse, reichlich Bewunderung und nicht völlig ohne Neid, wie 2 ans Werk geht: nach einem klaren Plan und einer detaillierten Struktur, die aber trotzdem noch Platz für Freiheiten bietet. Mega!
Aber nichts für mich. Ich schreibe rein instinktiv, doch wenn ich mir im Nachhinein meine Geschichten ansehe, dann stelle ich fest, dass ich mich unbewusst durchaus an gewisse »Normen« und Lesererwartungen halte. Was erfreulich ist, denn sonst würde wohl niemand meine Elaborate kaufen. Ich habe vermutlich in meinem Leben schon so viele Bücher gelesen (und Filme und Serien gesehen), dass mir der Sinn für eine gute Dramaturgie in Fleisch und Blut übergegangen ist, ohne dass mich dafür besonders bemühen müsste.
Mit Kollegin 2 entspann sich darauf hin ein amüsanter Chat, in dem wir über die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Herangehensweisen diskutiert haben – unterm Strich sind sie beide gleich gut oder gleich schlecht. Und so lange das Ergebnis passt mit einer dicht gewebten, interessanten Geschichte und komplexen Protagonisten ist ohnehin alles gut. Da waren wir uns einig.
Schreibende lesen nicht?
Doch dann fiel ein Satz, der mich zweifeln ließ. Vor allem an mir selbst – denn ich habe ihn schon so oft von anderen KollegInnen gehört: »Ich lese selbst gar nicht so viel, denn es ist für mich immer wie Arbeit. Aber wenn, dann in einem ganz anderen Genre. Vermutlich würde ich nicht mal meine eigenen Bücher lesen.«
Echt?? Das finde ich total krass, denn ich lese immer. Jeden Tag. Besser gesagt: jeden Abend im Bett vorm Schlafen! Oft auch nachts, wenn ich nicht schlafen kann. Und ich lese (fast) alles querbeet. Worauf ich gerade Lust habe. Ich breche auch oft Bücher ab, wenn sie mir in diesem Moment nicht gefallen oder einfach doof sind, aber ich MUSS lesen. Ich bin wie besessen davon, zu lesen.
Viele KollegInnen lesen jedoch gar nicht, während sie selbst schreiben. Aus Angst, sich davon beeinflussen zu lassen oder aus ihrer eigenen Geschichte gerissen zu werden. Zugegeben, wenn ich gerade sehr intensiv schreibe, dann lese ich etwas weniger. Dann komme ich vielleicht nur auf ein Buch pro Woche oder manchmal sogar noch weniger. Womöglich ist das aber genau das Erfolgsgeheimnis? Vielleicht fokussiert man sich wirklich leichter auf die eigenen Geschichten, wenn keine anderen dazwischenfunken? Ich weiß es nicht.
Ich werde es wohl auch nie erfahren, denn für mich wäre das keine Option. Ich lese seit ungefähr der zweiten Klasse jeden Tag. Und es sind – wie ich Kollegin 2 schrieb – in den gut vier Jahrzehnten manischen Lesens vielleicht fünf, sechs Abende vergangen, an denen ich OHNE Buch einschlafen musste. In der Sekunde, da ich diesen markigen Satz aufgeschrieben habe, wurde mich bewusst, dass das auch kein bisschen übertrieben war. Selbst zu meinen wilden Zeiten, in denen es frische Männerbekanntschaften und entsprechende Abenteuer in meinem Leben gab, habe ich immer vorm Einschlafen gelesen. Notfalls ein paar Minuten heimlich auf dem Klo...
Das wiederum hat das Kopfkino von Kollegin 2 derart beflügelt, dass sie mir das Leben einer Figur unterstelle, wie sie in einem ihrer Romane vorkommen könnte. Wenn ihr also demnächst eine Geschichte lest, in der die Protagonistin sich ins Bad schleicht, um ein paar Zeilen zu lesen, während ihr Lover sich erwartungsvoll im Bett räkelt, dann wisst ihr, woher die Idee kommt ...
PS: Ich habe ebenfalls lange behauptet, dass ich ganz andere Geschichten lese, als ich sie selbst schreibe. Vermutlich habe ich das auch geglaubt. Doch die Wahrheit ist, ich schreibe genau die Geschichten, die ich gerne lesen würde. Und wenn sich meine Romane verändern, dann liegt es einfach daran, dass sich auch mein Lesegeschmack verändert.
Noch ein PS: Ich kümmere mich jetzt wieder um meine Figuren im neuen Manuskript. Versprochen!