Carin Müller bloggt ...

Woher nimmst du deine Ideen?

Die ewige Sache mit der Inspiration

Es gibt zwei Fragen, die mir (und wohl den meisten Schreibenden) in so gut wie jedem Interview gestellt werden: »Woher nimmst du deine Ideen?« und »Hast du das alles selbst erlebt?« Um die zweite Frage kümmere ich mich demnächst in einem separaten Artikel, doch das Geheimnis der Inspiration will ich schon heute lüften. Dabei könnte ich es mir ganz einfach und sehr kurz und knackig machen, denn die Wahrheit ist: die Ideen finden mich!

Da dies aber wohl tendenziell unbefriedigend klingt, will ich in diesem Text ein wenig ausholen und dem Mysterium der schriftstellerischen Erleuchtung auf dem Grund gehen. Zumindest meiner, denn allgemeingültig ist dieses Erleben sicherlich nicht.

ALLES kann inspirieren!

Ich sitze auf dem Sofa, nebenbei läuft der Fernseher und plötzlich erregt irgendeine Bemerkung meine Aufmerksamkeit. Das kann tatsächlich alles sein. Ein seltsames Tier, eine mir bislang unbekannte Inselgruppe, ein Kommentar in der Tagesschau, eine verwirrende Komplikation in einer Serie – selbst ein Werbeclip hat unter Umständen das Zeug dazu, einen Funken in meinem Kopf zu entzünden.

Ähnlich geht es mir beim Zeitungslesen, beim Surfen im Internet, bei Gesprächen mit anderen Menschen, bei Spaziergängen im Wald, bei der Buchlektüre, beim Essen, beim Podcasthören, beim Sport, unter der Dusche oder im Bett. Alles und jeder kann mich inspirieren – und es passiert auch praktisch ununterbrochen. Ich kann es gar nicht verhindern. Im Gegenteil, manchmal muss ich mir ganz bewusst Scheuklappen anlegen, damit mich die verführerischen Ideen nicht von der aktuellen Arbeit abhalten.

Plotbunnys sehen nur harmlos aus ...

Einige Kolleginnen nennen dieses Phänomen »Plotbunnys«. Das ist ein ganz putziges Bild. Man schreibt gerade an einer komplizierten Szene am aktuellen Manuskript und plötzlich kommt ein flauschiges Häschen ins Bild gehoppelt und flüstert einem einen kleinen Einfall ins Ohr, der viel schöner, aufregender, lustiger oder einfacher ist, als die Stelle, an der man sich gerade abarbeitet. Blöd, dass sie nicht zur Geschichte passt, sondern zu etwas Anderem, etwas Größerem, zweifellos Besserem. Klingt witzig, ist aber die Hölle und überhaupt nicht zielführend. Denn in der Regel sind diese Bunnys keine echten Heilsbringer (soooo doll sind ihre Ideen bei näherer Betrachtung meist doch nicht), sondern fiese Selbstsabotagemanöver des unkooperativen Unterbewusstseins, das sich mit dem inneren Schweinehund zusammengetan hat, um sich vor der eigentlichen Aufgabe zu drücken.

Um im Bild zu bleiben: Ich verjage diese gemeingefährlichen Mümmelmänner auf der Stelle. Notfalls mit einer scharfen Ladung Buchstaben-Schrot aus meiner Wortflinte. Das vertreibt zumindest jene Hasen, die nur Ablenkung bringen. Wackere Langohren, die eine echte Idee dabei haben, sind (glücklicherweise) hartnäckiger. Sie kommen immer wieder. So lange, bis ich mir ihr Anliegen zumindest genauer ansehe und mir irgendwann sogar eine Notiz mache.

Gedankenfetzen sind kein Roman

Nun wissen wir also, dass Ideen wirklich überall lauern, doch zumindest bei mir sind sie in der Regel nur ein Gedankenfetzen. Häufig ein Ort, der sich für eine Geschichte eignet, manchmal ein Name, gelegentlich ein paar Figuren und ganz selten mal eine etwas komplexere Szene. Das ist toll, ergibt aber keinen Roman, denn meine persönliche Muse ist leider nicht besonders fleißig. Wenn ich von anderen Autor:innen höre, dass »die komplette Geschichte einfach da war und nur noch aufgeschrieben werden musste«, dann erblasse ich vor Neid. Ich selbst bekomme nur Ideenkrümel geliefert und muss dann zusehen, wie eine Geschichte daraus wird.

Ich schätze, das geht den meisten meiner Kollegen so: Ideen zu finden ist einfach, eine Geschichte daraus zu stricken ist Arbeit. Punkt. Und das ist dann wie in jedem Job. Es macht nicht immer Spaß und es ist nicht immer einfach, aber wenn man am Ball bleibt, kommt am Ende eine runde Geschichte raus.

Ein Puzzle mit sehr vielen Teilen

Ich vergleiche das Schreiben gerne mit einem Puzzle, bei dem die einzelnen Teile Ideen sind. Wenn der Rand erst einmal gelegt ist, klappt es mit der Füllung auch irgendwann. Blöd nur, wenn man das Motiv nicht kennt. Oder wenn die Puzzleteile komplett vermischt sind (also die Ideen für mehrere unterschiedliche Romane). Dann wird es mühsam, aber nicht unmöglich.

Romanschreiben ist wie Puzzeln

Planende Autorinnen entwickeln daher erst einmal eine grundlegende Struktur (= wissen, wie viele Teile ihr Puzzle hat), kennen die Handlung in all ihren Details (= wissen, wie das Motiv aussieht) und arbeiten sich dann konsequent Reihe für Rehe, Szene für Szene durch, bis ihre Geschichte (= ihr Puzzle) schließlich fertig ist.

Entdeckende Chaoten wie ich, haben mit Glück eine verschwommene Motivvorlage und die vage Ahnung, dass die hübschen bunten Puzzleteilchen beim düsteren »Seestück« eher nichts zu suchen haben (wobei man es vorher nie so genau wissen kann). Diese Arbeitsweise kostet Nerven, macht mir persönlich aber mehr Spaß und ein richtig oder falsch gibt es beim Bücherschreiben ohnehin nicht. Entscheidend ist, was am Ende dabei herauskommt.

Wie läuft es konkret?

Kleines Beispiel für eine »Inspirations-Kette« gefällig? Für meinen nächsten Heyne-Roman – über den ich leider noch nicht viel verraten darf, den ich aber gerade schreibe – hatte ich zuerst die Location. Ich saß vorm Fernseher, es lief eine Reisedokumentation und ich war wie elektrisiert von diesem Flecken Erde, von dem ich bislang noch nichts gehört hatte. Schnell war klar, dass eine meiner nächsten Geschichten genau dort spielen muss. Doch ein Handlungsort macht noch keine Geschichte, auch wenn dieser spezielle tatsächlich einige Besonderheiten parat hat, die sehr gut in einen Roman passen. Personal musste her.

Als mir die Idee mit dem Schauplatz kam, war ich gerade mit meinem zweiten »Insel der Wale«-Roman »Lausche den Klängen deiner Seele« beschäftigt. Darin muss mein Protagonist Dominic Gordon kurzfristig von Vancouver Island in seine alte Heimat Schottland reisen und trifft dort auf seine Geschwister. Seinen jüngeren Bruder Sean (der in »Highland Hope – Eine Bäckerei für Kirkby« eine wichtige Nebenrolle hat) und seine ältere Schwester Philippa. Der Grund für dieses ungeplante Familientreffen ist tragisch, besonders für »Pippa«. Dominic reiste erschüttert, aber in seinen Lebensumständen unbeeinträchtigt nach Vancouver Island zurück, wo er sich bald über sein persönliches Happy End freuen darf, doch Philippas Schicksal ließ mich nicht los – und so habe ich sie prompt zur Protagonistin für den neuen Roman befördert. Garniert mit vielen weiteren Puzzlestückchen wird daraus – hoffentlich – ein Roman, der im nächsten Sommer wieder viele Leseherzen erfreuen wird.

Kleine Anmerkung am Schluss: Ich habe erst beim Einstellen dieses Artikels gemerkt, dass ich mich 2018 schon einmal an der Sache mit der Inspiration abgearbeitet habe. Ein wenig liegt der Fokus anders, aber viel hat sich nicht geändert ... Wenn du Lust hast, lies doch auch den alten Text »Woher nimmst du deine Inspiration?«