Buchtipp: Schwarzweißmalerei & Alltagsrassismus
9.3.2020
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Halle, Hanau - und das ohnmächtige Gefühl. Was kann man selbst tun? Welches Zeichen setzen?
Ich bin Feministin, kämpfe um Gleichberechtigung, verabscheue Ungerechtigkeiten aller Art, bin Fan einer bunten, diversen Gesellschaft, wähle aus Überzeugung grün – und bin selbstverständlich ohne jede Frage gegen Rassismus! So hätte ich mich bis vor kurzem jederzeit charakterisiert. Bis ich auf Alice Hasters’ Buch »Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen: aber wissen sollten« gestoßen bin. Bereits nach wenigen Seiten musste ich das Buch zum ersten Mal beiseitelegen und mir beschämt eingestehen:
Verdammt, ich bin eine Rassistin!
Und ich bin nicht allein. Ich schätze, dass jede Leserin und jeder Leser dieser Zeilen ebenfalls in diese Kategorie fällt. Natürlich sind wir nicht absichtlich rassistisch und meinen es nicht böse, aber die Binse »gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht« trifft auch umgekehrt zu. Wenn mir hier in Frankfurt ein Mensch mit schwarzer Hautfarbe begegnet, verspüre ich den Impuls, ihn auf Englisch anzusprechen. Und ich ertappe mich tatsächlich immer noch dabei, dass ich verwundert bin, wenn eine vollverschleierte Muslima perfektes Deutsch spricht.
Das passiert vollkommen unbewusst und ist frei von jeder böswilligen Intention, aber es passiert. Und es ist vollkommen idiotisch. Es ist eine Art Erwartungshaltung, die in Wirklichkeit ein Vorurteil ist: Ein schwarzer Mann und eine muslimische Frau können keine Deutschen sein! Mir bricht der Schweiß aus, wenn ich diesen Satz lese und ich kann kaum in Worte fassen, wie sehr ich mich dafür schäme, aber es kommt noch schlimmer:
Noch im letzten Jahr war ich verwundert, wie heftig zur Faschingszeit über Kostüme diskutiert wurde. Darf man Kindern den Spaß verderben, sich im Karneval als Indianer oder Geisha zu verkleiden? Mal abgesehen davon, dass mich der Verkleidungsringelpiez grundsätzlich kalt lässt, verstand ich die Aufregung nicht. Was sollte schon so schlimm daran sein, wenn kleine Kinder mit »Kriegsbemalung« auf den Wangen, Federschmuck auf dem Kopf und einem Papp-Tomahawk in der Hand in den Kindergarten gingen? Und dort vermutlich ein Schokokuss-Brötchen verzehrten. Was ich nicht so genannt hätte, denn in meiner Münchner Jugend verkaufte der Kiosk gegenüber der Schule in der großen Pause schließlich »Mohrenkopf*-Semmeln« für 50 Pfennige. Womit wir prompt beim nächsten Aufreger wären, den ich ebenfalls nie so schlimm fand: Warum sollten die traditionsreichen »Mohren*-Apotheken« umbenannt werden? Ist doch lächerlich! Oder?
Perspektivwechsel hilft – Empathie auch
Natürlich ist es aus meiner Perspektive lächerlich – aus der einer weißen, heterosexuellen Frau, die vielleicht schon das ein oder andere Mal aufgrund ihres losen Mundwerks eins aufs Maul bekommen hat, die sich sexistisch angemacht wurde oder sich dumme Bemerkungen über ihren dicken Hintern anhören musste, aber NIEMALS wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert / beurteilt / verurteilt / herabgesetzt wurde. Aber will ich so ein Mensch sein? Wie kann ich eine bunte Gesellschaft fordern und mich zu meiner eigenen – scheinbaren! – Toleranz beglückwünschen, wenn ich gleichzeitig so unsensibel und blind für die Empfindungen meiner Mitmenschen bin, die eben für das »bunt« sorgen?
Weil ich es nicht wusste, könnte ich sagen. Und es stimmt. Mir waren viele Dinge nicht wirklich klar – sie betreffen mich in meinem Alltag auch nicht. Aber ich, die ich mit flammender Begeisterung und tiefer Betroffenheit Trevor Noahs Buch Farbenblind gelesen habe und ansonsten vehement gegen Ignoranz und Vorurteile kämpfe, war schlicht nicht interessiert genug, mich damit ernsthaft auseinanderzusetzen.
Das hat sich durch die Lektüre geändert. Alice Hasters beschreibt sehr eindrucksvoll ihre Erfahrungen als schwarze Deutsche. Dabei ist sie nie anklagend oder voller Wut, sondern eher schrecklich nüchtern – was den Effekt auf mich noch schlimmer gemacht hat. Die Kölner Journalistin – Tochter einer schwarzen Amerikanerin und eines weißen Deutschen – erzählt sehr subjektiv und hat auch nicht den Anspruch, allgemeingültige Behauptungen aufzustellen. Das würde ja nur wieder zu weiteren Pauschalisierungen führen. In einigen Rezensionen wird beklagt, dass sie zu wenig auf Probleme im Beruf und bei der Wohnungssuche eingeht. Ich halte diese Kritik für unpassend, denn gerade ihre sehr alltäglichen, manchmal gar banalen Erfahrungen mit »Mikroaggressionen«, haben den Text für mich greifbar gemacht. Es ist schließlich verhältnismäßig leicht, sich vorzustellen, dass Schwarze oder BIPoC (= Black / Indigenous / People of color, also etwa: Schwarze / Indigene / farbige Menschen) Probleme bei der Jobsuche haben. Darüber kann man sich auch als weißer Mensch vortrefflich aufregen und es ungerecht finden. Aber es hat nur selten etwas mit der eigenen Lebenswirklichkeit zu tun. Wohl aber waren die meisten von uns schon (unabsichtliche?) Absender von Mikroaggressionen. Darunter fallen meine oben genannten Beispiele, aber auch interessiertes Nachbohren nach der Herkunft. Die Antwort »Ich bin aus Köln«, ist für eine schwarze Frau nämlich schlicht nicht ausreichend. Alice Hasters erklärt, warum das ein Problem ist.
Offener Blick, offenes Herz
Wer fühlt sich schon gern ertappt? Wohl niemand. So ging und geht es mir auch. Aber ich habe in diesem Buch nicht nur wirklich tolle Denkanstöße bekommen, die hoffentlich in Zukunft mein Verhalten ändern, sondern auch viel gelernt. Dass Kant und Hegel ganz üble Rassisten waren beispielsweise, was es mit kultureller Aneignung oder »White Saviorism« auf sich hat – und dass Rassismus in wirklich viele Richtungen geht und auf höchst perfide Arten existiert.
Bleibt vielleicht als einziger Hoffnungsschimmer, dass wir grundsätzlich in der Lage sind, Traditionen zu durchbrechen, innere Schranken zu überwinden, wenn wir es wirklich wollen. Wenn wir einen offenen Blick haben und ein offenes Herz – dann schaffen wir es vielleicht auch, wirklich so antirassistisch und tolerant zu werden, wie wir sein möchten.
Wie ich sein möchte.
Wie ich mir die Welt wünsche, in der wir alle leben.
Zum Buch:
Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen: aber wissen sollten
»Darf ich mal deine Haare anfassen?«, »Kannst du Sonnenbrand bekommen?«, »Wo kommst du her?« Wer solche Fragen stellt, meint es meist nicht böse. Aber dennoch: Sie sind rassistisch. Warum, das wollen weiße Menschen oft nicht hören.
Alice Hasters erklärt es trotzdem. Eindringlich und geduldig beschreibt sie, wie Rassismus ihren Alltag als Schwarze Frau in Deutschland prägt. Dabei wird klar: Rassismus ist nicht nur ein Problem am rechten Rand der Gesellschaft. Und sich mit dem eigenen Rassismus zu konfrontieren, ist im ersten Moment schmerzhaft, aber der einzige Weg, ihn zu überwinden.
Erschienen im September 2019 bei Hanserblau. Von mir gibt’s eine mehr als eindringliche Leseempfehlung!!
Zum Podcast:
Alice Hasters betreibt übrigens mit ihrer Schulfreundin Maximiliane Haecke den Podcast »Feuer & Brot«, in dem sie sich monatlich mit Themen zwischen Politik & Popkultur beschäftigen – auf sehr intelligente, charmante und hörenswerte Art!
* Ich habe lange überlegt, ob ich die »M«-Wörter in meinem Text ausschreiben oder sie wie Alice Hasters in ihrem Buch als »M**ren« paraphrasieren soll. Ich habe mich für die deutliche Version entschieden, um es im Text plakativer und drastischer darzustellen – gleiches gilt für die »Indianer« –, nicht um weiter rassistisches Wort- und Gedankengut zu verbreiten.