Carin Müller bloggt ...

Fernweh vs. Lokalkolorit

Warum in die Ferne schweifen?

»Ich finde es blöd, wenn deutsche Autoren Geschichten schreiben, die im Ausland spielen!« Bäm! Über diese Aussage einer Bloggerin bin ich kürzlich in einer Buchgruppe auf Facebook gestolpert. Und noch schockierter war ich, als ich in den Kommentaren mehr als einmal gelesen habe, dass »das gar nicht ginge« und dass »diese Unsitte« nur noch dadurch getoppt wird, wenn jene frevelhaften deutschen Autorinnen auch noch ein fremdsprachiges Pseudonym nutzen. Mon Dieu, das geht ja gar nicht ...

Ich musste mich auf meine Finger setzen, um keinen völlig unangemessenen Kommentar zu hinterlassen. Schließlich hat ja jeder das Recht auf seine Meinung. Und wenn Bloggerin XY nur noch Geschichten von deutschen Autorinnen mit deutschen Protagonisten, die in Deutschland spielen lesen möchte (womöglich sogar mit Arier-Nachweis? Okay, das war jetzt unsachlich ...), dann darf sie das natürlich und wird auch reichlich fündig werden. Mich muss das nicht tangieren.

Wie wichtig ist der Schauplatz?

Ich frage mich vor jeder Geschichte, die ich schreibe, wie wichtig der Schauplatz für die Geschichte ist, und richte mich dann danach. Jüngstes Beispiel: Ich wollte unbedingt eine Wintergeschichte schreiben, in der es intensive Walerlebnisse geben soll und einen interessanten sozio-kulturellen Hintergrund für mindestens eine Figur. So etwas lässt sich am Bodensee oder auf Rügen nur relativ schwierig realisieren. Also habe ich die Geschichte Lebe, als gäbe es kein Morgen auf Vancouver Island angesiedelt.

Ich habe aber auch schon Geschichten geschrieben, bei denen es völlig egal war, wo sie spielen. Die hätten – in der Theorie zumindest – in Wuppertal genauso gut funktionieren können, wie in Los Angeles. Ich wage allerdings massiv zu bezweifeln, dass »Hot Chocolate« im Bergischen Land genauso erfolgreich geworden wäre ... Doch ich kann mich natürlich irren.

Warum dann Ausland?

In meinem Fall ist das ganz einfach zu beantworten: Weil ich Reisen liebe und nichts lieber mache, als fremde Orte zu erobern. Im wahren Leben UND in meinen Geschichten. Und da ich meine Leidenschaft derzeit nicht ausleben kann, stille ich mein Fernweh eben mithilfe meiner Romane. Meine ausgedehnten (schriftlichen) Streifzüge durch die schottischen Highlands und an der Küste Vancouver Islands, haben im letzten Jahr sehr zu meiner geistigen Gesundheit beigetragen. In diesem Jahr sieht’s nicht viel anders aus. Statt selbst in den Flieger (oder ins Auto oder in den Zug) zu steigen, werde ich meine neuen Geschichten wieder an besonderen Sehnsuchtsorten spielen lassen.

Tatsächlich habe ich auch den Eindruck, dass die allermeisten LeserInnen es ebenfalls mögen, wenn sie mit Büchern in andere Welten abtauchen können – selbst wenn die Geschichte der Feder einer deutschsprachigen Autorin mit englisch klingendem Pseudonym stammt ...

Aber in Deutschland ist es doch auch schön!

Es gibt natürlich viele Geschichten, die man ganz wunderbar hierzulande ansiedeln kann. Ich habe das auch schon einige Male gemacht und werde es auch ziemlich sicher wieder tun (auf meiner Festplatte schlummert ein ziemlich cooles Konzept für eine München-Reihe), aber im Moment habe ich einfach keine Lust auf Storys, die vor meiner Haustür spielen. Das ist mir alles zu nah, zu vertraut, zu normal, um mich wirklich reizen zu können. Und so lange es sich so anfühlt, begebe ich mich in meinen Manuskripten lieber wieder nach ... Nein, ich verrate nicht, wo genau die nächste Geschichte spielt. Dieses Geheimnis werde ich erst in ein paar Wochen lüften.

Versteht mich nicht falsch, ich lese gerne Geschichten, die in Deutschland spielen und es gibt wundervolle Kolleginnen, die das meisterhaft umsetzen. Ich habe nur aktuell keine Lust darauf, mich in diesen Kreis einzureihen.

Man kann Lokalkolorit nicht recherchieren!

Das ist noch so ein – mit Verlaub – saudämliches Vorurteil! Romane müssen in der Regel keine hyperpräzisen Ortsbeschreibungen oder Dokumentationen liefern, sondern vor allem Emotionen wecken. Will heißen, ein Gefühl für den Schauplatz und die Menschen vermitteln. Dafür müssen die AutorInnen keine Kartographen sein, sondern sensible Beobachter. Das gilt übrigens für alle Geschichten, ob sie direkt vor der eigenen Haustüre spielen oder in der Südsee. Wenn es mir nicht gelingt, das besondere Lebensgefühl zu vermitteln – das übrigens auch erfunden sein darf, es muss nur authentisch WIRKEN –, dann habe ich meinen Job nicht ordentlich erledigt.

Und damit komme ich zu dem Punkt, an dem ich immer lande: Nur die Geschichte zählt! Egal, wo sie spielt und wer sie geschrieben hat.