Carin Müller bloggt ...

Schreibmythos: Autor bleib bei deinem Genre!

Warum man als Autor*in seiner Nische treu bleiben sollte, und warum das fast unmöglich ist

Die vermeintliche Erfolgsformel im Buch-Business lautet: »Such dir deine Genre-Nische, finde die passenden Fans und bleib beiden treu!«

Das steht so oder so ähnlich in jedem Schreibratgeber, wenn es um die Themen (Selbst)Vermarkung und Erfolg geht. Ganz gegen meine sonstige Gewohnheit, muss ich diese Aussage aus vollster Seele bejahen! Es ist nämlich absolut richtig.

Und gleichzeitig absolut lebensfremd, denn wer so etwas behauptet, hat die Rechnung nicht mit dem Wirt gemacht, oder in diesem Fall: mit der/dem Autor*in. Wir von der schreibenden Zunft lieben nämlich nichts mehr, als uns Geschichten auszudenken, und die Ideen halten sich blöderweise nur in Ausnahmefällen sklavisch an das vorher definierte Zielgebiet. Zumindest gilt das für das Kollegium, in dem ich unterwegs bin. Einige schaffen es wenigstens, ihrem Hauptgenre treu zu bleiben, doch das ist nur ein schwacher Trost, denn die Oberbegriffe Spannungsliteratur, Fantasy, Liebesroman und Science Fiction sind in sich so divers, dass es bei den Fans kaum Überschneidungen gibt.

So gibt es beispielsweise Lesende, die ausschließlich schnelle, harte Ermittlerkrimis mögen, dafür Psychothriller hassen und kuschelige Cosy-Crime-Geschichten höchstens als Klopapier verwenden. Oder Liebesroman-Leserinnen: Manche schätzen es sehr explizit und mit Hierarchiegefälle zwischen den Protagonisten, finden dagegen vielschichtige Wohlfühlromane zum Gähnen. Und natürlich jeweils umgekehrt.

Autor*innen sind keine Fließbanddrohnen

Natürlich ist es aus vielen Gründen total clever, sich in seiner Nische gemütlich einzurichten. Ich kann das bestätigen. Mein Kirkby-Universum ist mein »happy place« und erfreulicherweise auch der vieler Leserinnen und Leser. Es wäre ganz sicher schlau, wenn ich in den nächsten Jahren einen »Highland Happiness«-Roman nach dem anderen schreiben und veröffentlichen würde. Und ehe jetzt panische Aufschreie kommen: Es werden noch viele Geschichten kommen!! Aber ich kann eben nicht nur Kirkby-Romane schreiben. Zwischendurch muss ich meinen Kopf auslüften und mir andere Settings und andere Figuren vornehmen, sonst würde ich nämlich ganz schnell das Vergnügen an meinem schottischen Dorf verlieren.

Wir Autor*innen sind keine Fließbanddrohnen – auch wenn es manchmal so scheint. Es gibt Kolleg*innen, die eine Boss-Romanze nach der anderen raushauen oder scheinbar Ostsee-Krimis im Akkord produzieren. Die meisten haben jedoch entweder weitere Pseudonyme, mit denen sie andere Genres schreiben oder sie finden einen anderen kreativen Ausgleich für sich.

Die Sache mit den Pseudonymen

Apropos Pseudonym: Das ist ja ein durchaus kontrovers diskutiertes Thema in der Buchbranche. Manche sind der Meinung, dass man der Leserschaft durchaus Mischkost vorsetzen darf. Einige dieser Glückskinder haben ihre Fans so gut »erzogen«, dass sie einfach alles lesen, wo der Autorenname draufsteht. Für die überwiegende Mehrheit gilt das jedoch leider nicht. Die Lesenden verknüpfen mit dem Namen ein Gefühl und wollen diese Empfindung gerne beim nächsten Buch wieder reproduziert haben. Der Autor*innen-Name wird zur Marke, die für ein ganz spezifisches Leseerlebnis steht: Ostsee-Krimi, Zauberer-und-Hexen-Fantasy, sexy Sportler-Geschichten, kuschelige Kleinstadt-Romane, etc.

Wahre Superfans wird es nicht abhalten, trotzdem alle Geschichten zu lesen, die es von der Lieblingsautorin gibt (egal, welcher Name auf dem Buch steht), aber diese Superfans sind eine rare Spezies. Und jeder von ihnen hat irgendwann einmal mit einem einzelnen Buch angefangen.

Also macht man es den Gelegenheits- und Zufallslesenden einfach, indem man eine stimmige Namens-Genre-Marke entwickelt. Das ist auch der Grund, warum so viele Verlage ihren Autor*innen neue Namen geben. Ich habe Kolleginnen, die unter sechs verschiedenen Pseudonymen schreiben. Das ist zwar marketingtechnisch ein Albtraum, für die Leserschaft aber ein Segen. Und gibt es ernsthaft Wichtigeres als glückliche Leser*innen?

Fazit

Den goldenen Weg gibt es sicherlich nicht. Egal, wofür man sich entscheidet, man muss die ein oder andere bittere Pille schlucken. Wer auf einen Namen beharrt und damit verschieden Genres bedient, wird viel Arbeit haben, diesen Umstand zu moderieren. Wer sich mit einem Namen eine Genre-Marke aufgebaut hat und nichts anderes schreibt, wird sich womöglich andere kreative Schlupfwinkel suchen müssen, um nicht irre zu werden. Und dann gibt es jene, die mehrere Namen und Genres mehr oder weniger erfolgreich gleichzeitig jonglieren und dabei die richtige Balance suchen.

Ich persönlich habe mir mit Charlotte McGregor eine Marke erarbeitet, die für britische (vorwiegend schottische) Dorf- bzw. Inselgeschichten steht, für starke, manchmal kauzige Charaktere, mit kleineren und größeren Dramen, einigem Tiefgang, viel Humor und einer echten Wohlfühlatmosphäre. Bisher war immer auch eine große Portion Liebe mit dabei. Aber da ich meine Geschichten nicht in erster Linie als Liebesromane bezeichnen würde, wage ich das Experiment, demnächst in Kirkby einen Kuschel-Krimi spielen zu lassen. Vielleicht kann ich dann irgendwann den Schreibmythos »Bleib deinem Genre treu!« doch als Lüge entlarven.