Carin Müller bloggt ...

Loslassen (nicht nur) für Schreibende

Welche Erwartungen Autorinnen loslassen sollten

Wie das immer so ist mit den selbstgesteckten Zielen – sie passen nicht immer zum wahren leben. Während also heute »Loslassen« bei mir auf der Themenliste steht, bin ich gerade wahnsinnig mit Durchhalten beschäftigt. Zwangsweise bei der beispiellosen Hitze, die meine Stadt und mein armes Hirn seit Wochen quält und auch bei der Hundeerziehung, denn wir müssen unseren pubertären Vierbeiner irgendwie gesellschaftsfähig bekommen. Beides würde ich übrigens wahnsinnig gerne loslassen. Die Hitze und den Hund, wobei ohne Leine derzeit nur eingeschränkt möglich ist ...

Loslassen vs. Aufgeben

Ich gebe zu, mein innerer Kontrollfreak (den ich normalerweise recht klein halte) hegt gewisse Vorurteile gegen das Loslassen. Nicht nur weil es nach Kontrollverlust klingt, sondern weil es auch irgendwas von Aufgeben hat. Und Aufgeben ist ein No-no-no-Go! Wobei man auch da vermutlich differenzieren muss. Beim Joggen gebe ich regelmäßig keuchend auf und schäme mich kein bisschen dafür. Schließlich will ich gerne noch ein wenig länger auf unserem düster-kranken Planeten leben und nicht vorzeitig die Biege machen, weil ich einem Kollaps zum Opfer gefallen bin, der von ungesundem Ehrgeiz und mieser Kondition getriggert wurde.

Würde ich mich jedoch dazu entscheiden, das Schreiben an den Nagel zu hängen, weil es einfach zu schwierig ist oder sich die Flops häufen (gerade nicht der Fall, ich klopf mal auf Holz!), dann wäre dieses Aufgeben eine wirklich bittere Niederlage für mich. Gleichwohl kann es unglaublich befreiend sein, bestimmte Projekte loszulassen.

Das fühlt sich ganz ähnlich an, wie in privaten Situationen. Manchmal muss man sich von Vorstellungen, Lebensträumen, Wohnorten oder Partnerschaften lösen. Das tut weh, macht aber auch Platz für Neues.

Loslassen für Autor:innen

In meiner Autorinnen-Karriere habe ich schon sehr viel losgelassen. Nicht immer ganz freiwillig und häufig hat es auch verdammt wehgetan, aber letztlich hat es immer den Kopf freigemacht.

Vor einigen Jahren habe ich sogar meinen eigenen Namen losgelassen. Carin Müller wird aller Voraussicht nach keine Romane mehr veröffentlichen und hat es seit September 2016 auch nicht mehr gemacht. Damals kam »Tage zwischen Ebbe und Flut« heraus. Dieser Roman war einer der größten Flops meiner Laufbahn und hat meinen Namen endgültig verbrannt - zumindest nach Ansicht der Verlage (und Buchhänder*innen). Eine bewusste Entscheidung war es jedoch ehrlicherweise nicht, eher ein gradueller Prozess. Im Hinterkopf habe ich lange daran geglaubt, dass ich es noch einmal versuchen werde, doch dann habe ich vor gar nicht allzu langer Zeit erkannt, dass ich eigentlich ganz gut damit leben kann, wenn mein richtiger Name sozusagen meine Dachmarke ist. Die Chefin der Autorinnen-WG, die Bloggerin, die Podcasterin und diejenige, die sich um den ganzen geschäftlichen Kram kümmert, während die beiden Charlottes sich in ihren jeweiligen Bereichen kreativ austoben.

Ich habe auch schon etliche vielversprechende Romanideen losgelassen. Teilweise waren das Geschichten, an denen ich jahrelang in der ein oder anderen Form herumlaboriert habe, ohne den wirklich passenden Spin zu finden. Es hat sich einfach nie hundertprozentig richtig angefühlt. Vermutlich wären die Bücher nicht schlecht geworden – genau wie »Tage zwischen Ebbe und Flut« kein bisschen schlecht ist –, aber ich habe erkannt, dass ich nicht mehr über einen gewissen inneren Widerstand gehen werde. Stattdessen vertraue ich nun immer mehr meinen Instinkten und schreibe nur noch jene Geschichten, die sich durch und durch gut anfühlen. Allerdings ist es zugegebenermaßen ein schmaler Grat und ich muss mich sehr ehrlich fragen, ob ich wirklich einen inneren Widerstand spüre oder nur einfach zu faul und bequem bin.

Loslassen von Erwartungen

Meine wichtigste Lektion im Loslassen betrifft jedoch keine Projekte, Ideen oder äußere Umstände, sondern Erwartungen. Meist jene, die ich mir selbst auferlege – und die verdammt irrational und wenig konkret sind. Ganz vorne mit dabei, die Erwartung »erfolgreich« zu sein.

Das kann natürlich eine Menge bedeuten: Wohlstand, euphorische Fans, Anerkennung im Kolleg*innenkreis usw. Doch selbst diese etwas spezifischeren Definitionen sind viel zu vage und wenig messbar. Was heißt das denn alles konkret? Wie viele Menschen müssen mir sagen, dass sie meine Bücher lieben, damit ich mich erfolgreich fühle? 5, 50, 500? Das ist albern, also habe ich mich kürzlich von der Erfolgserwartung verabschiedet.

Stattdessen nehme ich mir konkrete Ziele vor und breche sie in kleinere, überschaubarere Einzeletappen herunter. Das ist messbar und vermutlich erheblich erfolgversprechender. Und außerdem kann ich dabei wieder meiner Lieblingstugend des Durchhaltens frönen.

PS: Eines meiner konkreten Ziele ist übrigens der orange Sticker »Spiegel Bestseller« auf einem meiner Bücher. Kühn? Vielleicht. Aber trotzdem werde ich dieses Ziel so schnell nicht loslassen.