Carin Müller bloggt ...

Feiern, was ist!

Freu dich über die Fülle, statt den Mangel zu beklagen.

Ich habe keine Ahnung, ob es typisch deutsch oder typisch Frau ist (oder am Ende typisch deutsche Frau, was wirklich dramatisch wäre), aber die Neigung in mir, vermeintliches Versagen zu sehen oder zumindest Verbesserungsbedarf an allen Ecken und Enden, ist schon sehr ausgeprägt.

Beispiele gefällig? So ärgere ich mich, dass Scotty, der gerade mal vierzehn Wochen alt ist und seit gut sechs Wochen bei uns wohnt, immer noch vor Freude und Begeisterung an uns hochspringt, statt mich zu freuen, dass er sensationell aus dem Freilauf und Spiel mit anderen Hunden zu mir kommt, wenn ich ihn rufe. Ich bin frustriert, weil meine Selfpublishing-Titel nicht so superduper erfolgreich sind, wie ich mir das wünsche, statt mir stolz auf die Schulter zu klopfen, dass ich innerhalb eines knappen Jahres vier Romane bei Heyne veröffentlicht habe, die gar nicht schlecht laufen. Und ein fünfter ist in der Pipeline.

Woran liegt das?

Ich frage mich wirklich, woran das liegt. Bin ich überehrgeizig? Ich denke nicht. Ich bin auch nicht perfektionistisch – sehr gut ist mir allemal lieber als perfekt. Oder neidisch? Darauf, dass es »bei den Anderen« vermeintlich besser läuft? Dass »die Anderen« schlanker, fitter, schöner sind? Mehr Bücher verkaufen, schneller tippen und besser erzogene Hunde haben? Ich denke, es ist nicht in erster Linie Neid, sondern der unbewusste und unwillkürliche Hang, mich zu vergleichen. Vermutlich ist es normal für soziale Geschöpfe, dass wir uns mit unseren Artgenossen vergleichen. Einfach um zu wissen, wo wir gerade stehen. Aber die Schlüsse, die wir daraus ziehen – die ICH daraus ziehe, ich kann ja nicht für alle sprechen –, sind problematisch. Es wird nämlich IMMER Menschen (und Hunde) geben, die in dem ein oder anderen Bereich besser sind als ich (und Scotty). Die mehr Geld verdienen, eine knackigere Figur haben und einfach netter und oder schlauer sind.

Ich habe heute mit einer Freundin über diese Problematik gesprochen. Ich war der Meinung, dass es ein typisch weibliches Phänomen ist, sie sagte, es sei typisch deutsch. Amerikaner hätten da eine ganz andere Kultur, die feierten auch den nichtigsten persönlichen Sieg wie eine Mount-Everest-Besteigung. Und Männer? Das Beispiel, das ich im Gespräch genannt habe, kann ich hier leider nicht reproduzieren – aus Gründen –, aber jeder kennt die männliche Veranlagung, sich selbst mit haarigem Bierbauch noch für Mister Universum zu halten.

Feiere die Fülle!

In diese Extreme will ich gar nicht einschwenken, aber es ist sicher hilfreich, wenn ich mich auf die Dinge besinne, die ich geschafft habe. Und wenn ich schon vergleiche, dann mich selbst: heute und vor drei Jahren beispielsweise.

2019 um diese Zeit war ich kurz davor, das Thema Schreiben komplett an den Nagel zu hängen. Die letzten selbstveröffentlichten Bücher floppten, es hagelte Absagen von Verlagen für ein schon ziemlich weit gediehenes Projekt (150 Seiten für die Tonne!) und ich war sicher, dass ich niemals wirklich durchstarten werde.

Ob man meinen aktuellen Status quo als »durchgestartet« bezeichnen kann, weiß ich immer noch nicht, aber ich habe seit diesem ultimativen Durchhänger acht umfangreiche Romane geschrieben, die mir alle sehr am Herzen liegen: Meine »Highland Hope«-Reihe, die so vielen Leser*innen Freude bereitet, meine »Insel der Wale«-Bücher, die mir thematisch so viel bedeuten und denen ich auch Audio-Versionen (noch so ein Meilenstein!) gegönnt habe und schließlich noch den Roman »Island Dreams – Der Garten am Meer«, der im Mai erscheint.

Ich habe meine Leidenschaft für E-Mail-Marketing entdeckt und »beglücke« inzwischen regelmäßig knapp 5.000 Menschen (statt 300 vor drei Jahren) mit meiner »Leser-Post« und den »Letters from Kirkby«, und bekomme so viel Feedback, dass ich mit dem Beantworten der Mails manchmal gar nicht hinterherkomme.

Vor drei Jahren war auch meine Website ein trauriges Häufchen Elend, doch seit ich ihr ein professionelles Upgrade gegönnt habe und konsequent einmal pro Woche einen Blogartikel veröffentliche, kann ich mich über stetig wachsende Reichweite freuen. Da ist es dann eigentlich auch nicht schlimm, dass ich nicht so der Social-Media-Fuchs bin, wie viele andere, oder?

Wenn ich diese Zeilen lese, habe ich jedoch sofort wieder das Gefühl, anzugeben – und das tut man doch nicht! Doch diese fiese kleine Stimme werde ich diesmal mundtot machen und mich stattdessen ein bisschen darüber freuen, was ich in der letzten Zeit geschafft habe. Trotz Pandemie. Heute feiere ich einfach mal die Fülle, statt den Mangel zu beklagen, der ja doch nur in meinem Kopf stattfindet.

Vielleicht kein ganz schlechtes Lebensmotto ...