Carin Müller bloggt ...

Bad Idea – raus aus der Komfortzone

Bad Idea

Mit guten Vorsätzen ist es ja so eine Sache, will man sie einhalten, muss man manchmal zu kühnen Maßnahmen greifen. Wenn ihr euch jetzt verwundert die Augen reibt und den Kalender zurate zieht, ja ich weiß, dass heute erst der 9. Dezember ist! Es geht in diesem Fall auch nicht um einen Neujahrsvorsatz, sondern um ein Versprechen, das ich mir selbst abgerungen habe. Als meine neue Website Anfang Oktober ENDLICH online gegangen ist, habe ich mir geschworen, zukünftig mindestens einen Blogpost pro Woche zu veröffentlichen. Bisher ist mir das auch gelungen, aber diesmal habe ich vergeblich auf einen Musenkuss gewartet. Worüber soll ich bloß diesmal schreiben?

Daraufhin habe ich mir voller Verzweiflung eine Liste geschnappt, die mir vor Jahren mal in mein Postfach geflattert ist – ich glaube als Dank für eine Newsletter-Anmeldung. Aufgelistet sind da »99 Ideen für den Autorenblog«. Einer der Tipps lautet sinngemäß: »Hosen runter, zeig deinen Lesern ein Frühwerk!«

Das mach ich eigentlich nicht so gerne, denn die Sachen, die ich nicht veröffentlicht habe, liegen nicht umsonst in meinem Giftschrank ... Weil ich aber keine Spielverderberin sein will, gibt’s heute eine Kurzgeschichte, die ich 1999 für einen Wettbewerb der Zeitschrift Allegra (die gib’s seit 2004 nicht mehr ...) verfasst habe. Das Motto lautete »Bad Idea« und ob es eine miese Idee ist, euch diese Story zuzumuten, müsst ihr selbst entscheiden. Ich habe den Wettbewerb selbstverständlich nicht gewonnen, ja nicht einmal eine Platzierung unter den Top 5 war drin. Aber ich war vor zwanzig Jahren tatsächlich der Meinung, dass es eine erstklassige Idee sein könnte, im Horror-Splatter-Genre zu schreiben ... Fragt mich bitte nicht, warum! So, jetzt geht’s los!

Alternativ könnt ihr die Geschichte auch hier als PDF runterladen!

Bad Idea

»Was für eine Scheißidee...« – wirklich seltsam, was einem final durch den Kopf geht.
Dabei fing alles so vielversprechend an. Heute Morgen rief mich Sabine an, um mir mitzuteilen, dass sie mir verzeihe. Mir verzeihe. Ich frage mich nur was. Gut, da war dieses Missverständnis mit Julia. Einer Göttin mit goldener Mähne und rasanten Kurven, intelligent und gefährlich. Sabine war mir auf die Schliche gekommen. Hatte in meinem Computer gestöbert und Julias scharfe eMail gelesen. Selbst schuld, was muss sich eine schlichte Fleischereifachverkäuferin auch mit elektronischem Schnickschnack beschäftigen. Im Grunde müsste ich ihr verzeihen. Ist doch glatter Vertrauensbruch, wenn sie so in meiner Privatsphäre herumschnüffelt. Außerdem soll sie doch froh sein, so einen tollen Typ wie mich abbekommen zu haben. Diese unbedarfte, kleine Provinzschnecke.

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Es ist noch keinem Mann gut bekommen, wenn er eine Frau unterschätzt hat. Meine Jungs machten da keine Ausnahme. Sie haben mich benutzt und, sobald sich was Besseres am Horizont zeigte, weggeworfen wie eine alte Zeitung. Anfangs war ich ihnen immer gut genug. Sie kamen zu mir in den Laden, kauften Leberkässemmeln oder Schweinskopfsülze und sabberten schwachsinnige Komplimente über die Theke. »Fräulein Sabine, bei Ihnen sind die Semmeln immer besonders knusprig und das Fleisch so supersaftig und frisch.....« Später lobten sie dann meist nicht mehr die Bäckerei- und Metzgereierzeugnisse, sondern eher meine körperlichen Vorzüge, die Attribute blieben aber die gleichen. Männer verfügen über einen erschütternd geringen Wortschatz, den sie jedoch gerne und ausführlich strapazieren, wenn sie ein williges Opfer geortet haben. Wer bei Männern als naives Landei durchgeht, sie mit großen Kuhaugen anstarrt und den eigenen Gesprächsanteil auf gelegentliche erstaunte oder lobende Ausrufe beschränkt, erfährt alles. Andreas war da keine Spur anders!

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An Tagen wie heute zweifle ich am Sinn des Lebens im allgemeinen und an dem Prinzip der Gerechtigkeit im speziellen. Mein Chef hatte mal wieder einen »Spezialauftrag« für mich. Seit ich die Stelle in der Anwaltskanzlei Bogner & Martens habe, bearbeite ich nicht etwa Akten mit laufenden Fällen, sondern ausschließlich Spezialaufträge. Kaum die angemessene Tätigkeit für eine Referendarin, aber Beschwerden sind aussichtslos und eine andere Stelle bekomme ich so schnell ohnehin nicht. Ich musste Champagner und Erdbeeren kaufen für ein Versöhnungsessen – nicht etwa mit der werten Gattin, oh nein, mit der Geliebten. »Den Gefallen müssen Sie mir schon tun, Julia, nachdem Ihre hübsche Finte mit der eMail so gründlich daneben gegangen ist.« Als ob das mein Fehler war! Andreas Martens’ Spezialauftrag von letztem Freitag war es, ihm eine anzügliche eMail nach Hause zu schicken, die seine Frau entdecken sollte. Form und Inhalt wurde mir freigestellt, nur zu zahm durfte sie nicht sein. Was bitte kann ich dafür, dass Frau Martens es offensichtlich vorzog, das Wochenende in Mailand zu verbringen, und nun sein derzeitiger Betthase in den Genuss kam, eifersüchtig auf die »geile Julia« zu werden? Haben Sie schon einmal im November versucht, frische Erdbeeren zu kaufen? Nein? Ein Riesenspaß!

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Wer kann ermessen, was ich durchmachen muss? Permanent muss ich die Fehler, die dieser dilettantische Winkeladvokat am laufenden Band produziert, ausbügeln, Klienten besänftigen und rudern, damit unser gemeinsames Boot nicht kentert. Es war der schwärzeste Tag meines Lebens als mein geschätzter Freund und Gründungspartner Johann Martens vor zwei Jahren plötzlich starb und sein in höchstem Maße inkompetenter Sohn voll in die Kanzlei einstieg. Wie er sich durch sein Studium gemogelt hatte, ist mir ein Rätsel – dass er unsere Klienten nicht völlig verschreckt ebenfalls. Es liegt wohl an seinem blasierten Grinsen, das gewisse Damen als charmantes Lächeln einschätzen und ihm mittlerweile den höchst zweifelhaften Ruf als Koryphäe für Scheidungsangelegenheiten eingebracht hat. Ich könnte ihm jedenfalls seine arrogante Fresse polieren, wenn ich ihn nur von weitem sehe. Das muss endlich ein Ende haben! Allein schon wegen Lisa. Das arme Herz war auch Opfer seiner Verführungskünste. Als sie es schlussendlich bemerkte, hatte sie bereits einen goldenen Ring am Finger. Aber das Wochenende in Mailand war sagenhaft ...

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Italien ist auch keine Lösung. Man leidet dort zwar schöner, aber nicht weniger. Ich muss mir etwas einfallen lassen, damit dieses ewige Versteckspiel endlich ein Ende hat. Nur was? Seit mich meine Eltern in die Ehe mit Andreas gedrängt haben, aus Angst, ihre mittelhübsche, mittelbegabte und mittelalte Tochter – damals übrigens gerade 25 – könnte ihnen ewig auf der Tasche liegen, ist mein Leben ein Trümmerhaufen. Ich liebe ihn nicht, er betrügt mich und sein Vermögen ist nicht groß genug, dass es einen echten Trost darstellen würde. Er ist so unendlich langweilig. Christian Bogner dagegen. Ein echter Gentleman, charmant und eloquent. Spricht perfekt italienisch und lässt gerade bei einem Mailänder Schneider ein wunderschönes Winterensemble für mich maßfertigen. Ich will ihn, bald, für immer.

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Ich freute mich auf den Abend und wollte, Ärger hin, Ärger her, Sabine so richtig verwöhnen. Ich durfte sie auf keinen Fall verlieren, schließlich war sie die Einzige, die mir noch blieb. Lisa war ja ständig unterwegs, machte einen auf Fortbildung oder Selbstverwirklichung, in Wahrheit brachte sie nur mein sauer verdientes Geld durch. Ich dachte immer ernsthafter über die Möglichkeit nach, in eigener Sache tätig zu werden. Dann könnte sie sehen, wo sie bliebe. Adäquater Ersatz war aber nicht in Sicht. Julia, diese dämliche Schlampe, entpuppte sich als echter Fehlgriff. Wollte sich in meiner Kanzlei richtig nützlich machen und echt was lernen. Arme Irre, dabei steckt so viel Potential in ihr. Aber gelernt hat sie sicher einiges bei mir und nützlich hat sie sich mit der Zeit auch gemacht, wenn auch nicht so wie vorgesehen. Blieb also nur Sabine. Dumm wie Brot, aber weich und warmherzig und keiner noch so ungewöhnlichen Nummer abgeneigt. Sie hätte sich etwas Besonderes ausgedacht für heute Abend, sagte sie am Telefon. Nun ja, Champagner und Erdbeeren würden für Sabine schon reichen.

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Auch wenn es mühsam ist, die stundenlange Selbstbeweihräucherung der Kerle zu ertragen, gelernt habe ich wirklich viel. Seit vor fünf Jahren der Literaturprofessor den Leberkässemmeln und mir erlegen ist, lege ich großen Wert auf geschliffene Sprache. Die kommt leider nur selten zum Einsatz, weil die Buben meist alleine reden wollen. Doch auch schweigend offenbarten sich mir die faszinierendsten Erkenntnisse. Der Unfallchirurg beispielsweise, der mir in blutigen Details seine heldenhaften und selbstredend meist siegreichen Kämpfe um Leben oder Tod geschildert hat. Vom anatomischen Standpunkt gesehen, sehr informativ. Oder der Informatiker, der mich nicht nur in die Geheimnisse von Cyber-Sex, Sachen gibt’s ..., eingeführt hat. Andreas war da eher unergiebig. Sein trostloses Fachgebiet Scheidungen war kaum besser als seine abartigen Wünsche, wo er Sex haben wollte. In der Umkleidekabine im Schwimmbad, auf der Ladefläche seines Pick-Ups, im Wald. Und ich sollte mir auch immer neue Örtlichkeiten ausdenken. Kurzweiliger war da schon der Hauptkommissar, erfrischend der Apotheker, doch am meisten habe ich sicherlich von meinem Chef, dem Metzgermeister Ehrl gelernt. Nachdem ich die Wurstschneidemaschine perfekt beherrschte, wurde ich sozusagen an die Fleischtheke befördert, wo ich mich mit Hackebeil und Tranchiermesser austoben durfte. Mein Highlight war jedoch das von ihm liebevoll betitelte »Nacktwurschteln«, was nichts anderes als die Zubereitung diverser Wurstspezialitäten im unbekleideten Zustand des Herstellenden beschreibt. Seit ich weiß, was in den saftigen Leberkäse, alles hineinkommt, nehme ich Abstand von seinem Genuss.

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Diesen Argumenten kann er sich nicht entziehen. Und wenn ich mit ihm fertig bin, werde ich endlich meinen Frieden haben, die Kanzlei alleine weiterführen oder mir einen neuen Partner nehmen und dann, nach einer Weile, Lisa heiraten. Alles wird gut. Ich muss mit ihm reden. Heute noch.

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Die bei der Anwaltskammer haben gesagt, dass ich mir das nicht länger gefallen lassen muss. Kein Referendar sei verpflichtet, im November Erdbeeren zu kaufen oder seinem Chef erotische Briefe zu schreiben. Die haben mir sogar geraten, ihn anzuzeigen. Das werde ich ihm sagen. Heute noch.

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Ich fahre nach Hause und werde ihm alles sagen. Ich liebe ihn nicht. Mit ist was Tolles eingefallen. Wenn er nicht vernünftig ist, werde ich ihm drohen, mit einer Anzeige wegen Vergewaltigung in der Ehe und seelischer Grausamkeit. Das wird funktionieren. Und dann bin ich frei. Heute noch.

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Als ich vom Fitness-Studio nach Haus kam, waren drei Nachrichten auf meinem Anrufbeantworter. Lisa war die Erste. Sie käme heute noch nach Hause. Ich sollte auf sie warten, sie wolle etwas Wichtiges mit mir besprechen. Bogner, diese Nervensäge, beharrte, dass es unaufschiebbare Dinge gäbe, die er noch heute mit mir besprechen müsste. Und Julia war scheinbar endlich zur Vernunft gekommen. Sagte, die Erdbeeren hätten sie inspiriert und deshalb müsse sie mich unbedingt noch heute sehen. Deshalb rief ich Sabine an, um unsere kleine Champagner-Orgie zu verschieben. Ich erzählte ihr, dass meine Frau krank sei und meine Hilfe brauche. Daraufhin flippte sie völlig aus, tobte, weinte, flehte mich an, wenigstens ein halbes Stündchen zu ihr zu kommen. Sie hätte doch eine Überraschung ...

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Das Maß ist voll. Jahrelang habe ich mir ihr Geschwätz angehört, habe für sie gearbeitet, sie getröstet, sie geliebt. Und sie haben mich nur herumgestoßen, mich in die Ecke gestellt, wie einen alten Besen, wenn sie wieder reumütig zurückgekehrt sind zu ihren Ehefrauen. Dachten, sie könnten mit mir alles machen. Nicht mehr. Ich will Rache. Heute noch!

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Die Wurstmaschine rattert im Hintergrund, mein warmes Blut vermischt sich auf den kalten, weißen Fliesen mit dem Champagner und rinnt zu einem kleinen Gully in der Mitte des Raumes, das grelle Licht in der Schlachthalle blendet meine Augen. Ich schmecke die Erdbeeren in meinem Mund.
»Was für eine Scheißidee...« – wirklich seltsam, was einem final durch den Kopf geht.