Lesemythos: Was ist ein gutes Buch?
6.5.2024
Cover, Geschichte, gutes Buch, Inhalt, Lektorat, Lesemythen, Lesemythos, Qualität, Qualitätskriterien, Roman, Schreibmythen, Schreibmythos, selfpublishing, Verlag, Verpackung, Was ist ein gutes Buch
Eigentlich kann ich die Frage danach, was ein gutes Buch ist, sehr knapp beantworten: Wenn es mir gefällt, dann ist es ein gutes Buch! Für mich jedenfalls.
Allerdings ist meine subjektive Meinung womöglich zu kurz gegriffen. Kümmern wir uns zunächst einmal um die Elemente, die ein Buch überhaupt ausmachen. Was genau ist ein Buch überhaupt? Und kann man dieses Produkt dann anhand objektiver Merkmale qualitativ beurteilen?
Was ist ein Buch?
Ein Buch besteht aus dem Inhalt (also der Geschichte) und einer Verpackung. Und auch wenn ich mir als Autorin wünsche, dass das generelle Augenmerk bei der Qualitätsbeurteilung ausschließlich auf dem Inhalt liegt, sehe ich das als Leserin schon signifikant anders.
Als Leserin bin ich darauf angewiesen, dass mich irgendetwas auf den Inhalt hinweist, mich neugierig macht, mich zu dem Buch greifen (wenn es sich um ein gedrucktes Exemplar im Laden handelt) oder darauf klicken (wenn es sich um ein eBook handelt) lässt. Dafür ist die Verpackung zuständig. Also in erster Instanz ein schönes Cover und ein ansprechender Klappentext. Im nächsten Schritt zähle ich zur Verpackung aber auch einen ordentlichen Buchsatz, der das Lesen angenehm macht und einen möglichst fehlerarmen Text.
Ein Buch ist also immer viel mehr als nur die reine Geschichte.
Wie wichtig ist die Verpackung?
Wie ich eben schon angedeutet habe, dürfte die Verpackung essentiell dafür sein, dass ein Buch überhaupt Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit erhält. Ein Kartoffelsack zwischen den tollsten Designerhandtaschen wird wohl auch eher übersehen. So gesehen, ist sie extrem wichtig und der Grund dafür, warum sich die allermeisten Verlage und zumindest jene Selfpublisher, die es ernst meinen, enorm viele Gedanken darüber machen.
Allerdings ist die Verpackung nur ein Teil des Produkts Buch, sicher oft mehr als nur die halbe Miete, aber eben längst nicht alles. Es sei denn, es geht mir als Käuferin ausschließlich um den dekorativen Wert des Objekts. Doch um bei der Handtaschenanalogie zu bleiben: Ich stehe auf die inneren Werte! Will heißen, die Handtasche soll meinen Kram sinnvoll beherbergen und ein Buch soll mich unterhalten, mitreißen oder berühren – im Idealfall alles zusammen.
Ich habe die Verpackung übrigens absichtlich nach vorne gestellt, weil man hier tatsächlich nachvollziehbare objektive Qualitätskriterien anlegen kann. Ist das Cover zeitgemäß? Passt es zum Genre? Transportiert es den Geist der Geschichte? Ist es handwerklich gut gemacht? Hat mich der Klappentext neugierig gemacht? Ist der Buchsatz ordentlich? Ist die Fehlerdichte überschaubar? Das alles kann man vergleichsweise nüchtern beantworten.
Wie wichtig ist der Inhalt?
Für mich persönlich ist die Geschichte entscheidend. Wenn ich das Gefühl habe, mittendrin zu sein, dann hat die Autorin/der Autor schon mal sehr viel richtig gemacht. Werde ich mitgerissen, muss ich lachen, weinen und alle Emotionen durchleben, fiebere ich mit den Protagonist:innen mit, dann stehen die Chancen nicht schlecht, dass es für mich eine gute Geschichte ist.
Allerdings ist es auch schon passiert, dass mich Bücher buchstäblich auf den letzten Metern verloren haben. Beispielsweise habe ich mich über das Ende von Frank Schätzings »Der Schwarm« so sehr geärgert, dass ich seitdem kein Buch mehr von ihm gelesen habe, obwohl er wirklich sehr gut schreiben kann.
Ich mag es gerne, wenn ich überrascht werde und ich lasse mich leicht mitreißen, sodass ich sogar recht tolerant bin, wenn es den ein oder anderen kleinen Logikfehler oder auch mal ein Plotloch gibt. Wenn der Rest stimmt und die Dramaturgie insgesamt Sinn ergibt, dann bin ich immer noch positiv gestimmt.
Natürlich kann man auch bei Texten formale Beurteilungskriterien anwenden – viele Verlage nutzen dafür schon KI-Systeme, die recht schnell und durchaus akkurat analysieren, wie die Struktur aufgebaut ist, wie es um das Verhältnis zwischen Dialogen und Erzählung steht, wie viele aktive und passive Passagen es gibt, und viele Kriterien mehr. Das kann durchaus deutliche Hinweise auf den möglichen Lesefluss geben. Man kann aber auch total daneben liegen.
Vermutlich habe ich schon mehrere tausend Romane in meinem Leben gelesen, ich habe Germanistik studiert und mich mit Strukturen von Geschichten intensiv auseinandergesetzt. Ich weiß also, wie eine »gute« Geschichte aufgebaut sein soll. Ich weiß aber auch, dass ich beim Lesen nicht darauf achte (übrigens auch beim Schreiben nicht, aber das ist ein anderes Thema ...), sondern mich nur aufs Fühlen konzentriere. Und wenn ich nach dem ENDE glücklich, zufrieden und/oder vollkommen aufgewühlt bin, dann war es für mich eine gute Geschichte.
Die Beurteilung des Inhalts ist für mich also sehr subjektiv. Die Lesenden entscheiden, was gut und was schlecht ist. Und dass da im Zweifelsfall höchst unterschiedliche Einschätzungen entstehen können, liegt für mich in der Natur der Sache.
Kleiner Ausflug zum Lektorat: Während ich das Korrektorat der Verpackung zuordnen würde, ist ein Lektorat auf jeden Fall ein wichtiger inhaltlicher Aspekt. Und ich habe oft genug erlebt, dass selbst vermeintlich kleine Hinweise meiner Lektorin den Unterschied machen zwischen okay und grandios. Für (die meisten) Verlage ist das Lektorat ein unverzichtbarer Schritt zum guten Buch, und auch Selfpublisher sollten nicht darauf verzichten.
Fazit
Nun könnte man annehmen, dass für mich der Inhalt über allem steht – und ich würde auch gerne sagen, dass es so ist, doch ehrlicherweise stimmt das nicht. Denn auch wenn ein simpler Kartoffelsack meinen Kram zusammenhalten könnte, bin ich lieber mit einer schicken Handtasche unterwegs. Das gibt mir ein besseres Gefühl. Und es gibt mir auch ein besseres Gefühl, wenn eine tolle Geschichte, eine angemessene Verpackung bekommen hat. Das hat auch etwas mit Wertschätzung zu tun – gegenüber der Geschichte und gegenüber der Leserschaft.
Was macht für dich ein gutes Buch aus?
PS: Verlag oder Selfpublishing
Dieses Fass mach ich hier bewusst nicht auf, denn dass die Veröffentlichungsstrategie NICHTS mit der Qualität eines Buches zu tun hat, habe ich ausführlich in meinem Artikel »Selfpublishing vs. Verlag« dargestellt.