Zwischen Gendern und Ismen
15.2.2021
Gendern, Ismen, gerechte Sprache, Feminismus, Rassismus, Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen: aber wisse, Alice Hasters, Luise F. Pusch, Tupoka Ogette, Ü50-Frauen, Disney, Bambi, Autorin, Autorenleben
»Wenn man nichts Nettes zu sagen hat, soll man den Mund halten!« Diesen gut gemeinten Ratschlag aus dem Bambi-Film heften sich eine Menge Menschen gerne ans Revers – und bezogen auf diverse hitzige Diskussionen in den sozialen Medien, wäre es manchmal wünschenswert, wenn er auch beherzt werden würde.
Oder auch nicht. Denn eigentlich finde ich diesen Spruch absolut grauenvoll. Strenggenommen wird man dadurch aufgefordert, sich selbst mundtot machen, wenn man sich über jemanden oder über eine Situation ärgert. Das führt dann zu zwei denkbaren Ergebnissen: Entweder man gibt schweigend seine Zustimmung zu Missständen oder man entwickelt langsam einen derart heftigen Groll, der dann irgendwann unkontrolliert explodiert. Zwei eher unattraktive Konsequenzen.
In diesem Dilemma befinde ich mich gerade selbst. Zur Zeit poppt jedes Mal, wenn ich im Internet unterwegs bin (also praktisch immer) irgendwo eine Diskussion auf, in der es ums Gendern oder die sogenannten »Ismen« geht, also schwer verdauliche, aber leicht entflammbare Themen wie Feminismus, Sexismus, Rassismus ... Ruhigen Mutes bleibt dabei fast niemand. Ich auch nicht. In der Regel scrolle ich dann in Windeseile weiter, weil ich keine Lust oder keine Zeit oder keinen Nerv habe, mich auf diese Kontroversen einzulassen. Und jedes Mal ärgere ich mich über mich selbst, denn ich habe sehr wohl Meinungen zu all diesen Themen.
Wo bleiben die Graustufen?
Ja, Meinungen! Plural. Denn ich befinde mich in einer permanenten Abwägung mit mir selbst, meinen eigenen Erfahrungen, mit neuen Erkenntnissen und den Thesen anderer Menschen, die ich bedenkenswert finde. Ich kann mich kaum entscheiden, ob ich es für bewundernswert halten soll, wenn jemand glasklar und kompromisslos seine Position abzirkelt, oder schlicht ignorant. Für mich persönlich ist es jedenfalls unmöglich, mich in ein klares Schwarzweißmuster, Gut-und-Böse-Schema, Ja-oder-Nein-Antwortspiel einzuordnen.
Es gibt doch so viel zu bedenken – und mit jeder neuen Information, kommt es zu einer Neubewertung der eigenen Einstellung. Also zumindest bei mir ist es so. Kleines Beispiel: Bis vor einigen Jahren fand ich nichts dabei, meine Kopfschmerztabletten in einer Mohrenapotheke zu kaufen, auf der Speisekarte etwas von Zigeunersauce zu lesen oder Kinder als Indianer verkleidet zur Faschingsparty zu schicken. Warum auch? Das war die Lebenswirklichkeit, in der ich als Kind der 1970er Jahre groß geworden bin. Ich wäre überhaupt nicht auf die Idee gekommen, dass daran etwas schlimm sein sollte. Bis ich angefangen habe, mich intensiver damit zu befassen. Ich habe Bücher von Menschen gelesen, die sehr drastisch, aber nachvollziehbar erklären, warum diese Einstellung verdammt rassistisch ist (u.a. Alice Hasters »Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen: aber wissen sollten« oder Tupoka Ogette »Exit Rascim«) und ich unfassbar naiv war. Meine Neugier war geweckt und ich habe immer weiter recherchiert und immer krassere Dinge erfahren. Das war (und ist) nicht immer angenehm. Oft ist es sogar ziemlich ätzend, weil ich mir selbst einige sehr unangenehme Fragen stellen muss, aber ich empfinde es als ausgesprochen bereichernd.
Was ich damit sagen will: Mit nur einigen neuen Informationen, die wirklich nicht schwierig zu beschaffen sind, habe ich bislang festgelegte (weil wenig hinterfragte) Einstellungen neu bewertet. Das war keine bewusste Entscheidung, sondern ein Prozess, der von alleine abgelaufen ist. Heute empfinde ich Indianer-Faschingskostüme als zumindest fragwürdig, Zigeunersaucen und Mohrenapotheken als indiskutabel – egal welche Pro-Argumente vorgetragen werden.
Vor diesem Hintergrund finde ich es auch gut, wenn ein Konzern wie Disney (den ich oben für den blöden Bambi-Spruch gerügt habe), Konsequenzen zieht und die eigenen alten Werke aufgrund rassistischer Klischees neu bewertet und sie zum Teil für Kinder sperrt.
Andererseits gibt es noch sehr viele »-ismus«-Felder, bei denen ich nach wie vor ziemlich unbeleckt und ahnungsarm dastehe und womöglich ähnlich unbedarft argumentiere, wie bis vor einiger Zeit noch in der Rassismus-Debatte. Da bin ich in Meinungsgraustufen unterwegs – mal heller, mal dunkler – und das ist auch okay. Entscheidend ist doch eine generelle Bereitschaft zur Neubewertung von scheinbaren Wahrheiten und Konventionen.
Frauen gegen das Gendern
Ein anderes, wenn auch ähnlich gelagertes, Phänomen beobachte ich vor allem in meiner AutorInnen-Bubble in den sozialen Medien, wenn es ums Gendern geht. Also um eine gerechte Sprache, in der alle Geschlechter gleichberechtigt abgebildet werden. Dabei fällt mir vor allem eine ziemlich laute, bunte und durchaus intelligente Gruppe von Ü-50-Kolleginnen auf, die voller Inbrunst tönt: »Ich gendere nicht!«
Die Gründe dafür variieren. Einige werfen als Argumente in den Ring, dass sie selbstbewusst und emanzipiert genug sind, um sich auch als »Autor«, »Anwalt« oder »Arzt« gut getroffen und inkludiert zu fühlen. Dann gibt es solche, die sich auf andere Sprachen berufen, in denen das Gendern angeblich keine Rolle spielt. Die Schöngeistigen unter ihnen beharren auf die Unantastbarkeit der deutschen Sprache und Grammatik, die ja bekanntermaßen von Dichtern und Denkern (und nicht etwa von Dichterinnen und Denkerinnen) geprägt wurde. Aber alle eint im Grunde, dass sie sich in ihrer rückwärtsgerichteten Ignoranz, über all jene Menschen erheben, die sich um eine gerechte Sprache bemühen.
Denn blöderweise ist es ziemlich schwierig, elegant zu gendern. Ja, der Sprachfluss wird gestört, ja, es kommt zu Irritationen (beim Schreiben, Lesen und Zuhören), ja, es ist schwammig, weil es keine verbindlichen Regeln gibt (und wir Deutsche lieben nun mal Regeln über alles) und ja, es ist anstrengend. Aber erstaunlicherweise gewöhnt man sich daran. Wenn man es nur oft genug schreibt, liest und hört, wird es normal.
Ich selbst habe lange gesagt, dass ich keine abschließende Meinung zum Thema Gendern habe. Das stimmt immer noch, denn der Veränderungsprozess hält ja an. Aber ich merke, dass ich mich selbst deutlich um eine gerechte Sprache bemühe und mich über all jene Menschen ärgere (vor allem die an sich von mir sehr geschätzten Ü50-Kolleginnen), die mich implizit damit lächerlich machen wollen.
Einige eindringliche Argumente, die für das Gendern sprechen, hat mir kürzlich ein Interview mit der Linguistin Luise F. Pusch im SZ-Magazin vom 23.12.2020 geliefert. Pusch sagt darin: »Die Grammatik gerade im Deutschen ist ein System struktureller Gewalt gegen Frauen.« Die Frage nach dem generischen Maskulinum erklärt sie folgendermaßen: »Das hat mit dem Patriarchat zu tun, man müsste also fragen: Woher kommt das Patriarchat? Diese Frage ist bis heute nicht beantwortet. Interessant sind die Kreolsprachen, Verkehrssprachen, die im Kontakt zwischen zwei Sprachen entstehen. In diesen Sprachen bilden sich meistens zuerst neutrale Formen aus, Männer und Frauen werden also mit derselben Bezeichnung beschrieben. Sobald die Kreolsprache sich weiterentwickelt, wird diese ursprünglich für alle Geschlechter genutzte Bezeichnung nur noch für Männer und für beide Geschlechter, also als generisches Maskulinum benutzt, und für Frauen gibt es eine abgewandelte Bezeichnung. Historisch gesehen hat der Mann immer das Vorrecht auf das Allgemeinmenschliche. Das Prinzip Mann galt als Norm, die Frau als eine Abweichung von der Norm.«
Auch mir als beinahe Ü50-Frau und einigermaßen sprachlich versierte Autorin gelingt es längst nicht immer, wirklich korrekt und gerecht zu schreiben. Ich weiß, dass ich nach wie vor Fehler mache, dass ich manchmal einfach zu faul oder zu gedankenlos bin, aber ich bemühe mich.
Evolution statt Revolution
Was mich jedoch optimistisch stimmt, ist die Tatsache, dass es für viele Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene heute schon vollkommen normal ist, zu gendern und »Ismen« zu hinterfragen. Sie lernen das in der Schule, werden in Podcasts damit konfrontiert und müssen sich gar nicht mehr im gleichen Maße gegen Stereotypen im eigenen Kopf zur Wehr setzen, weil sie schon ein viel bunteres Weltbild einsaugen. Erstaunlicherweise auch dank der Bemühungen der oben genannten Ü50-Kolleginnen, die im wahren Leben offenbar häufig ganz andere Werte vorleben, als sie im Internet predigen ...
Gut, das ist nun auch wieder eine ziemlich unbewiesene Pauschalisierung, aber einer Tatsache können wir uns alle nicht verwehren: Die Welt ändert sich. Menschen ändern sich. Strukturen ändern sich. Gesellschaften ändern sich. Sichtweisen ändern sich. Und Sprachen ändern sich. Das sind unaufhaltsame Prozesse. Die machen nicht unbedingt Spaß. Viele überfordern uns sogar, aber sie sind nicht zu bremsen. Man kann diese Veränderungen oder neuen Phänomene leugnen (z.B. Klimawandel, Corona) oder man sie als Tatsache akzeptieren, lernen und selbst Teil der Veränderung werden.
Revolutionen können niedergeschlagen werden, die Evolution jedoch nicht. Insofern könnten wir doch eigentlich alle ganz entspannt mitschwimmen und auf der Welle surfend neue Erkenntnisse mitnehmen. Das tut dann auch längst nicht so weh, wie das anstrengende Verharren auf längst überholten Konventionen.
Wird das nun mein abschließendes Statement zu diesen komplexen Themen sein? Ganz sicher nicht, denn ich lerne weiter dazu. Jeden Tag. Aber für heute, vielleicht sogar für diese Woche, ist es meine Meinung.